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“Rotary ist politisch”

Aktuell - “Rotary ist politisch”
Im Gespräcch mit Rotary-Magazin-Chefredakteur Björn Lange © Rotary Magazin (zwei Fotos)

Mário César Martins de Camargo wird 2025 RI-Präsidentin Stephanie Urchick in ihrem Amt beerben. Auf dem European Summit in Bonn sprach er vor mehr als 600 rotarischen Entscheidungsträgern aus ganz Europa über seine Sicht auf die Herausforderungen von Rotary als globale Organisation. Zu den wichtigsten Themen des Summit gehörten Nachhaltigkeit und Mitgliederentwicklung. Am Ende der Veranstaltung nahm er sich Zeit für ein kurzes Gespräch, blickte zurück und wagte einen Ausblick.

04.09.2024

Mario, sind Sie zufrieden mit dem European Summit in Bonn mit Blick auf die Location, die Inhalte der Veranstaltung und deren Ergebnisse?

Ich habe schon an mehreren Instituten auf der ganzen Welt teilgenommen. Ich bin besonders zufrieden mit dem Inhalt dieses Instituts und mit dem, was ich von Hans-Hermann (Kasten, d. Red.) gelernt habe. Dieses Institut war ziemlich gut besucht. Gerade nach dem Ende von Covid erholen wir uns immer noch, was die Teilnehmerzahlen rund um den Globus angeht. Wir haben in diesem Institut mehr als 600 Personen erreicht. Es geht also nicht nur um den Inhalt, sondern auch um die Anzahl der Menschen, die sich über die Neuerungen in der rotarischen Welt informieren wollen. Es gibt viel zu lernen und eine Menge zu tun.

Aber ein altes Problem bleibt bestehen: Die Funktionsträger treffen sich, haben gute Ideen und diskutieren diese, aber bringen die Botschaften nicht an die Basis in die Clubs. Wie kann das gelingen, gerade wenn Veränderungen nicht "top-down", sondern "bottom-up" implementiert werden sollen?

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"Je mehr Kaffee ich hier trinke, desto mehr meiner Deutschkenntnisse kommen zurück", scherzte Mário César Martins de Camargo, als er sich am Poliostand des European Summit mit dem richtigen Kaffeebecher versorgen ließ. Der Brasilianer hat in den 70er Jahren einige Monate in Deutschland gelebt.

Unsere größte Herausforderung in Bezug auf die Kommunikation besteht darin, die Gemeinschaft von oben nach unten zu erreichen. Wir haben mehr als 37.000 Clubs auf der ganzen Welt, und jeder Club hat seine eigene Kultur, seine eigenen Prioritäten, seine eigene kommunale Perspektive, und das müssen wir respektieren. Aber es gibt einige Richtlinien, einige Orientierungen, einige Vorschläge, die Rotary International ihnen gerne mit auf den Weg geben würde. Und das ist unsere größte Herausforderung, nicht nur hier in Europa, sondern überall. Ich denke, wir sollten die sozialen Medien besser nutzen, wir sind bisher sehr schlecht darin. Wir müssen die Welt von Rotary besser verbreiten. Wir machen da immer noch sehr kleine Schritte, wir müssen uns steigern. Wir müssen unseren Bekanntheitsgrad in den sozialen Medien erhöhen. Das ist ein gutes Instrument, das wir nicht richtig nutzen.

Der zweite Punkt ist, wie wir mit Widerständen umgehen, wenn wir auf Veränderungen stoßen. Nicht alle Clubs auf der Welt sind gleich. Jede Kultur interpretiert unsere Regeln aus einer anderen Perspektive. Das ist in Ordnung. Aber wir sollten einige grundlegende Informationen darüber verbreiten, wohin sich Rotary entwickelt, damit die Clubs zumindest wissen, worauf wir hinarbeiten. Wir wollen unsere Mitgliederzahl erhöhen, wir wollen unsere Mitglieder verjüngen, wir wollen mehr Frauen, mehr unterschiedliche Menschen ansprechen. Das ist überall so, in Deutschland, in Brasilien, in den USA.

Bei diesem Gipfeltreffen haben wir uns nicht nur mit Rotarys Innenwirkung beschäftigt, sondern auch über Rotarys Außenwirkung gesprochen. Das ist elementar, wenn man neue Mitglieder gewinnen möchte. Muss Rotary sich bei all den globalen Konflikten nicht stärker einmischen und eben doch einen klaren Standpunkt in politischen Fragen vertreten?

Viele Menschen sagen, dass Rotary unpolitisch ist. Dem stimme ich nicht zu. Rotary ist politisch. Wir schlagen uns nicht auf die Seite von Parteien, links, rechts, Mitte, vorne oder was auch immer. Aber wenn wir das Gemeinwesen im Sinne des griechischen Wortes "polis" (Gemeinschaft) verändern wollen, sind wir eine politische Einrichtung. Auch wenn wir nicht als politische Institution Stellung beziehen können, müssen wir unsere Mitglieder zu einer verantwortungsvollen politischen Haltung ermutigen. Wir können ihnen nicht sagen, dass sie links oder rechts wählen sollen, aber wir können ihnen sagen, dass sie bewusst und mit Bewusstsein wählen sollen, um die Probleme unserer Gemeinschaft besser zu bewältigen.

Rotary ist eine wertegebundene Gemeinschaft.

Ja, und wir müssen diese Werte bewahren. Vielfalt, Integrität, Kameradschaft, Führung, Dienst. Das sind unsere fünf Grundwerte, und die gelten auch in der Welt der Politik.

Wie muss sich Rotary anpassen oder verändern, um ein relevanter Teil einer sich immer schneller und stärker verändernden Gesellschaft zu werden?

Dazu fällt mir ein schönes Zitat von Tomasi di Lampedusa ein, das aus seinem berühmten Buch Der Leopard stammt: "Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, müssen wir alles ändern." Wenn Rotary also für das Gemeinwesen, für die Gesellschaft relevant bleiben will, muss es sich verändern, denn die Gesellschaft verändert sich. Wenn wir in unseren Traditionen von 1905 verharren, sind wir weit weg von den Menschen in unseren Gemeinden, von den Bestrebungen, von den Herausforderungen der modernen Welt. Wir müssen am Ball bleiben. Wir müssen mit dem Schritt halten, was draußen geschieht. Wir müssen uns also verändern, denn die Welt verändert sich.

Das Gespräch führte Björn Lange.


Sie wollen einen persönlichen Eindruck von Mário César Martins de Camargo? - Hören Sie hier das Interview mit dem RI-Präsidenten elect (auf Englisch):