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Interview zur Tierhaltung

»Wir haben Fehler im System«

Jedes Jahr werden in Deutschland und Österreich Millionen Schweine, Hühner, Enten und sonstige sogenannte Nutztiere gehalten und geschlachtet. Die dabei herrschenden Bedingungen wurden bis dato kaum diskutiert. Doch in jüngster Zeit rücken Tierhaltung und Tierschutz verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit. Nachdem Mitte Juli eine Fernsehdokumentation enthüllte, wie dramatisch die Zustände in manchen Massentierhaltungs­betrieben sind, wurde das Thema zum Politikum. Die Beiträge des August-Titelthemas widmen sich den Lebensbedingungen der Vierbeiner in unseren Ställen – und diskutieren dabei auch, ob Tiere eigene Grundrechte haben.

15.08.2014

Herr v. Bassewitz, was sagen Sie als Landwirt, als Bio-Bauer dazu, wenn Sie von Massentierhaltungen hören, von Ställen, in denen hunderte oder gar tausende Tiere auf engstem Raume gehalten werden?

Heinrich v. Bassewitz: Zunächst sollten wir festhalten: Die Zahl der Tiere ist im Grunde unerheblich. Sie finden in der Natur Herden mit 80.000 Gnus oder hunderttausenden Flamingos. Nur: Diese Tiere leben draußen und können sich frei bewegen. Und das ist wichtig! Viel wichtiger als die Frage, wieviele Tiere man hat, ist die Frage, wieviel Platz es pro Tier gibt. Kann sich ein Schwein frei bewegen? Kann ein Rind seine artgerechten Verhaltensweisen ausleben? Viele Tiere zu halten ist noch nicht verwerflich. Es geht um den Platz für das einzelne Tier.

Wie konnte es dazu kommen, dass offenbar schwarze Schafe unter den Landwirten Tiere in katastrophalen Zuständen halten?
Meiner Meinung nach haben sich in den letzten Jahren Systemfehler herausgebildet. Es sind Auswüchse entstanden unter der ständigen Notwendigkeit, die Produkte immer preiswerter anzubieten – oder als Erzeuger aus dem Markt auszusteigen.

Wodurch entsteht dieser Preisdruck?
Auch in der Landwirtschaft gibt es einen Wettbewerb, der die Produzenten zwingt, rationeller zu wirtschaften. Auf dem Lebensmittelmarkt haben wir noch immer Millionen von kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Erzeugern, die einem gut organisierten Handel mit wenigen, aber machtvollen Filialketten gegenüber stehen, der wiederum seinen Kunden einen beständig niedrigen Preis bieten will und dabei keine Rücksicht auf die Kostensituation der Erzeuger nimmt. Durch diesen beständigen Preisdruck haben wir die Situation, dass die Lebensmittel heute teilweise billiger sind als vor 50 Jahren. Und die Menschen geben auch nicht mehr 50 Prozent ihres Budgets für Lebensmittel aus, sondern nur noch zehn Prozent. Das hat zu den Produktionsverfahren geführt, die wir heute zu Recht infrage stellen.

Dass Lebensmittel günstiger werden, dürfte für viele Verbraucher eher erfreulich sein. Warum sprechen Sie dennoch von einem Fehler im System?
Da der Landwirt – egal ob „Bio“ oder konventionell – ein Unternehmer ist, muss er wie jedes Unternehmen Gewinne machen. Wer keine Gewinne macht verliert sein Unternehmen.

Ein Problem in dem System sind die Handelsstrukturen. Der Landwirt verhandelt nie mit dem Endverbraucher. Egal ob Fleisch oder Pflanzenprodukte, der Bauer verkauft nicht, sondern er „liefert ab“: Schweine, Rüben, Rinder, Weizen oder auch die Milch. Der Landwirt, so sagt man in der Agrarökonomie, ist ein Mengenanpasser. Sinkt seine Marge pro Einheit, produziert er mehr Einheiten. Da der Preis für seine Produkte quasi nie steigt, kann er seinen finanziellen Ertrag nur über die erzeugte Menge beeinflussen.

