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Gesundheit Spezial

Überschätzte Alternativen

Yoga, Bachblüten, Akupunktur, Homöopathie – alternative Heilmethoden erfreuen sich steigender Beliebtheit. Doch wie sinnvoll sind die einzelnen Therapien wirklich? Über Placeboeffekte und fragwürdige Praktiken.

Edzard Ernst01.09.2017

Fast jeder weiß, was wir unter Alternativmedizin verstehen, aber kaum jemand kann diesen Begriff hinreichend definieren. Das liegt unter anderem daran, dass er im Grunde genommen unsinnig ist. Eine Alternative zur Medizin gibt es nicht, denn es gibt eigentlich nur eine Medizin. Therapieformen, die nicht wirksam sind, gehören nicht zur Medizin, und Therapien, die effektiv sind, sind ganz einfach Medizin. Dennoch hat sich der Begriff „Alternativmedizin“ durchgesetzt, und ich werde ihn daher hier auch gebrauchen. Ich definiere die Alternativmedizin als den Überbegriff für alle Methoden, die von der konventionellen Medizin nicht oder nur selten verwendet werden. Die Anzahl dieser Verfahren ist enorm und umfasst nicht nur therapeutische Methoden (Akupunktur, Aromatherapie, Autogenes Training, Bach-Blüten Therapie, Chiropraktik, Fußreflexzonen-Massage, Geistheilung, Homöopathie, Meditation, Osteopathie, Pflanzenheilkunde, Schüssler Salze, Traditionelle Chinesische Medizin, Yoga), sondern auch eine Reihe diagnostischer Techniken wie Irisdiagnostik, Kirlian-Fotografie, Puls- oder Zungen-Diagnostik.

Beliebtheit wächst
Die konventionelle Medizin hat in den letzten 150 Jahren enorme Fortschritte gemacht und ist heute zweifellos besser als jemals zuvor. Es muss also verwundern, dass sich viele Menschen für Alternativmedizin interessieren und diese oder jene alternative Methode einsetzen. In Deutschland wenden derzeit über drei Viertel der Bevölkerung mindestes ein alternatives Verfahren pro Jahr an. Zu der Frage warum das so ist, wird intensiv geforscht. Die Daten zeigen, dass hier meist zahlreiche Gründe eine Rolle spielen, etwa die intensive Werbung beispielsweise im Internet, die Hoffnung auf Heilung ohne Nebenwirkungen oder eine bessere Arzt-Patienten-Beziehung, eine allgemeine Wissenschaftsfeindlichkeit, enttäuschende Erfahrungen mit der konventionellen Medizin oder die Hoffnung auf ganzheitliche Behandlung.

Sinnhaftigkeit der Methoden
Doch ein medizinisches Verfahren macht immer nur dann einen Sinn, wenn sein Nutzen größer ist, als der Schaden, den es anrichten kann. Das gilt ganz allgemein für jede Art der Medizin, egal ob wir sie als konventionell oder alternativ bezeichnen. Um die Frage der Sinnhaftigkeit beantworten zu können, müssen wir also wissen, wie wirksam eine Therapie bei einer bestimmten Erkrankung ist und welche Nebenwirkungen auftreten können.

Es liegt auf der Hand, dass eine solche Beurteilung nicht einfach ist, dass sie umfangreicher Forschung bedarf, und dass sie differenziert erfolgen muss. Zum Beispiel geht es nicht an zu behaupten, diese oder jene Methode sei sinnvoll; eine solche Feststellung muss sich stets auf eine Erkrankung oder ein Symptom beziehen. Man kann also allenfalls konstatieren, dass eine Therapie bei einer bestimmten Diagnose sinnvoll ist, während generelle Aussagen über die Sinnhaftigkeit einer Methode fast immer problematisch sind. Alternative Behandlungen, die als sinnvoll eingestuft werden können, sind die Akupunktur bei schmerzhafer Kniegelenksarthrose, Johanniskraut bei leichten bis mittelschweren Depressionen, die Hypnotherapie bei Geburtsschmerzen, Rosskastanie bei Varizen, Melatonin bei Schlaflosigkeit, Musiktherapie bei Angstzuständen sowie Entspannungsverfahren bei Schlaflosigkeit. Die Alternativmedizin wird häufig als nebenwirkungsarm eingestuft. Diese Annahme stimmt nur mit erheblichen Einschränkungen. Erstens haben die meisten alternativen Therapien sehr wohl Nebenwirkungen, und zweitens können selbst die harmlosesten alternativen Verfahren erheblichen Schaden anrichten. Bekannte Nebenwirkungen alternativer Behandlungsformen sind etwa eine Schädigung der Leber durch pflanzliche Mittel, Schlaganfall nach chirotherapeutischer Manipulation der oberen Wirbelsäule, Pneumothorax (Kollaps eines Lungenteils) durch Penetration einer Akupunkturnadel in die Lunge sowie allergische Reaktionen durch essentielles Öl in der Aromatherapie.

