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Hannover

Rotary erforscht eigene Geschichte im "Dritten Reich"

Hannover - Rotary erforscht eigene Geschichte im "Dritten Reich"
Tagten in Hannover (von links): Karsten D. Wick, Matthias Stickler, Kurt-Jürgen Maaß, Ulrich Andermann, Hans Otte, Hans-Jürgen Leuchs, Dieter Brosius, Paul Erdmann, Gideon Peiper, Peter von Wussow, Carl-Hans Hauptmeyer, Dietger Oberndorfer, Ulrich Soénius, Peter Diepold, Paul U. Unschuld, Wilhelm Habermalz © Thomas Maruschke/Carl-Hans Hauptmeyer (2)

Der Beitrag „Aufarbeitung nötig“ im Rotary Magazin 10/2015 hat in den Clubs ein gewaltiges Echo ausgelöst. Jetzt startet ein großes Forschungsprojekt. Ergebnisse sollen innerhalb von drei Jahren vorliegen

Jürgen Maaß01.06.2016

Zu einem ersten Planungsgespräch über die vertiefte Aufarbeitung der Geschichte zwischen 1927 und 1951 kamen am 4. März in Hannover Experten von 13 Rotary Clubs mit dem Vorsitzenden des Deutschen Governorrats, Hans-Jürgen Leuchs, und Vertretern des Länderausschusses Deutschland-Israel zusammen. Ehrengast war PRID Gideon Peiper aus Tel Aviv. Der Hannoveraner Historiker Carl-Hans Hauptmeyer (RC Calenberg-Pattensen) vom Historischen Seminar der Leibniz Universität Hannover hatte die Initiative zur Einladung übernommen. Gastgeber des Treffens war die VolkswagenStiftung.

Beabsichtigt ist, innerhalb von drei Jahren eine ebenso offene wie kritische Aufarbeitung der Geschichte Rotarys in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus vorzulegen. Um das zu erreichen, ist nun ein großes Forschungsprojekt auf den Weg gebracht worden. Ziel müsse sein, so wurde beim ersten Planungsgespräch am 4. März formuliert, „den Freunden ein Denkmal zu setzen, die wir verraten haben“.

Rund 500 Mitglieder verloren
Ein erster Schritt soll sein, eine Liste der Namen jener Freunde zusammenzutragen, die Rotary zwischen 1933 und 1937 verlassen mussten. Binnen weniger Monate hatte Rotary Deutschland von 1933 an circa 500 Mitglieder verloren, überwiegend durch Ausschluss. Viele waren jüdischen Glaubens. Wer waren sie? Was ist aus ihnen geworden?

Seit der Gründung der Rotary Clubs in Hamburg und Frankfurt 1927 gab es 43 Clubs bis zur förmlichen Auflösung des Distrikts 73 im Deutschen Reich im Jahr 1937. Viele Clubs existierten als sogenannte Freundeskreise weiter oder fanden sich nach Kriegsende rasch wieder zusammen, selbst wenn die Wiedergründungen erst ab 1949 begannen. Die historische Aufarbeitung hierzu erfolgte bisher in den einzelnen Clubs unterschiedlich: teils vorbildlich, teils noch gar nicht. Dies zeigte eine Umfrage des LA Deutschland-Israel aus dem Jahr 2012/13, auf die nun zurückgegriffen werden kann. Die Quellenlage ist gut, nicht zuletzt wegen des 2005 geschaffenen, im Internet zugänglichen „Findbuchs der Akten der deutschen Rotary Clubs 1927-1937“.

Rotarier waren damals, stärker noch als heute, eine Funktionselite. Sie passten sich offenbar mehrheitlich dem Nationalsozialismus an, und etliche Rotarier waren Parteimitglieder oder gehörten NS-Verbänden an. Die Auflösung 1937 erfolgte nicht wegen widerständiger Aktionen, sondern als Teil der sogenannten Gleichschaltung. Die Unterlagen wurden weitgehend der Gestapo übergeben.

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Einige lokale Untersuchungen über das Schicksal von Rotariern
unter dem Hakenkreuz liegen schon vor.

Es gibt eine Fülle von Forschungsfragen: Wie eng waren Rotarier in Deutschland in das System des Nationalsozialismus eingebunden? Welche Rotarier übertraten als Täter ethische Prinzipien? Welche Rotarier gaben sich nach 1945 wechselseitig „Persilscheine“ während der Entnazifizierung und verdrängten aktiv die Erinnerung an ihre nationalsozialistische Anpassung?

Forschungsfragen
Wie viele dem Nationalsozialismus nahestehende Personen waren bei der Wieder- und Neugründung von Rotary Clubs nach Ende des Zweiten Weltkriegs beteiligt? Auf der anderen Seite aber auch: Welche Rotarier versuchten die moralischen Prinzipien Rotarys aufrechtzuerhalten? Wie viele Rotarier setzten sich für Linksintellektuelle oder für Juden ein? Welche Rotarier schlossen sich dem Widerstand an? Welche Rotarier bekannten sich nach 1945 zu Schuld und Verbrechen?

Der Untersuchungszeitraum, auch dies ein Ergebnis der Diskussionen in Hannover, könne nicht auf die engere Zeit des Nationalsozialismus beschränkt sein, sondern habe von der Mitte der 20er Jahre bis Mitte der 50er Jahre zu reichen, als der Distrikt 74 (Westdeutschland) in drei neue Distrikte aufgeteilt wurde, was die Gründung des Deutschen Governorrates zur Folge hatte.

Erörtert wurde in Hannover eine dezentrale Projektdurchführung – möglichst durch rotarische Fachleute – in modularisierter Vorgehensweise, beginnend mit der Erfassung der ausgeschlossenen Mitglieder und ihrer weiteren Lebensläufe. Parallel dazu sollte die Füllung der Lücken bei denjenigen Clubs erfolgen, die noch keine oder keine zureichende öffentlich bekannte Aufarbeitung ihrer Clubgeschichte für die Zeit der Gründung bis in die 1950er Jahre besitzen. Es wurde angedacht, hierzu für die Clubs eine Art „praktische Handreichung“ zu verfassen. Gegebenenfalls müssten Einzelprobleme durch an wissenschaftlichen Institutionen tätige Fachpersonen vertieft erforscht werden, die Drittmittelanträge bei wissenschaftlichen Stiftungen stellen können. 


Unterstützung erwünscht
Das Forschungsprojekt wird eine zeitweilige Unterstützung durch eine wissenschaftliche Kraft benötigen. Hierfür sollen Spenden eingeworben werden. Dafür hat der Rotary Deutschland Gemeindienst (RDG) ein Sonderkonto eingerichtet, auf das von sofort an gespendet werden kann (mit Spendenbescheinigung):

RDG Düsseldorf, IBAN: DE80300700100394120000, Verwendungszweck auf den Überweisungen: Projekt P2410: Völkerverständigung.

Die ausführliche Projektbezeichnung beim RDG lautet „Völkerverständigung im Kontext von Diktatur und neuer Demokratisierung“ mit dem Untertitel „Aufbereitung der deutschen Rotary Geschichte während des Dritten Reichs, im Zweiten Weltkrieg und in der jungen deutschen Demokratie als Beitrag zur Unterstützung rotarischer
Friedensprojekte“.


 

Jürgen Maaß
Prof. Dr. Kurt-Jürgen Maaß (RC Stuttgart-Wildpark) war von 1998 bis Juli 2008 Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) und Herausgeber der Zeitschrift Kulturtausch. Er ist außerdem Honorarprofessor an der Universität Tübingen.