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Staatsschutzreform

Staatsschutz- und Terrorismus-strafverfahren in Deutschland

Die Aktivitäten terroristischer Vereinigungen sowie staatsgefährdende Gewalttaten haben dramatisch zugenommen. Dem hat auch die strafrechtliche Gesetzgebung Rechnung getragen. Gleichwohl gibt es weiter Potential für die Optimierung der Verfahren

Hermann Wieland01.04.2017

Es vergeht kaum eine Woche ohne Mitteilungen in den Medien über terroristische Aktivitäten, Anschläge und aufgedeckte Vor­bereitungen zu solchen. Die Zentren der Umtriebe liegen überwiegend zwar im Ausland, jedoch ist Deutschland für die Organisationen und beteiligten Personen häufig ein Rückzugsraum, die soge­nannte „Rückfront“, geworden. Der Terror ist in­ter­nationalisiert. Al-Kaida, PKK, DHKP­-C, Grup­pierungen der IS, der Tamil-Tigers (um nur wenige exemplarisch zu benennen) halten sich nicht mehr an Landesgrenzen.

Dem hat auch die straf­rechtliche Gesetzgebung in Deutschland Rechnung getra­gen, indem sie u. a. die terroristischen Vereinigungen und staatsgefährdende Gewalttaten auch internationaler erfasst und ahndet. Mit dem NSU hatte sich auch in Deutschland eine kriminelle Vereinigung gebildet.

Komplizierte Ermittlungen
Laufend wird über neue Festnahmen von Beschuldigten berichtet. Die Ermittlungen übernehmen überwiegend der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminal­amt (unter Verwendung geheimdienst­licher Erkenntnisse). Sie gestalten sich regelmäßig sehr aufwändig und laufen über oft lange Zeit, da neben allgemeinen Ermittlungsarbeiten insbesondere Erkenntnisse aus Beobachtungen und Überwachungen, aus Internetrecherchen, aus Telefonüberwachungsmaßnahmen (Tele­fonate, SMS, WhatsApp, etc.) sowie aus ausländischen geheimdienstlichen Quellen gewonnen werden müssen. Vieles in diesem Ermittlungsbereich muss aus anderen Sprachen erst in die deutsche Sprache übersetzt, verschriftet und ausgewertet werden. Die schriftlichen Ermittlungsakten wachsen immer wieder auf Zehntausende von Seiten an.

Kommt es zu Anklagen, werden dafür regelmäßig die Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte zuständig. Solche sind in Deutschland an insgesamt nur neun Standorten von Ober­lan­desgerichten eingerichtet, d. h. ihre Zahl ist sehr ­gering. Die Staatsschutzsenate sind in den Haupt­­verhandlungen überwiegend mit fünf Berufsrichtern und weiteren Ergän­zungs­richtern besetzt, die Bundesanwaltschaft entsendet in diese Verhandlungen jeweils zwei bis drei Bundesanwälte bzw. Oberstaatsanwälte, jeder Angeklagte hat zu­mindest zwei Pflichtver­teidiger. Bei An­geklagten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, werden durchgehend mehrere Dolmetscher hinzugezogen.

Die Hauptverhandlungen der Staatsschutzsenate stehen zu ihrem Beginn fast immer unter hohem Öffentlichkeitsinteresse. Dann wird es aber über viele Monate hinweg ein kaum noch beachtetes Verfahren, bis schließlich häufig erst nach einem Jahr oder noch viel später ein Urteil gesprochen wird. Exemplarisch für besondere Längen sind das sogenannte Ruanda-­Verfahren wegen Völkermordes u. a. am OLG Stuttgart mit viereinhalb Jahren oder jetzt der sogenannte NSU-Prozess am OLG München mit schon über drei Jahren. Da­bei liegen diese Verfahrenslängen nicht an den Gerichten, sondern an den Verfahrens­regeln der deutschen Strafprozess­ordnung. Durch wenige Gesetzesänderungen ­könnte hier Abhilfe geschaffen werden.

Reformbedürftige Beweisaufnahme
Nachdem die Angeklagten in Staatsschutzsachen fast ausschließlich keine Angaben zu den Tatvorwürfen machen, bedarf es umfangreicher Beweisaufnahmen, die ge­rade für die neuen digitalen und elektronischen Beweisumstände keine zeitgemäßen Regelungen haben. So muss alles, was später im Urteil Berücksichtigung finden kann, unmittelbar und mündlich in der Hauptverhandlung behandelt werden.

Dies bedeutet, dass abgehörte Telefona­te in der Verhandlung angehört und – bei Übersetzungen – verlesen werden müssen. SMS und WhatsApp sowie Internetein­träge sind direkt in die Sitzungen einzubringen, Videos sind anzuschauen. Dabei sind die­se Beweisvorgänge umfänglich bereits in den Akten enthalten; inhaftierte Angeklag­te in umfangreichen Staatsschutzverfahren erhalten (obwohl dies die Prozessordnung nicht so regelt) die vollständige elek­tro­nische Akte mit Telefonmitschnitten auf CD samt einem Laptop zum Auslesen und auch Anhören, so dass sie unabhängig von ihren Verteidigern den Beweisstand selbst bewerten können. Insoweit wäre es kein Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit und die strafrechtlichen Beweisregeln, wenn das Gericht die Aktenteile bezeichnet, die es zu verwerten gedenkt. Der Angeklagte könnte dann jederzeit Einwendungen er­heben, wenn er begründete Mängel feststel­len würde, denen nachzugehen wäre.