Was lässt sich dagegen tun? Sollen die Landwirte ihre Produkte selbst vermarkten?
Wir machen das ja bereits in gewissem Umfang mit unseren Produkten in unserer Erzeugergemeinschaft. Dadurch bekommt man ein bisschen mehr Marktmacht, die ein einzelner Betrieb gar nicht hat. Dass ein Bauer alles selbst vermarktet, ist nicht üblich und auch nur schwer machbar. Zum Beispiel muss ein Schweinemäster rund 3000-4000 Schweine mästen, um seine Familie ernähren zu können. Wenn er die selbst vermarkten wollte, dann müsste er ein Riesenschlachter werden, der 3.000–4000 Schweine auch verarbeiten kann,  oder sich einen großen Schlachtbetrieb suchen, der ihm das erledigt. Und dann müsste er auch noch tausende Kunden betreuen. Das ist allein kaum machbar.

Wir müssen uns schon nach den Marktbedingungen ausrichten, wie wir sie heute haben. Dabei müssen wir auch bedenken, dass wir nicht auf einer Insel leben. Wir konkurrieren mit Süd- und Nordamerika und dort geht, wie in Europa der Trend immer mehr in Richtung großflächiger Landwirtschaft, die nicht mehr familiengeführt ist. Da können Sie schon froh sein, wenn im Management gelernte Bauern sitzen. Kleine Betriebe müssen entweder größer werden oder aufhören. Und das Land von denen, die aufhören, pachten wiederum diejenigen, die größer werden. Das ist ein weltweiter Prozess, den können wir nicht per „Order de Mufti“ aufhalten.

Haben die deutschen Verbraucher in punkto Nahrung ein Mentalitätsproblem? In Ländern wie Frankreich oder Italien geben die Verbraucher einen deutlich höheren Prozentsatz ihres Gehalts für Lebensmittel aus.
Sicher hat das Essen nicht die erste Priorität in Deutschland. Erst kommt der Urlaub, dann das Auto, dann das Haus und erst viel später die Nahrung. Und sicherlich definieren sich Franzosen und Italiener viel stärker über ihre Esskultur.

Dennoch glaube ich, dass die Probleme anderswo liegen. Wir haben in Sachen Nahrung den Bezug zu unseren Wurzeln verloren. In meiner Generation haben wir fast alle noch Großaltern auf dem Land gehabt. Da wussten wir auch, dass ein Tier geschlachtet wird, und dass das nicht schön aussieht. Und wir wussten auch, dass wenn man Tiere hält, davon auch welche sterben; dass sie krank werden, nicht gut aussehen, genau wie auch Menschen, wenn sie alt werden.

Heute sehen sich die Kinder bunte Bücher an, in denen fünf Hühner um einen Hahn herum stehen, der auf dem Misthaufen hockt. Auf der Koppel dahinter stehen drei Kühe. Der Bauer fährt mit einem klapprigen Trecker über die Felder. Und allen geht es wunderbar. Die Menschen pflegen immer noch die verklärte Vorstellung eines Bauernhofs aus dem Jahre 1920, wenn er denn damals verklärt war! Wenn auf der Milchtüte „Gutes vom Eichenhof“ draufsteht, dann stellen sie sich eine große Eiche vor mit einem Hof drum herum, auf dem die Bäuerin fünf Kühe mit der Hand melkt. Doch so funktioniert es natürlich nicht.

Haben sich Landwirtschaft und Gesellschaft auseinander gelebt?
Ich glaube, wir hätten in jedem Falle die Verbraucher stärker mitnehmen müssen in dem Prozess der Modernisierung. Die moderne Landwirtschaft ist ja nicht schlecht. Der Einsatz von HighTech, etwa die Steuerung von Traktoren durch GPS-Geräte, führt u.a. dazu, dass weniger Diesel und weniger Dünger benötigt wird, weil pro Quadratmeter bodengerecht gestreut werden kann. Nicht zuletzt hat der technische Fortschritt auch zu mehr Lebensqualität für die Tiere geführt, z.B. durch eine Verbesserung der Tiergesundheit, der Hygiene.

