Zum Welt-Polio-Tag
Es bleibt das Ziel: Eine Welt ohne Kinderlähmung
Rund um den Welt-Polio-Tag Ende Oktober organisieren die Rotarier viele Aktionen - auch dieses Jahr wieder. Und ein Arzt erzählt, warum er sich in der Gates-Foundation gegen Polio stark macht.
Auf der Rotary Convention im Juni erneuerten Rotary und die Bill & Melinda Gates Foundation ihre langfristige Zusammenarbeit für den Kampf gegen Polio: Rotary verpflichtete sich, in den nächsten drei Jahren jeweils 50 Millionen Dollar aufzubringen. Die Gates Foundation will diese Summe jedes Mal um das Doppelte erhöhen. Das bedeutet: In dieser Zeit summiert sich der Geldbetrag auf 450 Millionen Dollar für Aktivitäten gegen Polio.
Jay Wenger, Direktor des Anti-Polio-Programms bei der Gates Foundation erzählt hier von seiner Arbeit als Epidemiologe und macht deutlich, warum es so wichtig ist, die Kinderlähmung auszulöschen.
„Ich wollte schon als Kind Arzt werden, aber eigentlich dachte ich, ich würde ein Landarzt werden, ein Allrounder.
Das änderte sich, als ich in der Ausbildung für ein paar Monate in einem Missionskrankenhaus arbeitete. Eine wichtige Sache, die ich dort lernte, war: Man kann mit relativ kleinem Aufwand und wenig Geld für eine Menge Gesundheitsvorsorge sorgen und so eine ganze Reihe Krankheiten verhindern.
So begann ich, mich für Infektionskrankheiten zu interessieren. Sich auf etwas Spezifisches zu konzentrieren, das schien handhabbarer zu sein als irgendwie alles über alle Krankheiten zu wissen – wie es ein Landarzt wohl muss. Ich ging also zum US Center für Disease Control and Prevention (CDC), wo ich eine Fortbildung in Infektionskrankheiten absolvierte.
Am 28. Oktober ist #Weltpoliotag und rund um den Globus veranstalten Rotary Clubs wieder Events, um die Öffentlichkeit über unseren Einsatz gegen die grausame Krankheit zu informieren. Diskutieren auch Sie das Thema im Club, um zu sehen, was Sie tun können und berichten Sie uns von Ihren Plänen. So wie der Rotary Club Kassel-Hofgeismar, der mit einer Aufklärungsaktion für die Aktion "Deckel gegen Polio" wirbt. Melden auch Sie Ihre Aktion an unter folgendem Link: https://www.endpolio.org/de/register-your-event #endpolio
Das Fach Epidemiologie beinhaltet, Krankheiten in der Bevölkerung zu beobachten – um herauszubekommen, wer krank wird, wer die Krankheit überträgt und wie man das verhindern kann. Es schloss die Arbeit nach dem Ausbruch von Erkrankungen ein, was in etwa so ist, als wollte man ein Rätsel lösen, müsse sich aber ständig beeilen dabei.
Als ich am CDC studierte, untersuchten wir einen Krankheitsausbruch, bei dem etwa ein Dutzend Menschen in der gleichen Gegend die gleiche Hautinfektion bekamen. Ich fuhr dorthin und versuchte herauszubekommen, was diese Erkrankten miteinander verband. Es stellte sich heraus, sie waren alle Patienten ein und derselben Klinik gewesen. Und sie hatten alle die gleiche Operation. Schließlich fanden wir heraus, dass alle Fäden zu einer einzigen Flasche Flüssigkeit unter einem Waschbecken in dieser Klinik führten. Damit wurden die Geräte, die sie nutzten, verunreinigt.
Das ist es, was Epidemiologen tun: die Ursache für Infektionen untersuchen und herausfinden, wie man die Ausbreitung der Krankheit stoppen kann.
