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Rotary, NS-Zeit und heutige autoritäre Herausforderungen

Diskussion - Rotary, NS-Zeit und heutige autoritäre Herausforderungen
Die Vergangenheit nicht vergessen... © Adobe Stock Photo

Rotary-Werte im Gegensatz zu menschenverachtenden Ideologien: Vom Versagen im Nationalsozialismus zu heutigen autoritären Herausforderungen

07.05.2025

Rotary International, eine weltweite Gemeinschaft engagierter Persönlichkeiten, gründet sein Wirken auf einem klaren Wertefundament. Diese Prinzipien, die auf Humanismus, Kooperation und universellen ethischen Standards beruhen, stehen jedoch in einem fundamentalen und unüberbrückbaren Gegensatz zu totalitären und autoritären Ideologien. Die historische Konfrontation mit dem Nationalsozialismus in Deutschland und die Auseinandersetzung mit heutigen anti-demokratischen und illiberalen Tendenzen verdeutlichen die permanente Gefährdung dieser Werte.

Heute gefährden autoritäre und autokratische Strömungen wieder Rotary Prinzipien. Rotary benötigt eine Bestätigung seiner Werte international um ein Versagen wie damals zuverhindern.

Der Autor Herrmann Schäfer hat sein Buch "Die Rotary Clubs im Nationalsozialismus: Die ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder" am 28. April 20205 im Jüdischen Museum Frankfurt vorgestellt. Dieser Beitrag spiegelt eine durch seine Präsentation angeregt Diskussion unter Club Mitgliedern wider.


Die Identität von Rotary ist untrennbar mit seinen Kernwerten verbunden. "Service Above Self"fordert ein Engagement, das über den Eigennutz hinausgeht und das Wohl der Gemeinschaft in den Mittelpunkt stellt. Die Vier-Fragen-Probe dient als praktischer Moralkompass, der Wahrheit Gerechtigkeit, positive menschliche Beziehungen und das Gemeinwohl als Maßstab für Denken und Handeln etabliert. Ergänzt wird dies durch den hohen Stellenwert von Freundschaft und Kollegialität als Basis für gemeinsames Handeln sowie das Bekenntnis zur Vielfalt von Berufen, Kulturen und Perspektiven. Entscheidend ist zudem der Anspruch, durch internationale Verständigung einen Beitrag zu Frieden und globaler Kooperation zu leisten.

Dieses Wertesystem bildet ein Rahmen, der auf Offenheit, Ethik und globaler Verbundenheit basiert.

Der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland in den 1930er Jahren stellte mit der NS-Ideologie in nahezu jeder Hinsicht das Gegenteil der rotarischen Prinzipien dar. Der NS-Staat kollidierte mit den rotarischen Werten massiv: Nationalismus mit Internationalität, Rassismus mit Vielfalt und Fairness. Propaganda ersetzte Wahrheit. Dennoch versuchten nicht wenige rotarische Clubs die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme davon zu überzeugen, dass ihre Werte mit der NS-Ideologie vereinbar sein. Die auf Rassenwahn basierende Ausgrenzungspolitik führte in rotarischen Kreisen zur Forderung nach dem Ausschluss jüdischer Mitglieder, den viele Clubs direkt umsetzten, obwohl er unvereinbar mit den rotarischen Werten der Fairness und Vielfalt war. Die systematische Propaganda, die Unterdrückung der Wahrheit und die Abschaffung rechtsstaatlicher Prinzipien und das Schüren von Hass und Misstrauen zerstörte die Basis für Freundschaft und guten Willen. Der totalitäre Anspruch der "Gleichschaltung" aller gesellschaftlichen Organisationen hatte zur Folge, dass die international vernetzten deutschen Rotary Clubs dem NS-Regime ein Dorn im Auge blieben, so dass sie sich schließlich 1937 auflösten, um einem drohenden Verbot zuvor zu kommen.

In seinem Buch "Die Rotary Clubs im Nationalsozialismus: Die ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder" weist Herrmann Schäfer darauf hin, dass die Rolle der Clubs im Nationalsozialismus in den nachfolgenden Jahrzehnten durch Rotary nur rudimentär aufgearbeitet wurde. Seine Recherchen sind eine umfangreiche Dokumentation über die Beteiligung von Mitgliedern der Rotary Clubs an der Ideologie der Nazis sowie zur Verschleppung der Aufarbeitung der eigenen Geschichte bis in das 21 Jahrhundert.

Die damalige geschichtliche Entwicklung zeigt die radikale Unvereinbarkeit zwischen Rotarys humanistischen Werten und einer totalitären Ideologie.