Wir nehmen deshalb auch an „Tagen der offenen Tür“ teil. Da kommen dann Busse-weise Besucher, mit denen wir überall herum gehen und ihnen alles zeigen. Und wir reden mit ihnen über unseren Hof und die Situation der Landwirtschaft. Das halte ich für extrem wichtig, denn man kann dem Verbraucher das nirgendwo besser zeigen als auf dem Hof selbst.

Was entgegnen Sie Veganern, die Tierhaltung gleich welcher Art ganz ablehnen?
Das grenzt für mich beinahe schon an Fanatismus, der letztlich auch schädlich ist, da wir Menschen von der Evolution her auch Fleischesser sind. Dank der Eiweißversorgung durch das Fleisch konnte sich das Gehirn überhaupt erst zu dem entwickeln, was heute den Homo sapiens auszeichnet. So raten Ärzte schwangeren Frauen dringend, während der Empfängnis nicht auf den Fleischverzehr zu verzichten.

Man sollte auch berücksichtigen, dass in der letzten Konsequenz die Vorstellungen der Veganer dazu führten, dass die Tiere abgeschafft würden. Denn dann wäre kaum noch jemand bereit und finanziell in der Lage, Tiere nur zum Spaß zu halten und ihren kostspieligen Unterhalt zu bestreiten. Und wir könnten uns die Schafe und Kühe nur noch in einigen wenigen Zoos anschauen.

Gibt es einen Königsweg zwischen den Bedürfnissen der Menschen und einem vernünftigen Leben für Tiere?
Zunächst einmal finde ich es gut und richtig, dass über ethische Vorstellungen in bezug auf die Tierwelt diskutiert wird. Wir sind verantwortlich für das Tier. Ganz wesentlich ist, dass ein Tier nicht leiden darf, sowohl im Leben als auch beim Sterben. Und deswegen bin ich immer dafür, darüber nachzudenken, ob man gewisse Dinge in diesem System nicht überdenken muss.

Andererseits sollten wir auch keine zu großen Erwartungen wecken. Es wird immer eine Trennung zwischen Haus- und Nutztieren geben. Hund, Katze und Wellensittich werden von den Menschen immer anders gehalten und bei Krankheit auch mit einem anderen Aufwand gepflegt werden als Schwein, Rind und Huhn. Aber wichtig ist, dass auch die zuletzt genannten Tiere artgerecht leben können.

Wer oder was ist gefragt, damit dies möglich wird?
Dafür sind letztlich alle Ebenen gefragt. Natürlich ist es Aufgabe der Landwirte, die eigenen Produktionsmethoden immer wieder kritisch zu überprüfen. Dazu gehört etwa die Frage, wieso jemand eine Sau züchtet, die mehr Ferkel wirft als sie säugen kann.

Auch die Wissenschaft ist gefordert, an Verfahren mitzuarbeiten, die sowohl den heutigen Ansprüchen eines menschlichen Verbrauchers als auch den Tieren gerecht werden – und dabei auch wirtschaftlich noch umsetzbar sind. Die Aufgabe der Politik ist es, die Forschung durch eine solide Finanzierung sicherzustellen, damit die Wissenschaftler wirklich frei arbeiten können und nicht etwa ökonomischen Zwängen folgen müssen.

Und der Verbraucher muss bereit sein, für hochwertigere, d.h. teurere Verfahren auch mehr zu bezahlen. Ein Tier frei zu halten, kostet einfach mehr Geld.

Das Interview führte René Nehring

Zur Person:
Heinrich Graf v. Bassewitz (RC Tessin-Recknitztal) kaufte seit dem Beginn der neunziger Jahre nach und nach das alte Familiengut Dalwitz in Mecklenburg zurück und errichtete dort einen ökologischen Landwirtschaftsbetrieb. Neben zahlreichen Ehrenämtern ist er der Öko-Beauftragte des Deutschen Bauernverbands und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der deutschen Bundesregierung.
www.feriengutdalwitz.de