Ich habe am CDC in einer Gruppe gearbeitet, die ihre Arbeit auf bakterielle Meningitis fokussierte – eine Erkrankung des Gehirns und des Rückenmarks. Eine Bakterie namens Haemophilus influenza Type B (Hib) war der häufigste Grund dafür; er ließ bis zu 15.000 Kinder jedes Jahr erkranken. Damals war die Impfung dagegen grade erfunden worden. Ich gehörte zu denen, die beobachten sollten, wie das Serum wirkte - und es war wirklich auffallend: Wir konnten die Erkrankungen von mehreren Tausend Fällen im Jahr auf ein paar Dutzend senken, als alle Kinder im Land geimpft wurden.
Zu sehen, was ein Impfprogramm bewirken kann, hat mich dazu gebracht, auch Polio zu bekämpfen und ausrotten zu wollen.
Ich bin 1955 geboren. Das war das Jahr, in dem Jonas Edward Salk seinen Polio-Impfstoff lizensierte und in den USA herausbrachte. Zu dieser Zeit war Polio die meistgefürchtete Krankheit im Land.
Um die Bedeutung dieser Entwicklung zu verstehen, muss man zeigen, wie sehr die Menschen die Krankheit in den 30ern, 40ern und 50ern fürchteten. Immer im Sommer fürchteten die Eltern, ihre Kinder würden Polio bekommen und später gelähmt sein oder sterben. Als es dann das erste Serum gab – 1955 –, wurde es für ein medizinisches Wunder gehalten.
Selbst nach meiner Geburt verfolgte das Gespenst Polio noch die Menschen. Es gab Kampagnen, die neuere Flüssig-Impfstoffe vorstellen, die auf ein Stück Würfelzucker getropft werden konnten, das man dann essen konnte. Ich erinnere mich noch gut daran.
Polio wurde ein Beispiel für erfolgreiche Impfungen – das ließ die Fallzahlen von weltweit Hunderttausenden jedes Jahr zumindest in den USA und anderen entwickelten Länder auf Null sinken. Aber Polio blieb eine der großen Bedrohungen in den Entwicklungsländern.
Der Polio-Virus beeinträchtigt Zellen im Rückenmarkskanal – und wenn diese Zellen abgetötet sind, gibt es keine Möglichkeit mehr für das Gehirn, eine Nachricht an die Muskeln zu senden. Das Ergebnis nennt man akute Lähmung (acute flaccid paralysis – AFP) und die Muskeln arbeiten einfach nicht mehr – kein Anspannen, kein Entspannen. Der Virus betrifft oft einen Arm oder ein Bein, so dass der Körperteil immer weniger genutzt wird. Wenn die Brustmuskulatur oder das Zwerchfell betroffen sind, kann das fatal werden – der Patient könnte dann nicht atmen.
Dass man den Virus loswerden kann, liegt daran, dass er sich nur in Menschen reproduzieren kann und dass er im menschlichen Körper nur einige Wochen bis zu einem Monat überleben kann – bis sich der Körper davon befreien kann. In dieser Zeit wird der Virus über den Stuhl ausgeschieden. Außerhalb des menschlichen Körpers kann er aber auch nur ein bis zwei Wochen überleben. Der Virus muss eine andere Person finden, die er infizieren kann – oder er stirbt ab.
Wenn man also die Übertragungskette unterbrechen kann – und den Virus stoppen kann, von einer Person zur nächsten zu wandern, indem man die Menschen mit einer Impfung immun macht – dann kann man den Virus aussterben lassen. Aber man muss den Virus überall abtöten, sonst wird er zurückkommen und Menschen an Orten infizieren, wo er bereits eliminiert war.
Deshalb stimmte die World Health Assembly 1988 dafür, Polio auszurotten. Rotary war ungemein wichtig zu dieser Zeit. Die Rotarier machten sich die Mission von Beginn an zu eigen und halfen in zahllosen Ländern in der frühen Phase des Vorhabens.
Ich konnte sehen, wie groß ihr Einfluss war - und als Epidemiologe war ich gefesselt von der Möglichkeit, dass eine Krankheit von der Erde verschwinden könnte, wenn wir nur entschlossen genug vorgehen würden.
