Interview
„Weg vom Klein-Klein“
Susanne Merten-Wente, Vorsitzende des Deutschen Governorrats (DGR), freut sich über die guten Ergebnisse ihres Amtsjahres. Ein paar hartnäckige Themen aber bleiben.
Nur noch ein paar Tage, dann endet das rotarische Jahr 2019/20 und Jan Mittelstaedt (RC Konstanz-Mainau) übernimmt den Vorsitz eines rotarischen Gremiums, das seit 1955 existiert und auf internationalem Rotary-Parkett eine Besonderheit darstellt.
Einen Governorrat gibt es (fast) nur hierzulande. Wie lautet seine Aufgabenstellung und welchen Nutzen ziehen Rotarierinnen und Rotarier daraus?
Der DGR dient als freiwilliger Zusammenschluss für Gedankenaustausch. Dabei soll das D eigentlich nicht nur für die 15 deutschen, sondern generell für alle deutschsprachigen Governors stehen. Deswegen sind zum Beispiel die Governors aus Österreich, der Schweiz und den Niederlanden ausdrücklich eingeladen, gemäß Geschäftsordnung allerdings nicht stimmberechtigt. Der Blick über den deutschen Tellerrand entspricht tatsächlich ja auch mehr Rotarys Zonenstruktur, wir sind schließlich eine internationale Organisation, das wird immer gern mal vergessen.
Der Deutsche Governorrat ist eine Erfolgsgeschichte und für alle Rotarier von hoher Relevanz, denn er setzt Impulse und sieht Lösungen, wo andere noch Herausforderungen definieren. Die Zielsetzung ist, Rotary voranzubringen, und wir haben deswegen in den letzten Monaten diverse innerdeutsche Themen abgehandelt. Für die Schweizer und Österreicher war das stellenweise dann nur bedingt spannend. Zugegeben: Hin und wieder beschäftigt sich der DGR etwas zu viel mit sich selbst, Stichwort RO.CAS2, die neue Clubverwaltungssoftware. Aber wie gesagt, die Kernaufgabe ist Gedankenaustausch, damit wir wichtige Weichenstellungen für die Zukunft erarbeiten beziehungsweise beeinflussen können – national und international.
Welche strategischen Entscheidungen wurden während Ihrer Zeit getroffen?
Zum Beispiel das neue Budget für Krisenmanagement: Es ist professionell aufgezogen und wird im Fall des Falles eine große Hilfe für den Öffentlichkeitsausschussvorsitzenden und den Öffentlichkeitskoordinator sein. Des Weiteren haben wir eine Satzungsänderung für und mit RDG – Rotary Deutschland Gemeindienst e. V. – auf den Weg gebracht, alle Fragen der RDG-Vertreterversammlung vom letzten Oktober sind mittlerweile beantwortet. Das war im Übrigen typisch auch für meine Rolle als sogenannter „Servant Leader“: Es galt, Stimmungen der Governors aufzunehmen, zu moderieren, zu vermitteln und dafür zu sorgen, dass Probleme oder Aufgabenstellungen einer Lösung zugeführt werden. Ein weiteres Thema, schon lange im Gespräch, sind die Datenschutzrichtlinien, die nun in meinem Jahr nach intensiver Zusammenarbeit mit der Vorsitzenden des Datenausschusses Wilma Heim (RC Gladbeck-Kirchhellen) endlich unterzeichnet werden können. Auch die Bereiche „CoR und CoL“ habe ich zusammen mit Hans-Hermann Kasten, dem CoL-Beauftragten, mehr ins Rampenlicht gerückt, denn die deutschsprachigen Mitglieder könnten bei Rotarys gesetzgebenden Gremien eine deutlich aktivere Rolle einnehmen. Das ist wichtig, um von passivem Gemecker wie „Was für einen Unsinn haben die da bei RI denn nun schon wieder entschieden“ wegzukommen. Viel besser ist es doch, mit Anträgen selbst aktiv zu werden, um Rotary mitzugestalten.
Stichwort Zukunft: Welche Diskussionen stehen für den DGR in 2020/21 an?
Zum Beispiel zur Verzahnung der DGR-Crew-Mitglieder in den Ausschüssen. Im Hinblick auf all die genannten und auch zukünftigen Themen gilt: Wir müssen die Kompetenz der Ausschussvorsitzenden wieder mehr würdigen und sinnvoll einsetzen, denn ihre Bedeutung ist in der Vergangenheit zu kurz gekommen. Das liegt daran, dass die Einbindung von Crew-Vertretern durch die regelmäßige Teilnahme an Sitzungen vor gut einem Jahr abgeschafft worden war, was sich als nicht zielführend erwiesen hat. Die Arbeit der einzelnen Ausschüsse wird nur dann angemessen wertgeschätzt, wenn einzelne Governors direkt involviert sind. Zudem ist es natürlich enorm wichtig, dass der DGR weiß, worüber in den Distrikten diskutiert wird, was man in erster Linie durch die Arbeit – oder wenigstens Zuhören – in den Ausschüssen mitbekommt.
