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„Gutpunkte“ zum Wohl von Leib und Seele

Forum - „Gutpunkte“ zum Wohl von Leib und Seele
Abrupt beendete die Osnabrücker Polizei am Pfingstmontag 1934 das Feldhandballspiel zwischen der DJK Niedersachsen und einem DJK-Team aus Münster. Nur vier Tage später verhängte der Beauftragte des Reichssportführers mit „sofortiger Wirkung (...) über alle D.J.K.-Vereine vollständiges Spielverbot“. Andernfalls werde er sie „durch die Geheime Staatspolizei auflösen lassen“. © Diözesanmuseum Osnabrück

„Gutpunkte“ für Wohlverhalten auf dem Fußballplatz? Diese in der abgelaufenen DFB-Saison wieder hochaktuelle Idee entwickelte der katholische Sportverband Deutsche Jugendkraft (DJK) 1932. In diesem Monat wird er 100 Jahre alt.

Hermann Queckenstedt01.09.2020

Um Sport für „Leib und Seele“ ging es dem Verband der katholischen Jünglingsvereinigungen, als er am 16. September 1920 in Würzburg die Deutsche Jugendkraft gründete. Damit beschritten die Initiatoren einen weltanschaulich-religiös geprägten Sonderweg abseits der Sportfachverbände, wie ihn auch die Arbeitersportler, das evangelische Eichenkreuz oder frühe jüdische Vereine wählten.

Nachdem „Leibesübungen“ schon im 18. Jahrhundert zum Fächerkanon katholischer Schulen gehört hatten, ermöglichten die im Geiste Adolph Kolpings entstandenen Gesellenvereine ihren Mitgliedern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu kegeln und zu turnen – wobei Letzteres als vaterländisch und ästhetisch motiviert sowie auf Körper und Geist ausgerichtet allgemein beliebt war. Fußball galt national gesinnten Pädagogen dagegen als „Fußlümmelei“ und „Englische Krankheit“, während Pfarrer ihn als unliebsame Konkurrenz bei der „Sonntagsheiligung“ betrachteten.

Große Clubs entstanden

Englische Kirchengemeinden setzten indes bei ihrer Jugendarbeit seit Mitte des 19. Jahrhunderts aufs Kicken: Ihnen entwuchsen Premier-League-Klubs wie Liverpool, Tottenham Hotspur, Manchester City, Everton oder Aston Villa, die seit 1888 in der ersten englischen Profiliga antreten. Unterdessen schritten in Deutschland junge Männer um die Jahrhundertwende in Alltagskleidung mit ballähnlichem Gerät und grob gezimmerten Toren auf provisorisch abgesteckten Wiesen zur Tat. Eine solche dreizehnköpfige Gruppe verließ 1900 in Mönchengladbach den Turnverein Germania, um am 1. August desselben Jahres den Fußballklub Borussia zu gründen. Und weil die Marianische Jünglings-Kongregation der Rosenkranz-Kirche im Ortsteil Eicken über einen eigenen Sportplatz verfügte, schlossen sie sich dieser kurzerhand an. In Dortmund waren es 18 fußballbegeisterte junge Männer der Kirchengemeinde Heilige Dreifaltigkeit, die 1909 der sportlich aktiven Jünglingssodalität den Rücken kehrten und mit dem Ballspielverein Borussia 09 die Basis für eine weitere Erfolgsgeschichte im deutschen Fußball legten.

1903 trat in Rom ein unerwarteter Verbündeter auf den Plan: Papst Pius X. öffnete den Vatikan zwischen 1904 und 1913 wiederholt für Wettkämpfe italienischer und internationaler Aktiver mit bis zu 6000 Teilnehmern – darunter auch Fußballspiele. Vom ersten internationalen Sportfest anlässlich seines goldenen Priesterjubiläums ging 1908 Signalwirkung aus. 2500 Aktive aus 100 Vereinen trugen auf dem als Stadion genutzten Belvederehof Wettkämpfe im Turnen, Fechten, Fußball sowie in der Leichtathletik aus.

Die katholische Wehrerziehung schuf im Ersten Weltkrieg jene Strukturen, die später die DJK prägten. Während die Präsides der örtlichen Jugendvereine die männliche Jugend seit 1914 allgemein auf Kriegseinsätze einstimmen sollten, waren die nachgeordneten Geländeübungen von „militärisch geschulten Personen“ durchzuführen. Als nach dem Krieg die allgemeine Wehrpflicht endete, sah die Osnabrücker Diözesansynode im Oktober 1920 in den neuen DJK-Sportgruppen die Chance, jugendlicher „Verweichlichung und Erschlaffung“ vorzubeugen. Folgerichtig kam Damensport zu diesem Zeitpunkt erst gar nicht in den Blick.

