Standpunkt
Immer dieselben!

Das neue rotarische Jahr hat begonnen – und neue Amtsträger sind am Start. Wirklich? Viel zu häufig sind es immer dieselben Personen, die sich zur Übernahme eines Amts bereit erklären.
Man kennt sie – die Verlässlichen, die Unermüdlichen, die Engagierten. In jedem Rotary Club, in jedem Distrikt, auf jeder Ebene. Wenn wieder einmal eine Position zu besetzen ist, ein Amt vakant wird oder ein Projekt jemanden mit Weitblick und Organisationstalent braucht, fällt der Blick fast automatisch auf die gleichen Personen. Die altbewährten Rotarierinnen und Rotarier, die „schon immer“ bereit waren, Verantwortung zu übernehmen. Es ist eine ehrenwerte, ja bewundernswerte Konstanz. Doch sie wirft Fragen auf. Wo bleiben die Neuen? Wo ist der viel beschworene frische Wind?
Das Phänomen ist nicht auf Rotary beschränkt. In Elternbeiräten von Kitas und Schulen, in Sport- und Kulturvereinen zeigt sich dasselbe Muster: Engagement ist keine Massenbewegung mehr. Es sind oft dieselben wenigen, die sich kümmern, die mitgestalten, die tragen – und manchmal auch: die sich aufreiben. Die Gründe für das fehlende Engagement sind vielfältig: Zeitmangel, berufliche Belastung, Unsicherheit, ob man den Anforderungen gerecht wird. Aber auch Bequemlichkeit und die (trügerische) Annahme, andere würden es schon machen.
Aus Mangel an Ermutigung
Gerade bei Rotary ist diese Entwicklung ambivalent. Einerseits ist Kontinuität ein Wert. Wer schon einmal „gedient“ hat, weiß, wie die internen Abläufe funktionieren, kennt das Netzwerk, bringt Erfahrung mit. Andererseits: Wie soll sich eine Organisation erneuern, wenn sie sich immer nur auf bekannte Gesichter verlässt? Die oft beschworene Verjüngung – sie bleibt Wunschdenken, wenn die Türen zwar offen stehen, aber kaum jemand den Mut hat, einzutreten. Das Problem ist also weniger ein Mangel an Kandidatinnen und Kandidaten – sondern ein Mangel an Ermutigung, an Einladung, an Sichtbarkeit. Junge Mitglieder werden in ihrer Anfangszeit oft mit Herzlichkeit begrüßt – aber nicht mit Verantwortung betraut. Und wenn sie sich nicht von selbst melden, verpassen wir die Chance, sie in Rollen zu bringen, in denen sie wachsen könnten. Denn wer nie gefragt wird, antwortet auch nicht.
Was tun? Drei Vorschläge
1. Verantwortung aktiv weitergeben
Nicht erst dann suchen, wenn die Stelle vakant ist – sondern frühzeitig und gezielt neue Mitglieder ermutigen. Wer engagierte jüngere Mitglieder oder Neuzugänge erlebt, sollte sie ansprechen: „Du wärst gut in dieser Rolle.“ Wertschätzung ist die Brücke zur Verantwortung. Das Weiterempfehlen darf dabei nicht vergessen werden.
2. Fehlerkultur statt Perfektionsdruck
Viele schrecken zurück, weil sie glauben, den Anforderungen nicht zu genügen. Wenn wir Fehler als Lernschritte akzeptieren, wird der Einstieg leichter. Niemand muss perfekt sein, um sich zu engagieren – nur bereit.
3. Amtszeiten bewusst begrenzen
Kontinuität ist gut, aber nicht um den Preis der Erneuerung. Wer nach zehn Jahren im Amt immer noch keine Nachfolge aufgebaut hat, hat seinen Auftrag nur zur Hälfte erfüllt. (Ich fasse mir da durchaus an die eigene Nase.)
Natürlich kann man die Situation auch akzeptieren. Sagen: So ist es eben. Doch das hieße, sich mit dem Status quo zufriedenzugeben – und das ist nicht das Selbstverständnis von Rotary. Wir wollen gestalten, verändern, verbessern.
Also: Nicht länger immer nur dieselben. Sondern mehr Vielfalt, mehr Mut zur Verantwortung, mehr Zutrauen in neue Schultern. Damit Rotary bleibt, was es sein will: eine Bewegung engagierter Menschen – nicht nur eine bewährte Routine.
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Sabina Gärtner-Nitsche, RC Nürnberg-Neumarkt, Past-Governor 2023/24, Gesamtkoordination D1880 Ukraine
© Sonja Och