Staatsschutzreform
Staatsschutz- und Terrorismus-strafverfahren in Deutschland
Die Aktivitäten terroristischer Vereinigungen sowie staatsgefährdende Gewalttaten haben dramatisch zugenommen. Dem hat auch die strafrechtliche Gesetzgebung Rechnung getragen. Gleichwohl gibt es weiter Potential für die Optimierung der Verfahren
Es vergeht kaum eine Woche ohne Mitteilungen in den Medien über terroristische Aktivitäten, Anschläge und aufgedeckte Vorbereitungen zu solchen. Die Zentren der Umtriebe liegen überwiegend zwar im Ausland, jedoch ist Deutschland für die Organisationen und beteiligten Personen häufig ein Rückzugsraum, die sogenannte „Rückfront“, geworden. Der Terror ist internationalisiert. Al-Kaida, PKK, DHKP-C, Gruppierungen der IS, der Tamil-Tigers (um nur wenige exemplarisch zu benennen) halten sich nicht mehr an Landesgrenzen.
Dem hat auch die strafrechtliche Gesetzgebung in Deutschland Rechnung getragen, indem sie u. a. die terroristischen Vereinigungen und staatsgefährdende Gewalttaten auch internationaler erfasst und ahndet. Mit dem NSU hatte sich auch in Deutschland eine kriminelle Vereinigung gebildet.
Komplizierte Ermittlungen
Laufend wird über neue Festnahmen von Beschuldigten berichtet. Die Ermittlungen übernehmen überwiegend der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt (unter Verwendung geheimdienstlicher Erkenntnisse). Sie gestalten sich regelmäßig sehr aufwändig und laufen über oft lange Zeit, da neben allgemeinen Ermittlungsarbeiten insbesondere Erkenntnisse aus Beobachtungen und Überwachungen, aus Internetrecherchen, aus Telefonüberwachungsmaßnahmen (Telefonate, SMS, WhatsApp, etc.) sowie aus ausländischen geheimdienstlichen Quellen gewonnen werden müssen. Vieles in diesem Ermittlungsbereich muss aus anderen Sprachen erst in die deutsche Sprache übersetzt, verschriftet und ausgewertet werden. Die schriftlichen Ermittlungsakten wachsen immer wieder auf Zehntausende von Seiten an.
Kommt es zu Anklagen, werden dafür regelmäßig die Staatsschutzsenate der Oberlandesgerichte zuständig. Solche sind in Deutschland an insgesamt nur neun Standorten von Oberlandesgerichten eingerichtet, d. h. ihre Zahl ist sehr gering. Die Staatsschutzsenate sind in den Hauptverhandlungen überwiegend mit fünf Berufsrichtern und weiteren Ergänzungsrichtern besetzt, die Bundesanwaltschaft entsendet in diese Verhandlungen jeweils zwei bis drei Bundesanwälte bzw. Oberstaatsanwälte, jeder Angeklagte hat zumindest zwei Pflichtverteidiger. Bei Angeklagten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, werden durchgehend mehrere Dolmetscher hinzugezogen.
Die Hauptverhandlungen der Staatsschutzsenate stehen zu ihrem Beginn fast immer unter hohem Öffentlichkeitsinteresse. Dann wird es aber über viele Monate hinweg ein kaum noch beachtetes Verfahren, bis schließlich häufig erst nach einem Jahr oder noch viel später ein Urteil gesprochen wird. Exemplarisch für besondere Längen sind das sogenannte Ruanda-Verfahren wegen Völkermordes u. a. am OLG Stuttgart mit viereinhalb Jahren oder jetzt der sogenannte NSU-Prozess am OLG München mit schon über drei Jahren. Dabei liegen diese Verfahrenslängen nicht an den Gerichten, sondern an den Verfahrensregeln der deutschen Strafprozessordnung. Durch wenige Gesetzesänderungen könnte hier Abhilfe geschaffen werden.
Reformbedürftige Beweisaufnahme
Nachdem die Angeklagten in Staatsschutzsachen fast ausschließlich keine Angaben zu den Tatvorwürfen machen, bedarf es umfangreicher Beweisaufnahmen, die gerade für die neuen digitalen und elektronischen Beweisumstände keine zeitgemäßen Regelungen haben. So muss alles, was später im Urteil Berücksichtigung finden kann, unmittelbar und mündlich in der Hauptverhandlung behandelt werden.
Dies bedeutet, dass abgehörte Telefonate in der Verhandlung angehört und – bei Übersetzungen – verlesen werden müssen. SMS und WhatsApp sowie Interneteinträge sind direkt in die Sitzungen einzubringen, Videos sind anzuschauen. Dabei sind diese Beweisvorgänge umfänglich bereits in den Akten enthalten; inhaftierte Angeklagte in umfangreichen Staatsschutzverfahren erhalten (obwohl dies die Prozessordnung nicht so regelt) die vollständige elektronische Akte mit Telefonmitschnitten auf CD samt einem Laptop zum Auslesen und auch Anhören, so dass sie unabhängig von ihren Verteidigern den Beweisstand selbst bewerten können. Insoweit wäre es kein Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit und die strafrechtlichen Beweisregeln, wenn das Gericht die Aktenteile bezeichnet, die es zu verwerten gedenkt. Der Angeklagte könnte dann jederzeit Einwendungen erheben, wenn er begründete Mängel feststellen würde, denen nachzugehen wäre.