Entscheider
„Einfach nur bewahren wird nicht ausreichen“
Der Vorstandsvorsitzende der DB Cargo, Roland Bosch, über Zukunftstechnologien, Pünktlichkeit und ein trainingsintensives Hobby
Die Zentrale der DB Cargo liegt in Fußnähe zum Frankfurter Flughafen. Aus seinen Bürofenstern blickt der Vorstandsvorsitzende Roland Bosch in Richtung Flugzeuge, Fernbahnhof und Hauptverkehrsstraßen. Es gibt schönere Ausblicke, aber er findet: „So habe ich mein berufliches Betätigungsfeld stets direkt vor Augen.“ Die „Verknüpfung aller Verkehrsträger“ ist für ihn die Zukunft. Auf seinem Schreibtisch stehen lediglich Telefonanlage, Laptop, Familienfotos. Aufräumen sei eine Art Abendritual für ihn. „So arbeitet es sich einfach besser.“
Seit der Bahnreform vor 25 Jahren hat sich viel getan. Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell im Schienengüterverkehr?
Im Vergleich zum Jahr 2000, in dem das Vorgängerunternehmen, die Railion GmbH, gegründet wurde, werden heute 80 Prozent mehr Güter auf der Schiene bewegt. Andererseits ist der Markt stark liberalisiert. In Deutschland hat die DB Cargo aktuell einen Marktanteil von 50 Prozent. Die Wirtschaftskrise 2008 war eine riesige Herausforderung. Auch den demografischen Wandel spüren wir immer mehr. Etliche Mitarbeiter gehen in den wohlverdienten Ruhestand, wir müssen kräftig rekrutieren. Das ist bei einigen Berufen nicht so einfach, da lange Ausbildungszeiten und viel Erfahrung nötig sind.
Wir sind ein europäisches Unternehmen, in 17 Ländern aktiv. Wir haben seit Anfang der 2000er Jahre einige Güterbahnen in Europa zugekauft und knüpfen nun unter dem Motto „from patchwork to network“ ein immer engeres Netzwerk.
Warum ist das so schwierig?
Die Länder haben zum Teil andere Spurweiten, unterschiedliche Stromsysteme, eigene Bremsformeln. Ein Güterzug, der von den Niederlanden über die Neue Seidenstraße bis nach China fährt, wird zweimal umgespurt, auf dem Weg werden mindestens fünf Sprachen gesprochen. Mit der Vectron haben wir eine der modernsten Mehrsystemloks weltweit, mit denen man durch Europa fahren kann, ohne jedes Mal die Lok zu wechseln.
Ist die DB Cargo digitalisiert?
Automatisiertes Kuppeln, autonomes Rangieren, mit dem Internet verbundene intelligente Güterwagen – Gegenwart oder noch Zukunftsmusik? Über 1800, ein großer Teil unserer Lok-Flotte, und mehr als 24.000 unserer rund 70.000 eigenen Güterwagen sind mit GPS-Sensorik ausgestattet. Wir wissen bei ihnen in Echtzeit, wo sie sich befinden. Wir erhalten fortwährend Zustandssignale des Motors und viele weitere Daten. Das automatisierte Kuppeln und Rangieren ist aktuell im Erprobungs- oder Forschungsstadium. Die DB Cargo ist in Europa führend, aber bis wir diese Technologie in Fläche zum Einsatz bringen können, wird es noch ein paar Jahre dauern. Künstliche Intelligenz erproben wir beispielsweise bei „condition-based maintenance“, der zustandsbasierten Instandhaltung, und bei der Ankunftsprognose.
Im Jahresdurchschnitt waren knapp 75 Prozent der Fernverkehrszüge der Deutschen Bahn 2018 verspätet. Wie pünktlich fahren die Güterzüge der DB Cargo?
Etwa drei von vier Zügen kommen pünktlich. Damit sind wir deutlich besser als der Wettbewerb.
Warum ist die Ankunftszeit so schwer zu berechnen?
Es können unvorhergesehene Ereignisse eintreten: Störungen an der Lok, Baustellen. Die Systemkomplexität erschwert eine sichere Ankunftsprognose. Und: Ein Güterzug, der von den ARA-Häfen (Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam) bis nach Norditalien fährt, legt 1000 Kilometer zurück, überfährt mehrere Grenzübergänge. Je länger die Fahrt ist, desto schwerer ist naturgemäß die minutengenaue Vorhersage der Ankunft.