Gefährlicher Rat von Homöopathen
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Homöopathie. Homöopathische Arzneimittel sind meist derart hochverdünnt, dass sie keine aktiven Moleküle enthalten. Daher ist die Annahme, sie seien wirksam, nicht plausibel. Zudem belegen die zuverlässigsten klinischen Studien nicht, dass Homöopathika mehr Effekt auf unsere Gesundheit haben als Plazebos. Somit wäre auch klar, dass Homöopathika in aller Regel keine Nebenwirkungen auslösen können. Diese Tatsache bedeutet jedoch leider nicht, dass die Homöopathie völlig gefahrlos ist. Jede noch so harmlose, aber ineffektive Therapie wird automatisch lebensgefährlich, wenn sie bei einer ernsten Erkrankung als Alternative zu einer effektiven Behandlung eingesetzt wird. Wenn man also die Homöopathie bei Krebs, schweren Infektionen oder anderen lebensbedrohenden Erkrankungen empfiehlt, so kann das sehr ernste Folgen haben. Man muss nur im Internet kurz suchen, um Autoren zu finden, die die Homöopathie bei allen erdenklichen Leiden, inklusive lebensgefährlichen Erkrankungen, anpreisen. Systematisch ist dies zum Beispiel bezüglich der Haltung von Homöopathen zum Impfen untersucht worden. Die Daten zeigen sehr eindeutig, dass viele Homöopathen davon abraten, Kinder zu impfen und dann regelmäßig Homöopathika als Alternative zu herkömmlichen Impfstoffen empfehlen. Dieser Rat gefährdet dann nicht nur das betroffene Kind, sondern, falls derartiges häufig genug vorkommt, die Gesamtbevölkerung. Mit anderen Worten: Hochverdünnte Homöopathika mögen durchaus harmlos sein, viele Homöopathen sind es jedoch nicht.

Prominente Trugschlüsse
Alternativmedizin ist ein Bereich, in dem logische Trugschlüsse uns häufig in die Irre führen und suggerieren, dass alternative Verfahren sinnvoller erscheinen als sie tatsächlich sind. Hier seien lediglich drei der beliebtesten Trugschlüsse erwähnt. Oft wird behauptet, dass alternative Therapien natürlich und daher nebenwirkungsarm seien, während konventionelle Pharmaka synthetisch und daher gefährlich seien. Diese Behauptung ist sicherlich äußerst werbewirksam, aber leider faktisch unrichtig. Erstens ist nicht alles in der Alternativmedizin natürlich – was zum Beispiel sollte natürlich daran sein, einem Patienten multiple Nadeln in die Haut zu stecken, wie das bei der Akupunktur üblich ist? Zweitens ist nicht alles, was natürlich ist, auch harmlos – jemand, der von einem Blitz getroffen wurde und dieses Ereignis überlebt hat, wird das wohl bestätigen können. Drittens ist nicht jede synthethische Substanz automatisch gefährlich.

Viele alternative Verfahren haben eine Geschichte, die Jahrhunderte oder gar Jahrtausende alt ist. Diese Tatsache wird von Befürwortern so interpretiert, als würde sie belegen, dass die betreffende Therapie sich bereits über einen sehr langen Zeitraum gut bewährt habe. Folglich, so wird argumentiert, sei die Therapie wirksam – ansonsten wäre sie längst von der Blidfläche verschwunden. Dieses Argument überzeugt viele Konsumenten, ist aber leider ein gefährlicher Trugschluss. Die Geschichte der Medizin lehrt uns, dass eine lange Tradition nicht als Beweis für die Wirksamkeit einer Therapie dienen kann – denken wir nur an den Aderlass, der über Jahrhunderte weit verbreitet war, und sicher Tausenden das Leben verkürzt hat.

Kritisches Denken und Vorsicht
Ein weiterer Trugschluss ist es zu meinen, dass eine Therapie, die von prominenten Personen befürwortet wird, immer sinnvoll ist. Prinz Charles schwört auf Homöopathie, Gwyneth Paltrow findet Vaginalduschen toll, der Nobel-Preisträger Linus Pauling propagierte Vitamin C als ein Krebsmittel. Keine dieser Therapien ist jedoch wirksam. Prominente Personen irren sich ebenso wie nicht-prominente, insbesondere wenn sie sich zu einem Thema äußern, von dem sie keine Ahnung haben.

Die Alternativmedizin ist beliebt und wird für alle erdenklichen Krankheiten empfohlen. Sie birgt eine bizarre Vielfalt von häufig wenig plausiblen Methoden, von denen nur wenige wirklich wirksam sind. Da einige davon mitunter erheblichen Schaden anrichten können, sollten wir mehr kritisches Denken einsetzen und Vorsicht walten lassen.