Standpunkt
Rotary in Europa ist gefordert

Das autokratische Durchregieren der neuen US-Administration verlangt von allen Rotary-Mitgliedern Zusammenhalt und beherztes, menschliches Handeln. Auch und vor allem auf dem alten Kontinent
Vor sieben Jahren erschien im Rotary Magazin an dieser Stelle ein „Aufruf zur Einmischung“. Es ging angesichts der anstehenden Amtsübernahme Trumps und rechtsnationaler Tendenzen in Europa um die Frage, ob Rotary als zivilgesellschaftliche Organisation einen Beitrag dazu leisten könne, das Erstarken autokratischer Tendenzen zu verhindern; schließlich seien viele Clubmitglieder in einflussreichen Positionen. Manche Freunde diskutierten danach die Frage, ob Rotary nicht dadurch Schaden nehmen könne, dass in den Meetings Politik diskutiert würde.
Die Ahnen waren mutiger
Unsere rotarischen Vorfahren waren deutlich beherzter! Rotary und kurz danach die Foundation wurden im Umfeld des Ersten Weltkriegs gegründet. Ob Humanität in Kriegs- und Krisenzeiten politisches Handeln benötige oder nicht, ist angesichts der derzeitigen Lage eine völlig verdrehte, nicht nachvollziehbare Fragestellung. Menschliches Handeln und damit die Verteidigung der Menschenwürde kennt keine Partei. Nach dem Zweiten Weltkrieg wussten das auch die Väter der Vereinten Nationen. So wirkte Rotary bei der Gestaltung der UN-Charta mit, folgerichtig nach dem furchtbaren Leid durch den Zweiten Weltkrieg. Die Nazi-Diktatur hatte sich, wie wir alle wissen, lange abgezeichnet, und Rotary bekam sie existenziell zu spüren. Bis zur Selbstauflösung.
Im Mutterland Rotarys sehen wir politische Ereignisse, die nur auf den ersten Blick einem gewählten Präsidenten und seiner Partei zuzuordnen sind, aber in viel höherem Maße zivilgesellschaftliche Umbrüche zeigen, die einen Widerstand der Aufrechten erfordern. Es geht um Verfassungsrechte wie Meinungs- und Religionsfreiheit, Bildung, Friedensinitiativen, Entwicklungszusammenarbeit, Gesundheitsfürsorge und letztlich auch um Toleranz. All dies sind Kernanliegen Rotarys, denen wir uns gerne seit Jahren stellen – nicht nur bei Impfkampagnen –, aber alleine, ohne die vertrauensvolle Kooperation mit den beherbergenden Ländern Rotarys, ist das kaum zu schaffen, schon gar nicht gegen eine US-Administration, die aggressiv bildungs- und kulturfern argumentiert. Soziale Verantwortung und Empathie sind keine parteipolitischen Ziele, sie sind Ausdruck von Humanität.
Klare Positionierung, bitte
Die 2018 gestellte Frage stellt sich erneut, nun in verschärfter Form. Die Signale aus den USA sind verstörend, nicht nur wegen der offen zur Schau getragenen Hemdsärmeligkeit der Politik, sondern weil uns nichts über eine energische Positionierung Rotarys bekannt ist. Was wird aus Polio Plus? Den Hilfen für die Ukraine und für Nahost? Was ist mit den Programmen in Afrika, Asien und Südamerika? Völkerrecht zählt nicht mehr? Menschenwürde war gestern? Das verträgt keine leisen Töne! Werden Jahrzehnte erfolgreicher Arbeit engagierter Rotary-Mitglieder leichtfertig zunichtegemacht? Schon allein unsere Vier-Fragen-Probe bringt es an den Tag: Es geht nicht um eine parteipolitische Positionierung oder diplomatische Verstimmungen, es geht um Humanität. Es geht ums Ganze, um alles, was uns bei Rotary wichtig ist. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob RI von Evanston heraus zu einer klaren Positionierung bereit ist.
Diskutieren Sie mit und beteiligen Sie sich an unserer Meinungsumfrage zu diesem Standpunkt: rotary.de/#umfrage

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