Auch die Aktualisierung der Geschäftsordnung steht an, zum Beispiel hinsichtlich Online-Meetings. Der DGR gehörte zu den ersten Institutionen, die aufgrund der Corona-Krise ihre Konferenz ins Internet verlegt haben. Mit 62 Teilnehmern über zwei Tage – ohne Probleme. Auch das Ausland war dabei.
Strategisch zu vollenden ist das Thema Rotaract: Deren Verzahnung mit Rotary ist in den Distrikten bislang sehr unterschiedlich. Die Spanne reicht von gemeinsamen Distriktkonferenzen mit gemeinsamer Ämterübergabe bis hin zu völligem Ignorieren. Hier ist noch jede Menge Verbesserungspotenzial. Es gibt ja zum Beispiel die Aufforderung von RI, nicht nur die jeweiligen Distriktsprecher von Rotaract in den Distriktbeirat aufnehmen, sondern auch Rotaracter mit Ämtern zu versehen, zum Beispiel Mitgliedschaftsentwicklung oder auch Gemeindienst. Das zweite unvollendete Thema lautet Frauen bei Rotary, hier sind die deutschsprachigen Distrikte noch immer nicht in der Normalität angekommen. Und das spüren wir, es gibt entsprechend viel zu wenige Präsidentinnen, und die, die wir haben, sind fast ausschließlich noch berufstätig. Mit der Folge, dass es auch zu wenige Governorinnen gibt. Es gab beim letzten CoL einen Antrag, gemäß dem nur noch derjenige Governor werden darf, der einem gemischten Club angehört. Das wurde aber abgelehnt. Sehr bedauerlich, denn das Erleben eines „gemischten“ Cluballtags ist nicht nur in meinen Augen eine elementare Voraussetzung dafür, um als Governor bestimmte Themen überhaupt glaubhaft setzen zu können.
Ein weiteres und schwieriges Dauerbrennerthema ist, dass wir Rotary in Deutschland und Österreich attraktiver
für Berufstätige machen müssen. Ich habe in meinem Governorjahr einen unglaublich anstrengenden Spagat hingelegt, um allen meinen Aufgaben gerecht zu werden. Und ich hatte ja noch einen kleinen Distrikt. Aus Zeitgründen habe ich auch die Diskussion um eine mögliche Geschäftsstelle für Rotary in Deutschland verschoben, die wird vermutlich im nächsten rotarischen Jahr fortgeführt werden.
Welche Empfehlung haben Sie für Ihre Nachfolger?
Gut gerüstet Kontinuität zu wahren – und gleichzeitig Wiederholung vermeiden. Wir müssen uns darauf konzentrieren, Themen einfach mal abzuarbeiten, damit sie a) nicht nach zwei Jahren wiederkommen und b) wir uns damit vom ewigen Klein-Klein im eigenen Saft lösen. Ich habe mit einem wunderbaren Team zusammengearbeitet, aber denke, es ist okay, wenn der Vorsitz nur ein Jahr dauert. Auch beim DGR können wir gut mit dem bei Rotary üblichen Ämterwechsel nach zwölf Monaten leben – wenn man strukturiert die Staffette weitergibt. Schließlich gibt es ja einen Sekretär als Garant für Kontinuität, da er oder sie das Amt über drei Jahre bekleidet. Und: Der DGR sollte nicht den Bestrebungen nachgeben, sich zu verrechtlichen, denn das bringt gar nichts – wir verbessern den Governorrat auf keinen Fall durch mehr Regeln.
Und Ihr persönliches Fazit lautet?
Ich bin positiv überrascht. Durch das Amt sind wunderbare Freundschaften entstanden, innerhalb meiner Crew gibt es einen ungeheuren Zusammenhalt. Dieser Aspekt war mir vorher unbekannt, ist aber gar nicht mit Gold aufzuwiegen und für die inhaltliche Kontinuität innerhalb der Governorstafetten günstig. Das Gute bleibt in Erinnerung. Es war mir eine Ehre!
Das Gespräch führte Frauke Eichenauer.
Zur Person
Susanne Merten-Wente (Rotary Club München-Münchner Freiheit) war 2018/19 Governorin in D 1842 und 2019/20 Vorsitzende des DGR.