Rasanter Start

Nach 1920 unterstanden auch die sportlichen Leiter der unselbstständigen DJK-Abteilungen der Aufsicht der geistlichen Vereins-Präsides. Wer in der DJK aktiv werden wollte, musste einem katholischen Jugendverein angehören und regelmäßig an dessen geistlichem und geselligem Leben teilnehmen. In ihrem ersten Jahrzehnt entwickelte sich die DJK derartig schwungvoll, dass Vereine in katholischen Gegenden von der Deutschen Turnerschaft oder dem Deutschen Fußball-Bund ins DJK-Lager übertraten. Andernorts – wie etwa zwischen Meppen und Papenburg – waren diese säkularen Verbände erst gar nicht vertreten. Während die DJK dort auch evangelischen Christen und Juden den Beitritt ermöglichte, schloss sie katholische Mitglieder völkischer oder rechtsradikaler Organisationen grundsätzlich aus.

Das Erfolgsgeheimnis der DJK lag bis zu ihrem faktischen Verbot 1934 in ihrer leistungsfähigen, durch die Kirchengemeinden und Konfessionsschulen gestützten Organisation, deren Infrastruktur sie bis hin zu den Turnhallen nutzte. Vagabundierende „Straßenmannschaften“ konnten vielfach erst mit geistlicher Unterstützung und zum Teil auf Kirchengrund ihre Sportplätze anlegen. Andererseits radelten die Akteure in strukturschwachen Gegenden auf teils abenteuerlichen Wegen zum Spiel oder Wettkampf und hatten dabei bisweilen noch einen Mitspieler auf dem Gepäckträger. So entstand ein weit gespanntes Netz von Sportabteilungen, die ihren eigenen, teils mehrklassigen Spiel- und Wettkampfbetrieb in DJK-Bezirken, -Gauen, -Kreisen sowie auf Reichsebene betrieben. Darüber hinaus nominierte die DJK ihre besten Kicker für ihre Fußballnationalmannschaft, die insgesamt 13 Spiele gegen die katholische Auswahl der Niederlande absolvierte und 1933 – nach bis dahin lediglich einem Remis – erstmals im Hannoveraner Hindenburg-Stadion mit einem 2:1 als Sieger vom Platz ging.

Für den sportlichen Katholiken sollte jedoch weniger die Jagd um Punkte und Tore im Mittelpunkt stehen als vielmehr ethische, moralische und geistliche Werte. Dabei entsprach die Wirklichkeit nicht immer dem Ideal der geistlichen Vordenker. 1932 änderte die DJK ihr Regelwerk, um Schiedsrichterbeleidigungen und Fehlverhalten von Kickern auf dem Platz entgegenzuwirken: Neben den bei Ligaspielen üblichen zwei Punkten für den Sieg beziehungsweise einem fürs Remis sollte jedes Team unabhängig vom Ergebnis einen „Gutpunkt“ für Fairness erringen können, was – trotz Kritik an der Basis – am Ende der Saison über Meisterschaften sowie Auf- und Abstiege mitentschied. 

Leider konnte die DJK die neue Regel nicht mehr differenzierter erproben und bewerten: Um die pluralen Strukturen im Sport aufzulösen, zerschlug das NS-Regime 1933 zunächst den Arbeitersport und integrierte die DJK zwangsweise in den Wettkampfbetrieb der Sportfachverbände, bevor die Behörden ihr 1934 jegliche sportliche Betätigung verboten. Den Ernst der Lage bewies die Ermordung des DJK-Reichsführers Adalbert Probst in den Tagen nach dem angeblichen „Röhm-Putsch“ vom 30. Juni 1934, der den Machthabern Anlass zu einer groß angelegten Verfolgung ihrer Gegner gab. Die DJK-Abteilungen lösten sich nun auf, organisierten sich als säkulare eingetragene Vereine oder fusionierten mit anderen konfessionellen oder säkularen Klubs, nachdem der Verband zuvor bereits den Vorsitz der geistlichen Präsides zugunsten des „Führerprinzips“ aufgegeben hatte.

Drei Frauen an der Spitze

Obwohl sich die DJK 1947 neu gründete, blieben die katholischen Sportler nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Dach des Deutschen Sportbundes und seiner Fachverbände – ohne den ehemals autarken Sportbetrieb wieder aufzunehmen. Heute verzeichnet der Verband 475.000 Mitglieder in rund 1100 Vereinen: darunter auch der unterlegene Finalist im Endspiel um den DFB-Pokal der Frauen – die SGS Essen. Mit Elsbeth Beha als Präsidentin, Stephanie Hofschlaeger als Generalsekretärin und der „Sport- und Olympiaseelsorgerin“ Elisabeth Keilmann als geistlicher Beirätin hat der in seinen Anfängen frauendistanzierte Verband auf seinen drei Spitzenpositionen die beachtliche Frauenquote von 100 Prozent erreicht und setzt sich nach wie vor für ethische und moralische Kategorien im Sport ein.

Hermann  Queckenstedt

Dr. Hermann Queckenstedt, RC Osnabrück-Süd, ist Direktor des Diözesanmuseums Osnabrück. Er hat mehrere Ausstellungen zum Themenfeld „Fußball und Religion“ kuratiert und war von 2014 bis 2017 Präsident des VfL Osnabrück. Wegen der Coronapandemie hat sein Haus die für 2020 geplante Jubiläumsausstellung „Sport für Leib und Seele“ zur Geschichte der Deutschen Jugendkraft ins kommende Jahr verschoben.

bistum-osnabrueck.de

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