2002 arbeitete ich mit der WHO in Indien. Ich leitete das Nationale Polio-Überwachungs-Projekt. Da erfuhr ich aus erster Hand, wie Rotary arbeitet.
Einerseits gibt es die Rotary-Unterstützung über das Fundraising. Bei einem Projekt wie diesem braucht man natürlich ein ständiges Fundraising. Rotary hat klargemacht, dass sie das durchziehen bis zum Ende. Die Unterstützung ist unerschütterlich.
Aber das auffälligste an der Arbeit der Rotarier ist, wie sie das Engagement in jedem Land angeheizt haben. In den USA haben sie in jedem Congress Distrikt und in Washington den Nutzen der Polio-Impfungen promotet. In Ländern wie Indien ist der Einsatz der Rotarier unschätzbar, lernte ich schnell. Zum Beispiel gab es anfangs Probleme mit den Politikern. Aber unabhängig davon, mit wem wir arbeiteten, wir konnten uns immer auf die Rotarier vor Ort verlassen, die uns mit Politikern vernetzten und diese überzeugten, das Polio-Programm zu unterstützen.
Und mehr noch: Die Rotarier hatten einen Sinn für die die Dringlichkeit der Aktion. Sie waren einflussreiche Mitglieder ihrer Kommunen und die Menschen nahmen wahr, wenn sie für die Polio-Bekämpfung warben.
Sie planen auch eine Aktion zum Welt-Polio-Tag?
Dann tragen Sie Ihr Event in die Rotary-Datenbank ein. Weltweit werden hier Daten und Aktionen gesammelt, um zu zeigen, wie weltumspannend und umfassend das Engagement der Rotarier ist.
Polio in Indien zu stoppen war ein enormes Vorhaben. Von großen Städten wie Mumbai bis zu den entferntesten Bergdörfern mussten wir sicherstellen, dass jedes Kind geimpft wurde.
Vor allem im Norden musste viel getan werden, weil dort Polio-Fälle aufgetreten waren. Als Chef des Überwachungsprogramms wollte ich dabei sein und Kinder mit Polio sehen. Einmal als wir in Bundesstaat Uttar Pradesh unterwegs waren, ging ich in ein kleines Häuschen, wo ein kleines Mädchen mit einem schlaffen Bein auf einem Bett saß.
Ihr Bein war seit ein paar Monaten gelähmt. Einige Dinge konnten wir tun wie zum Beispiel sicherstellen, dass sie Physiotherapie und Beinschienen bekam. Aber es gab keine Möglichkeit, ihr gelähmtes Bein zu heilen. Ihre Mutter sah mich erwartungsvoll an und ich konnte sehen, was sie dachte: „Hier ist der große Arzt aus dem Westen und er weiß, was zu tun ist. Er weiß, wie mein Kind wieder gesund wird.“
Dieses Gefühl der Hilflosigkeit, diese Momente, in denen man die Opfer sieht – das war mein stärkster Motivator. Das war die treibende Kraft für das Programm zur Polio-Ausrottung, weil man Kinderlähmung eben nicht heilen kann, wenn sie erst mal ausgebrochen ist. Aber wir können bereits vorher was tun.
Seit 2011 arbeite ich bei der Gates Foundation. Zu dieser Zeit waren Rotary und die Gates Foundation bereits Partner. Und Rotary hatte großen Anteil daran, dass die Foundation sich in den zurückliegenden Jahren bei der Polio-Bekämpfung engagiert hatte.
Zur gleichen Zeit trat der letzte Polio-Fall in Indien auf, was alle elektrisierte und ermutigte zu glauben, dass die globale Ausrottung von Polio in Reichweite war. Rotary und die Gates Foundation legten einen mehrjährigen Strategieplan gegen Kinderlähmung auf, gemeinsam mit weiteren Partnern aus der Global Polio Eradication Initiative (mit WHO, CDC und UNICEF).
