https://rotary.de/gesellschaft/zwischen-integration-und-ausgrenzung-a-19657.html
Forum

Zwischen Integration und Ausgrenzung

Forum - Zwischen Integration und Ausgrenzung
Gemeinsam mit Bildhauer Bernd Obernüfemann (Mitte) gestalteten Schülerinnen das Mahnmal für die ausgeschlossenen jüdischen OTV-Sportler. Entwurf: Gina Tepe (re.) © Jan Müller

Der jüdische Sportverband Makkabi wird Anfang März mit der Buber-Rosenzweig-Medaille ausgezeichnet. Ein Blick auf die Geschichte des jüdischen Sports in der Region Osnabrück.

Hermann Queckenstedt01.03.2022

Das Jahr 2021 galt in Deutschland der Erinnerung an die 1700-jährige Tradition jüdischen Lebens, die zwischen gewalttätiger Ausgrenzung und gelungener Integration changiert. Beides lässt sich in der aufblühenden Sportbewegung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts nachweisen, die nicht erst nach der Machübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 in Diskriminierung und Verfolgung mündete.

Dabei gehörten jüdische Akteure wie Walter Bensemann als Mitbegründer diverser südwestdeutscher Vereine, Namensgeber für den 1900 gegründeten Deutschen Fußball-Bund (DFB) und Gründer des Fußballmagazins kicker zu den Wegbereitern des deutschen Fußballs. Hatte er schon vor dem Jahr 1900 Begegnungen gegen Teams aus England und Frankreich organisiert, so traten seit 1911 die jüdischen Stürmer Julius Hirsch und Gottfried Fuchs aus Karlsruhe als herausragende DFB-Nationalspieler in Erscheinung. Die Juden Kurt Landauer und Alfred Ries wirkten sowohl vor 1933 als auch nach 1945 als Präsidenten von Bayern München beziehungsweise Werder Bremen.

Ein unaufgeregtes Beispiel für die geradezu selbstverständliche Integration jüdischer Aktiver liefert der heutige Drittligist SV Meppen, wo seit 1912 Hans Cohen und spätestens Mitte der 1920er Jahre auch dessen Bruder Fritz sowie Kurt Visser kickten, der zudem im örtlichen Tennisverein spielte. Beim VfL Osnabrück war der jüdische Schlachtermeister Felix Löwenstein Spielausschussobmann und unterstützte den Verein zudem als Mäzen.

Bis 1933 überwiegend anerkannt ...

2022, forum, queckenstedt

1932 erhielt Carl Meyer (mittlere Reihe, ganz rechts, im Dress seines Klubs Ballsport Eversburg) für seine Verdienste als Schiedsrichter und Funktionär die goldene Ehrennadel des WSV. Eine jüdische Zeitung hielt dies für besonders erwähnenswert, weil Meyer „unter starken antisemitischen Anfeindungen zu leiden“ habe. 1936 wanderte seine Familie nach Argentinien aus. © vossmeyerveteranos/sammlung przygode, angela von brill/diözesanmuseum osnabrück

Vor 1933 erwarben jüdische Sportfreunde im Wettkampf, als Schieds- oder Kampfrichter sowie als Funktionäre gesellschaftliche Anerkennung und konnten sogar im katholischen Sportverband Deutsche Jugendkraft (DJK) aktiv werden, wenn sich ihnen vor Ort – wie etwa im nördlichen Emsland – keine Alternative bot. Andererseits gab es offenen Antisemitismus und gezielte Ausgrenzung: Der Osnabrücker Turnverein (OTV) schloss seine jüdischen Mitglieder bereits 1924 unter dem Einfluss des rechtsradikal orientierten Funktionärs und Unternehmers Fritz Frömbling aus: unter ihnen der jüdische Kaufmann und OTV-Förderer Philipp Nussbaum, dessen Sohn Felix um 1930 als äußerst talentierter Künstler in Berlin auch den Sport ins Bild setzte.

Im Mai 1924 gründeten jüdische Ex-OTVler den „Jüdischen Sportverein“, der mehrere Fachabteilungen aufbaute und vom Osnabrücker Sport-Vordenker und -lehrer Ernst Sievers gecoacht wurde. Als Nichtjude kehrte dieser – wie auch die gesamte demokratisch gesinnte Fußballabteilung „Spiel und Sport“ – dem OTV nun den Rücken. Ein Grenzgänger zwischen den Vereinen war Carl Meyer: Er gehörte zu den Wegbereitern des Jüdischen Sportvereins, der sich unter seinem Einfluss vergeblich um die Aufnahme in den Westdeutschen Spielverband (WSV) bemühte und Meyer schon im ersten Jahr zum Ehrenvorsitzenden ernannte. Meyer war zudem Jugendobmann des WSV-Fußballbezirks Osnabrück und im örtlichen Verein Ballsport Eversburg aktiv.