Der Güterverkehrsaufwand in Deutschland steigt seit Jahren. Den größten Anteil hat laut Umweltbundesamt mit rund 70 Prozent der Straßengüterverkehr. Der Transport auf der Schiene gilt als umweltfreundlichste und sicherste Variante. Andererseits will niemand Schienen neben seinem Wohnhaus, in den Ballungszentren ist kaum Platz für Ausbau. Wie kann der Schienengüterverkehr in der globalisierten Welt zukunftsfähig bleiben?
Der Modal-Split, also die Verteilung des Transportaufkommens auf die verschiedenen Verkehrsmittel, liegt in Deutschland für die Schiene bei 18 Prozent. In Österreich sind es 26,6 Prozent, in der Schweiz 37 Prozent. Die DB Cargo hat sich mit den anderen europäischen Güterbahnen in der Initiative „Rail Freight Forward“ zusammengeschlossen. Gemeinsam setzen wir uns dafür ein, den Modal-Split europaweit insgesamt auf 30 Prozent zu erhöhen. Denn was für den Straßenverkehr aktuell diskutiert wird, Elektromobilität oder Platooning (Lkw in Kolonnenfahrt, um Diesel zu sparen), ist bei der Bahn längst Realität. Gleichzeitig müssen die politischen Rahmenbedingungen weiter verbessert werden.
Was schwebt Ihnen vor?
Die Harmonisierung europäischer Regeln für den Schienenverkehr, Ausbau von Netzkapazitäten, Investitionen in Mehrsystemlokomotiven, Digitalisierung unserer Prozesse und der Kundenschnittstellen. Während die Lkw-Maut erst 2005 eingeführt wurde, waren Nutzungsgebühren für Züge schon immer üblich. Die 2018 beschlossene Förderung dieser „Schienen-Maut“ zur Entlastung der Bahn-Unternehmen geht in die richtige Richtung. Wir müssen uns fragen: Wie viel CO2-Ausstoß können wir uns leisten, damit sich die Erde bis 2030 nicht mehr als 1,5 Grad erwärmt? Was sicher nicht funktionieren wird: das Ziel zu erreichen, ohne die Rahmenbedingungen zu ändern.
Trotz Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, in der auf Binnenschifffahrt und Eisenbahn gesetzt wird, und großer Einsparungen beim Personal in den vergangenen Jahren ist die wirtschaftliche Situation bei der DB Cargo AG angespannt. Warum?
Die DB Cargo ist mit knapp 4,5 Milliarden Euro Jahresumsatz und rund 30.000 Mitarbeitern die größte Güterbahn Europas. Damit sind wir strategisch gut positioniert. Wenn wir ein gutes – also verlässliches, pünktliches – Produkt anbieten, werden wir wieder mehr Kunden von uns überzeugen und langfristig wieder wirtschaftlich unterwegs sein.
Sie sehen sich eher als Marathonläufer statt als Sprinter …?
Das bin ich tatsächlich. 2010 bin ich meinen ersten Marathon gelaufen. Ich versuche, einen pro Jahr zu laufen, immer in einer anderen Stadt. Letztes Jahr habe ich den extra an den Urlaub in Rom drangehängt.
Wie überwinden Sie das Gefühl der Erschöpfung, das irgendwann eintritt?
Ich habe das Ziel fest vor Augen und das Selbstvertrauen, dieses Ziel zu schaffen. Gleichzeitig versuche ich, die Latte nicht zu hoch zu hängen. Wenn ich wirklich mal zu erschöpft bin, gehe ich ein paar Meter und laufe dann weiter. Das Wichtige ist ohnehin nicht der Lauf selbst, sondern das Training im Vorfeld. Ich laufe gerne – ob bei Regenwetter oder mit Kollegen in der Mittagspause. Wenn man ausreichend trainiert hat, ist der eigentliche Lauf kein Problem mehr.
Die wichtigste Entscheidung Ihres Lebens?
Die wichtigste private Entscheidung war die Heirat meiner Frau – wir sind seit über 25 Jahren verheiratet und blicken froh und zufrieden auf unsere drei Kinder. Die wichtigste berufliche Entscheidung war, 2005 als Finanzchef für Nordostasien für Daimler nach China zu gehen. So habe ich den sehr dynamischen Markt aus erster Hand miterlebt und gesehen, wie sich das Geschäft in den fünf Jahren fast verzehnfachen ließ. Die Entwicklungsdynamik ist in China deutlich schneller als hier. Wir können stolz darauf sein, was wir haben, müssen aber sehen, dass sich die Welt um uns herum verändert. Einfach nur bewahren wird nicht ausreichen. Auf der Chinesischen Mauer habe ich beim Halbmarathon übrigens beschlossen, zukünftig die Volldistanz zu laufen.
Der beste Rat, den Sie je bekamen?
Nur in der Familie ist man nicht zu ersetzen.
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