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Standpunkt

Mehr Ausgewogenheit, bitte!

Standpunkt - Mehr Ausgewogenheit, bitte!
Wilhelm Nacimiento © Privat

Rotary steht weltweit für Offenheit, Mitmenschlichkeit und Toleranz. Deshalb ist die offenkundige Radikalisierung der AfD mit rotarischen Grundwerten unvereinbar

Wilhelm Nacimiento01.10.2024

Die Ansammlung von Artikeln in der August-Ausgabe wirkt mit Verständnis, Verharmlosung und Sympathiebekundungen gegenüber der AfD irritierend, zumal sie unmittelbar vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland weitgehend unwidersprochen publiziert wurde. Das Rotary Magazin ist als renommiertes und erfolgreiches Organ unserer Gemeinschaft der Werteloyalität und der Ausgewogenheit verpflichtet. In einer Zeit, in der die Verwundbarkeit von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit spürbar wird, ist diese gesellschaftliche Verantwortung des Rotary Magazins in besonderer Weise gefragt.

Menschenfeindliches Gedankengut

Die AfD wird nicht nur – wie Herr Jesse suggeriert – von Politik, Medien und Wissenschaft geächtet, sondern von weltoffenen und kritischen Menschen einer breiten Zivilgesellschaft, die sich große Sorgen machen angesichts einer maximal radikalisierten Partei. Fremdenfeindlichkeit, Hass und Hetze sind Botschaften, die führende Mitglieder und zahlreiche Anhänger dieser Partei regelmäßig verbreiten. Wer die offensichtlich rein strategisch vorgeschobene Kommunikation und Programmatik der AfD zur Achtung des Grundgesetzes als glaubwürdig anführt, verharmlost die in der Breite vorhandenen radikalen Bestrebungen der AfD. Hinter der beschworenen bürgerlichen Fassade verbirgt sich – leicht durchschaubar – eine durch Behörden und Gerichte in rechtsstaatlichen Verfahren mitunter als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Partei. Ihre auch auf Bundesebene stattfindende Beobachtung als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz ist folgerichtig und wurde vor wenigen Monaten durch das OVG Münster ausdrücklich bestätigt. Dass die AfD in ihrem Kern den Boden der menschlichen und freiheitlichen Demokratie längst verlassen hat, ist keineswegs eine „Grauzone“, wie es Herr Jesse zu verharmlosen versucht, sondern menschenfeindliches Gedankengut.

Furchteinflößende Perspektive

Mit seinen Erkenntnissen und den daraus resultierenden Warnungen vor einer zunehmenden Bedrohung der freiheitlichdemokratischen Grundordnung erfüllt der Verfassungsschutz seine Pflicht als tragende Institution der wehrhaften Demokratie unseres Grundgesetzes. Die von Herrn Jesse unterstellte „starke Politisierung“ des Verfassungsschutzes steht im Einklang mit den Verschwörungstheorien der AfD. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz darf durchaus darüber erfreut sein, durch ein Verwaltungsgericht in einem rechtsstaatlichen Verfahren bestätigt zu bekommen, dass die Beobachtung der AfD durch seine Behörde eindeutig rechtmäßig ist.

Die Perspektive, dass ein geschichtsrevisionistischer Faschist, der für die öffentliche Proklamation von SA-Parolen vor Kurzem strafrechtlich verurteilt worden ist, vor den Toren Buchenwalds in Thüringen maßgeblich politisch Einfluss nehmen wird, ist mehr als furchteinflößend. Die Metaphern von „Brandmauer“ und „Dammbruch“ sind daher durchaus angemessen, um den Feinden einer offenen Gesellschaft entgegenzutreten.

Herr Stuessel bagatellisiert und diskreditiert die im Winter deutschlandweit stattgehabten Demonstrationen für Demokratie, indem er eine „Stigmatisierung“ der AfD als „ausschließliche Argumentation“ der Demonstrierenden darstellt und damit der AfD die von ihr gewünschte Opferrolle zuschreibt. Das vorausgegangene Potsdamer Treffen von Rechtsextremisten unter AfD-Beteiligung, bei denen Pläne zur „Remigration“ geschmiedet wurden, verschweigt Herr Stuessel. Herrn Ritter von Kempski hätte es gut angestanden, mehr Respekt, Sachlichkeit und Zurückhaltung aufzubringen, insbesondere angesichts der gesellschaftlichen Verantwortung, die wir als Serviceclub übernehmen. Die Vier-Fragen-Probe bleibt der Maßstab für unser Handeln.

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Wilhelm Nacimiento

Wilhelm Nacimiento, RC Mülheim a. d. Ruhr-Schloß Broich, ist Paul Harris Fellow, verheiratet und hat zwei Kinder. Er ist Chefarzt der Klinik für Neurologie an den Sana-Kliniken Duisburg.