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Recherchereise Tag 3

Zusätzlich zu Nahrung und Transport: psychologische Hilfe

Recherchereise Tag 3 - Zusätzlich zu Nahrung und Transport: psychologische Hilfe

Auf der Tour zur polnisch-ukrainischen Grenze traf Rotary-Magazin-Redakteur Florian Quanz auch rotarische Helfer, die die Flüchtlinge psychologische unterstützen.

03.04.2022

Ich bin erstaunt. Gut zehn Minuten sind wir schon mit dem Auto unterwegs und noch ist keine Grenzkontrolle in Sicht. Dabei dachte ich, dass die Grenze noch näher ist. Ich sitze zusammen mit Karin Hirsch-Gerdes vom Rotary Club Kamen in einem Kleintransporter. Wir sind zusammen mit Mitstreitern von ihr vom Deutschen Dachverband für Psychologie von Przemysl nach Medyka an die Grenze zur Ukraine unterwegs. Karin Hirsch-Gerdes betreut eine Woche lang Geflüchtete aus der Ukraine. Ich werde immer wieder mit ihr zusammentreffen, wir werden uns austauschen und ich werde sie auch an einem weiteren Tag bei ihrer Arbeit begleiten.

Plötzlich erkenne ich in der Ferne Bauten, die wie ein Grenzübergang aussehen. Tatsächlich, eine lange gerade Straße führt uns nun direkt an die Grenze zur Ukraine – dem Land, in dem seit mehr als einem Monat Krieg herrscht. So nah war ich noch nie einem Krieg in meinem Leben. Ein mulmiges Gefühl steigt in mir auf, wenngleich die Grenzregion von kriegerischen Auseinandersetzungen bislang verschont wurde.

Vor den eigentlichen Grenzstationen beider Seiten sind auf polnischer Seite eine Menge Zelte zu sehen. Ganz viele Hilfsorganisationen sind vor Ort, das wird mir auf den ersten Blick klar. Auf den zweiten erkenne ich, dass es fast nur private Hilfsorganisationen sind, abgesehen von den Vereinten Nationen. Das ehrenamtliche Engagement ist enorm, neben verschiedenen Essensstationen gibt es eine ärztliche und psychologische Versorgung vor Ort sowie einen geregelten Weitertransport von der Grenze in die Stadt Przemysl, wo eine Erstaufnahmeeinrichtung existiert. Die Busse, die die Geflüchteten dorthin bringen, stammen aus der Stadt Paderborn. Vieles haben Ehrenamtliche organisiert und eingerichtet. Der Staat Polen oder andere Staaten sind als Hilfsorganisator nicht sichtbar.

Der große Strom an Flüchtlingen ist erst einmal vorüber. Ich sehe nur vereinzelt einzelne Familien, meistens Großmutter, Mutter und Kind zusammen die Grenze in Richtung Polen passieren. Ihnen steht ins Gesicht geschrieben, welch langen Weg in Richtung Sicherheit sie hinter sich haben. Halberfrorene Kinder, Mütter, die kaum noch Kraft haben, ihren Trolley zu ziehen und Großmütter, die mit Tränen in den Augen vor einer völlig ungewissen Zukunft stehen. Es sind berührende Szenen, die sich abspielen – berührend im doppelten Sinne. Die Hilfsbereitschaft von Menschen aus vielen Ländern der Welt ist beeindruckend, das sichtbare Leid der Geflüchteten ist bedrückend. Sehr bedrückend.

Ich frage mich, wie drei Personen wochenlang mit Kleidung aus einem einzigen Trolley auskommen sollen. Unmöglich. Aber wie sollen Menschen, die mitunter hunderte Kilometer geflüchtet sind, mehr mitnehmen? Die Brutalität des Krieges – sie ist in den Gesichtern der Geflüchteten abzulesen.

Hier wird sichtbar, wie wichtig rotarische Hilfe ist. Und sie kommt an. Nicht nur die Lieferung von Karin Hirsch-Gerdes, die Medikamente für ein Ärzteteam vor Ort mitgebracht hat. Fast noch wichtiger als die Medikamente ist die Anwesenheit von Personen wie ihr. Personen, die sich um die Geflüchteten vor Ort kümmern, ihnen Ängste nehmen, ein offenes Ohr haben, sie einfach mal in den Arm nehmen und trösten. Diese Herzenswärme zu sehen, lässt mich für einen Moment vergessen, welch schrecklicher Anlass diese Herzenswärme erst erfordert. Die Grenzstation nahe Przemysl ist ein Ort voller Hoffnung und doch voller Traurigkeit. Es ist diese Mischung, die mein Herz aufwühlt. Wenngleich ich heute nur drei Stunden an dieser Grenze war, ich werde noch lange an diese Stunden und Bilder denken. Sehr lange.