Vor allem in Ballungsräumen waren vor 1933 auch ohne Zwang jüdische Sportvereine entstanden, die zwei Lager innerhalb der jüdischen Gemeinden repräsentierten. Während der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) und der Verband Schild eher auf eine Integration in die allgemeine deutsche Sportbewegung hofften, waren die Makkabi-Klubs zionistisch und damit separatistisch orientiert.

... nach 1933 kam die Wende

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 schlug die vielerorts positive Grundstimmung um, und spätestens jetzt wurden die jüdischen Mitglieder oft in vorauseilendem Gehorsam aus den Sportvereinen gedrängt oder ausgeschlossen. Gleichwohl tolerierte das NS-Regime im Vorfeld der Olympischen Spiele von 1936 in Berlin die nun angesichts der massenhaften Vereinsausschlüsse vielfach neu gegründeten jüdischen Sportgruppen und deren halbwegs geregelten Trainings- und Sportbetrieb, wobei sie öffentliche Sportanlagen kaum nutzen durften. Einen Ausweg aus dieser Misere bot das Tischtennis, das auch in kleineren Räumen gespielt werden konnte.

So betrieb die im November 1934 im münsterländischen Borghorst gegründete RjF-Sportgruppe wohl ausschließlich Tischtennis und nahm 1935 an Meisterschaften im Unterbezirk Münster des jüdischen „Schild-Gaues“ Westfalen teil. Im November 1933 schlossen sich aus den Vereinen des südlichen Ems- und des Osnabrücker Landes verdrängte jüdische Sportler ebenfalls zu einer RjF-Sportgruppe zusammen, die mit einem Fußball-Freundschaftsspiel gegen die DJK Fürstenau startete. Letztere unterlag und blieb der einzige nichtjüdische Gegner.

Nach 1936 wurde der Sportbetrieb für jüdische Vereine nicht zuletzt angesichts zunehmender Pogrome und Verfolgungen noch schwieriger. Die Akteure emigrierten oder wurden in Konzentrationslagern um ihre Freiheit und ihr Leben gebracht. Im niederländischen KZ-Durchgangslager Westerbork inhaftiert, spielte der emsländische Holocaust-Überlebende Fritz Heilbronn in einer Lagermannschaft Fußball, was ihn das Leben hinter Stacheldraht für kurze Zeit vergessen ließ.

Über viele Jahrzehnte verdrängte der OTV-Nachfolgeverein Osnabrücker Sportclub (OSC) die frühe antisemitische Haltung. Erst eine Gruppe von sieben Schülerinnen des Gymnasiums Bad Iburg und der Integrierten Gesamtschule Eversburg bewegte den Verein 2021 dazu, mit einem Gedenkort an die Ausgeschlossenen zu erinnern. Die Schülerinnen hatten mit einem preisgekrönten Podcast über die seinerzeit ausgeschlossene zehnjährige jüdische OTV-Turnerin Lea Levy am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten teilgenommen und so die inhaltliche Basis für Kunstkurse der Schulen gelegt, die den Gedenkort im Rahmen eines Wettbewerbs gestalteten.

Die 31 Entwürfe werden im März im Diözesanmuseum Osnabrück präsentiert, parallel findet auf dem davorliegenden Domhof eine Ausstellung mit lebensgroßen Figuren jüdisch-deutscher Sportler des 20. Jahrhunderts statt: neben überregionalen Größen auch Fritz Cohen, Kurt Visser, Felix Löwenstein, Carl Meyer und Lea Levy.

Zu den Unterstützern gehören unter anderem die örtliche Jüdische Gemeinde und der SV Meppen, aber auch die aktive Fanszene des VfL Osnabrück, die zusammen mit dem VfL-Fanprojekt und dem VfL-Museum das Bündnis „Tradition lebt von Erinnerung“ gegründet hat. Die Ausstellungsschirmherrschaft hat die Schwimmerin Sarah Poewe übernommen, die 2004 in Athen als erste Jüdin nach 1945 eine Olympia-Medaille für das deutsche Team erringen konnte.

Hermann  Queckenstedt

Dr. Hermann Queckenstedt, RC Osnabrück-Süd, ist Direktor des Diözesanmuseums Osnabrück. Er hat mehrere Ausstellungen zum Themenfeld „Fußball und Religion“ kuratiert und war von 2014 bis 2017 Präsident des VfL Osnabrück. Wegen der Coronapandemie hat sein Haus die für 2020 geplante Jubiläumsausstellung „Sport für Leib und Seele“ zur Geschichte der Deutschen Jugendkraft ins kommende Jahr verschoben.

bistum-osnabrueck.de