Im Juni 2013 gab Rotary bekannt, dass 35 Millionen Dollar pro Jahr zur Verfügung stünden – über einen Zeitraum von fünf Jahren – und die Gates Foundation die Summe jeweils im Verhältnis 2 zu 1 aufstocken würde. Im Juni 2017 kündigte Rotary an, dass der Betrag auf 50 Millionen Dollar pro Jahr (für die nächsten drei Jahre) aufgestockt würde – und die Gates Foundation erneut 2 zu 1 ergänzen wird.
Was die Menschen realisieren müssen ist, dass man im Kampf gegen Polio – in Gegensatz zu anderen öffentlichen Gesundheitsprogrammen – nicht entscheiden kann, wo man hilft. Man muss dahin gehen, wo die Krankheit ist.
Inzwischen gibt es nur noch drei Länder, in denen wilde Polio-Viren auftreten: Afghanistan, Pakistan und Nigeria. Das sind Länder mit unglaublichen Herausforderungen - sie kämpfen derzeit mit noch größeren Problemen als mit Polio.
Dennoch dürfen wir diese Länder nicht vergessen oder uns später darum kümmern. Denn das würde bedeuten, dass wir im Kampf gegen Polio verlieren. Wenn der Virus irgendwo überlebt, kann er sich von dort wieder dahin ausbreiten, wo er schon ausgerottet war. Wir müssen unsere Bemühungen verstärken – bis in die schwierigsten Ecken der Welt und zu den die am schwersten zu erreichenden Kindern.
Die Frage, die mir am häufigsten gestellt wird, ist, wann wir sagen können:„Jetzt ist Polio ausgerottet“. Ich sage dann, dass wir hart daran arbeiten und es fast erreicht haben.
Letztes Jahr hatten wir Ende Juli 19 Polio-Fälle weltweit. Dieses Jahr waren es nur acht Fälle. Trotzdem: Wir können nur sicher sein, dass Polio ausgerottet ist, wenn wir drei Jahre lang keine Berichte mehr von aktuellen Fällen haben. Ich bin optimistisch, dass wir es bald schaffen werden.
In meiner Arbeit als Epidemiologe habe ich gesehen, dass es möglich ist, eine Krankheit zu stoppen – so wie die Pocken. Wir haben nicht nur die Fälle reduziert, sondern sie auf Null gesenkt.
Wenn ich ein romantischerer Typ wäre, würde ich mir den Zukunftstraum von einer Polio-freien Welt öfter erlauben. Aber ich bin eine Arbeitsbiene und ich muss meinen Kopf unten behalten und mich auf die Arbeit konzentrieren, die noch vor uns liegt, um das Ziel zu erreichen.
Worüber ich nachdenke – weil Rotary und die Gates Foundation mich bei der Stange halten -ist die menschliche Seite des Ganzen. Ich erinnere mich noch, wie die Leute in meiner Kindheit Angst vor Polio hatten. Und ich habe aus erster Hand erfahren, wie die Krankheit ihre Opfer und Familien beeinträchtigt.
Das treibt mich weiter an."
Aus: The Rotarian, notiert von Steve Almond
Kein einziger Fall von Kinderlähmung - weltweit!
Das ist das Ziel. Dafür gibt es rund um den Welt-Polio-Tag am 28. Oktober weltweit rotarische Aktionen. Und keine einzige davon sollte untergehen oder nicht beachtet werden.
Melden auch Sie Ihre Aktion an unter folgendem Link: https://www.endpolio.org/de/register-your-event #endpolio
Weltpoliotag – Nie wieder Kinderlähmung
Sehen Sie eine Aufzeichnung unseres fünften Live-Stream Event zum World Polio Day – diesmal aus dem Hauptsitz der Bill & Melinda Gates Foundation in Seattle. Washington. Wir erwarten mehr als 50.000 Zuschauer in aller Welt für den Live-Stream mit prominenten Gästen und Experten, in dem wir aktuelle Informationen zum Stand der globalen Polio-Initiative geben.