Obwohl die historischen Umstände heute verschieden sind zu Nazi-Deutschland, werden Rotarys Werte auch heute wieder durch autoritäre, nationalistische und illiberale Strömungen weltweit bedroht. Diese modernen Herausforderungen manifestieren sich oft subtiler, greifen aber dieselben Kernprinzipien an. Die gezielte Verbreitung von Desinformation und die Angriffe auf unabhängige Medien und Justizsysteme untergraben die Suche nach Wahrheit und Fairness, die Eckpfeiler der Vier-Fragen-Probe. Ein wiedererstarkender Nationalismus, oft gepaart mit Fremdenfeindlichkeit, stellt Rotarys Engagement für globale Verständigung in Frage und dämonisiert internationale Zusammenarbeit. Angriffe auf Minderheitenrechte und das Ideal der Vielfalt stehen im Widerspruch zum rotarischen Bekenntnis zu Inklusion und Gerechtigkeit für alle.

Ein international zunehmendes Klima der Polarisierung und der Unterdrückung von Meinungsfreiheit erschwert zudem den Aufbau von Vertrauen und Freundschaft über Grenzen hinweg.

Heute werden die Kernwerte von Rotary – Dienstbereitschaft, Integrität, Wahrheit, Fairness, Freundschaft, Vielfalt und internationale Verständigung –, die ein klares Bekenntnis zu universellen humanistischen Prinzipien darstellen, wieder bedroht.

Die Geschichte des Nationalsozialismus liefert ein drastisches Beispiel für die fundamentale Unvereinbarkeit dieser Werte mit totalitären Systemen. Die heutigen Herausforderungen durch autoritäre und nationalistische Tendenzen zeigen, dass dieser Konflikt fortbesteht. Die Verteidigung der rotarischen Werte ist somit stets auch eine Verteidigung von Demokratie, Menschenrechten, Pluralismus, einer faktenbasierten Entscheidungsfindung und einer offenen, globalen Gemeinschaft. Die Resilienz dieser Werte hängt maßgeblich von der Bereitschaft ab, sie aktiv gegen jene Ideologien zu behaupten, die auf Ausgrenzung, Unwahrheit und der Unterdrückung des menschlichen Geistes basieren.

Wir wünschen uns, dass Rotary International, insbesondere aber auch Rotary USA,

1. seine Integrität sicherstellt und sich dafür aktiv den gesellschaftlichen Spaltungstendenzen entgegenstellt, indem die Kernwerte – Wahrheit, Fairness und Gemeinwohl – konsequent gelebt und verteidigt werden;

 2. seine Clubs ermutigt, die Vier-Fragen-Probe aktiv und bewusst auf ihre Projekte, Diskussionen und internen Abläufe anzuwenden. Dies gilt insbesondere für die Fragen nach Wahrheit und Fairness in einer Zeit der Desinformation und Spaltung. Die Vier-Fragen-Probe muss auch als Grundlage für zivilen Diskurs innerhalb der Clubs dienen, insbesondere bei kontroversen Themen. Es muss darum gehen, wie man diskutiert (fair, wahrheitsbasiert, auf guten Willen bedacht), nicht darum, bestimmte politische Meinungen zu verbieten, solange sie nicht Hass oder Diskriminierung fördern;

3. den Wert des "Gemeinwohls" demonstriert und im Rahmen von konkreter Projektförderung aktiv Brücken baut, um die Menschen aus unterschiedlichen politischen oder sozialen Lagern zusammenzubringen, und um gemeinsame Ziele zu erreichen;

4. Bemühungen um eine vielfältige Mitgliedschaft (Alter, Geschlecht, Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung, Beruf, Hintergrund) und inklusive Praktiken, bei denen sich alle Mitglieder wertgeschätzt und gehört fühlen, weiterhin stärkt;

5. seine internationale Natur und das Ziel der Völkerverständigung betont.

Nationalismus, Xenophobie, gezielte Desinformation, Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit, die Untergrabung von Fairness und Rechtsstaatlichkeit sowie die Einschränkung der Zivilgesellschaft bedrohen das Fundament von Rotary: Dienstbereitschaft, Integrität und globale Freundschaft.

Der Konflikt zwischen Offenheit und Ausgrenzung bleibt bestehen.

Es wird in den nächsten Jahren Mut erfordert, Überparteilichkeit zu wahren, Vielfalt aktiv zufördern, auf Fakten zu bestehen und den Fokus klar auf den selbstlosen Dienst zu legen. Dies wird eine kontinuierliche Anstrengung, die Engagement auf allen Ebenen von Rotary erfordert.

Priv. Doz. Dr. med. habil. Peter Tinnemann, MSt PH