Gesundheit Spezial
„Wiederbelebung ist kinderleicht“
Erste Hilfe kann Leben retten, beim Herzstillstand sind die ersten fünf Minuten entscheidend. Anästhesist Bernd W. Böttiger engagiert sich für Schulungen zum Thema.
Universitäts-Professor Dr. med. Bernd W. Böttiger (RC Köln am Rhein) ist Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Uniklinik Köln. Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten, dem Deutschen Rat für Wiederbelebung und der Stiftung Deutsche Anästhesiologie ist er einer der Initiatoren der „Woche der Wiederbelebung“, um auf das Thema Reanimation aufmerksam zu machen.
Wie muss man sich einen typischen Arbeitstag vorstellen, narkotisieren Sie als Anästhesist die meiste Zeit Patienten?
In der Tat geben wir an der Uniklinik Köln rund 30.000 Narkosen im Jahr, versetzen also mehr als jeden zweiten Patienten, der stationär zu uns kommt, in Narkose. Als Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin leite ich mit rund 160 ärztlichen Mitarbeitern und einem Jahresbudget von 35 Millionen Euro quasi einen größeren mittelständischen Betrieb. Bei uns sind Anästhesie, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin verortet. Mir persönlich liegt die Notfallmedizin besonders am Herzen. Wenn sie nicht Teil meines Fachs wäre, wäre ich kein Anästhesist geworden.
Sie engagieren sich insbesondere für die Notfallmedizin, sind Vorstandsvorsitzender des Deutschen Rats für Wiederbelebung, gehen in Schulen und üben mit den Kindern die Herzdruckmassage. Warum ist das Thema so wichtig?
Seit mehr als einem Jahrzehnt beteilige ich mich an der Erstellung der internationalen Leitlinien zur Wiederbelebung und engagiere mich in verschiedenen Gremien, weil der Herzstillstand die dritthäufigste Todesursache auch in Deutschland ist, aber nicht sein müsste. Ich sage immer: Wiederbelebung ist kinderleicht, sogar für Erwachsene. Damit meine ich, dass jeder im Notfall helfen und das Richtige tun kann. Deshalb setze ich mich für zwei Schulstunden Wiederbelebungsunterricht pro Jahr ab der siebten Klasse ein. Die breite Vermittlung ist enorm wichtig. Persönlich ist es mir ein tiefes Bedürfnis dafür zu sorgen, dass Menschen, die leben können, leben und nicht sterben. Das war auch der Grund, warum ich überhaupt Medizin studiert habe.
Die meisten Erwachsenen haben in ihrem Leben schonmal einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert, sind aber trotzdem unsicher. Wie geht eine korrekte Reanimation?
Die Faustregel lautet: Prüfen, Rufen, Drücken. Reagiert der Patient nicht oder hat er keine normale Atmung, rufen Sie zunächst einen Notarztwagen über die 112. Dann beginnen Sie mit der Reanimation: Machen Sie den Brustkorb des Patienten frei, legen Sie Ihren Handballen auf die Mitte der Brust zwischen die Brustwarzen und den Ballen der anderen Hand darüber, verschränken Sie die Finger. Drücken Sie dann fest und schnell mit ausgestreckten Armen auf das Brustbein, fünf bis maximal sechs Zentimeter tief und 100 bis 120 Mal pro Minute. Am besten funktioniert das im Rhythmus von „Stayin` Alive“ von den Bee Gees. Hören Sie erst auf, wenn Hilfe eintrifft.
Warum ist eine zeitnahe und korrekte Reanimation beim Herzstillstand ausschlaggebend?
Deutlich mehr als 50.000 Menschen pro Jahr erleiden in Deutschland einen plötzlichen Herzstillstand. Die Wahrscheinlichkeit, dass jeder von uns einmal in die Situation kommt, dabei zu sein und helfen zu können, ist groß. Meistens passiert es im häuslichen Umfeld. Der Betroffene wird dann sofort bewusstlos. Wenn nicht innerhalb von maximal drei bis fünf Minuten einfache Maßnahmen wie die Herzdruckmassage durchgeführt werden, stirbt der Patient. Doch Rettungswagen brauchen meist ein paar Minuten länger, bis sie vor Ort sind. In 60 Prozent der Herzstillstände ist jemand anderes anwesend. Aber bei nur 30 Prozent dieser Patienten wurde bereits mit Reanimationsmaßnahmen begonnen, wenn der Notarzt eintrifft. Zum Vergleich: In Norwegen liegt diese Zahl bei bis zu 80 Prozent. Wenn wir in Deutschland genauso gut wären wie die Skandinavier, könnten wir jedes Jahr 10.000 Menschenleben zusätzlich retten.
Woran hapert es hierzulande?
In Deutschland haben wir eines der besten Medizin- und Rettungssysteme der Welt. Vielleicht denken deshalb viele, „der Notarzt kommt ja gleich, ich muss nichts tun“. Viele Menschen haben auch einfach Angst, etwas falsch zu machen. Aber das können sie nicht! In der „Woche der Wiederbelebung“ wollen wir mit verschiedenen Aktionen für das Thema Reanimation sensibilisieren. Ein Vergleich: Auf deutschen Straßen sterben jedes Jahr etwa 3500 Menschen. Bevor Milliarden Euro für sicherere Autos, in Infrastruktur, Ampeln, Zebrastreifen, Verkehrserziehung usw. investiert wurden, um die Zahl der Toten im Straßenverkehr zu senken, starben hier jedes Jahr 20.000 Menschen. Beim Thema Herzstillstand könnte man mit viel geringeren Mitteln mehr erreichen. Alles, was man braucht, um die Zeit zu überbrücken und das Gehirn zu durchbluten, bis Hilfe kommt, sind zwei Hände.
Da sollte in Aufklärung investiert werden. Ich bin stolz, unseren Bundesgesundheitsminister für das Thema gewonnen zu haben. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung startet nun gemeinsam mit zahlreichen Organisationen eine große Kampagne zur Wiederbelebung und zur Schülerausbildung in Wiederbelebung. Auch im neuen Koalitionsvertrag von NRW ist Erste-Hilfe-Unterricht erwähnt. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es diesbezüglich weiter gut voran gehen wird.
Veranstaltungen
Ein Leben retten Unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Gesundheit findet vom 18. bis 24. September die „Woche der Wiederbelebung“ statt. Deutschlandweit gibt es zahlreiche Veranstaltungen auch unter dem Motto „Ein Leben retten. 100 Pro Reanimation“. Vom 28. bis 30. September veranstalten der Deutsche Rat und der Europäische Rat für Wiederbelebung in Freiburg außerdem den Fachkongress Resuscitation 2017 – mit Vorträgen, Workshops und Projektvorstellungen.
Weitere Infos, auch zu den einzelnen Schritten der Reanimation, auf einlebenretten.de, grc-org.de, wiederbelebung.de und kids-save-lives.net.
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