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Entscheider

„Finanzwissen in Zeiten politischer Unsicherheiten enorm wichtig“

Entscheider - „Finanzwissen in Zeiten politischer Unsicherheiten enorm wichtig“
Einzige Frau im sechsköpfigen Vorstand der Deutschen Börse: Hauke Stars. © Markus Hintzen

Deutsche-Börse-Vorstandsmitglied Hauke Stars über Chancen, Mauern und warum es wichtig ist, die eigenen Grenzen zu testen

Anne Klesse01.06.2019

Die traditionellen Symbole für das Auf und Ab der Börse – Bulle und Bär – stehen recht unauffällig im Eingang der Deutschen Börse in Eschborn. Präsent hingegen ist eine große Fotografie des Künstlers Andreas Gursky aus dem Börsensaal: Menschen, die mit Papieren winken, Telefonhörer am Ohr – geschäftiges Treiben, das gemeinhin mit dem Thema Börse verbunden wird. Für den 8. Mai 2019 hat die Deutsche Börse ihre Aktionäre zur jährlichen Hauptversammlung geladen. Das Gespräch mit Hauke Stars, als Vorständin des Unternehmens Deutsche Börse für den Handel mit Wertpapieren und das Personal verantwortlich, findet in einem der obersten Stockwerke des „The Cube“ genannten Bürogebäudes mit Blick in Richtung Taunus statt, wo die 51-Jährige mit ihrer Familie wohnt. Von ihrem Büro aus sieht sie täglich in die andere Richtung auf Frankfurt – die Börse wird dort im historischen Gebäude derzeit für 18,5 Millionen Euro umgebaut.

Um das Finanzwissen junger Menschen in Deutschland sieht es eher schlecht aus. In einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Wirtschaftsauskunftei Schufa Holding schätzten zwei Drittel der Befragten ihr Wissen in Finanzdingen als befriedigend bis ausreichend ein, ein Viertel sogar nur als mangelhaft bis ungenügend. Welchen Beitrag zur ökonomischen Bildung können Unternehmen wie die Deutsche Börse leisten?
Diese Entwicklung ist sehr bedauerlich. Analysen zeigen, wie wenig Menschen Aktien für ihre Altersvorsorge nutzen. Nur gut 16 Prozent der Deutschen halten Aktien und Fonds. Das liegt oft an fehlendem Wissen und der Angst vor dem Abschwung. Den gibt es natürlich auch, aber wer langfristig anlegt und breit streut, kann die Risiken sehr gut ausbalancieren und von den Chancen profitieren. Wir bieten unter anderem Veranstaltungen und Schulungen an, vor Ort im Börsensaal und digital. Um noch mehr Menschen zu erreichen, bauen wir bis 2020 unseren Standort in Frankfurt aus. Unser Handelssaal ist nach wie vor Finanzplatz, an dem wir Investoren und Unternehmen zusammenbringen. Wir führen dort bislang jedes Jahr etwa 35.000 Gäste – von Schülergruppen bis zu Rotary Clubs – herum, künftig sollen es über 100.000 sein. So vermitteln wir Finanzwissen. Das ist gerade in Zeiten von Brexit und anderen politischen Unsicherheiten enorm wichtig. Zwei Bundesländer, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, haben kürzlich das Schulfach Wirtschaft eingeführt – ein richtiger Schritt. Ich bin selbst Mutter von drei Kindern und weiß, wie voll die Lehrpläne sind. Aber nur gut ausgebildete Kinder werden später in der Lage sein, gut vorzusorgen.

Heißt es nicht: „Spätestens wenn dein Taxifahrer Aktien kauft, lass die Finger davon“?
Privatanlegern empfehlen wir vor allem zwei Dinge: Aktien breit streuen, zum Beispiel mittels Fonds, und langfristig anlegen. Bloß nicht von kurzfristigen Schwankungen am Markt verunsichern lassen, die gibt es immer. Wer sich gut auskennt, kann natürlich auch Aktien bestimmter Unternehmen kaufen.

In der Geschichte des Aktienhandels gab es immer wieder Spekulationsblasen – im 17. Jahrhundert die sogenannte „Tulpen-Blase“ in den Niederlanden, die „Dotcom-Blase“ Ende der 1990er, die Immobilien-Blase in den USA 2008, die zur Weltwirtschaftskrise führte. Die aktuelle Stimmung unter Großanlegern scheint zu sein: „raus aus den Aktien“. Droht eine neue Blase zu platzen?
Gerade während der Finanzkrise 2008 haben die Börsen weltweit funktioniert: In dieser schwierigen Situation wurde stets ein transparenter Handel aufrechterhalten – und das ist unsere Kernaufgabe als Börsenbetreiber. Wer wollte oder musste, der konnte agieren. Was die Marktentwicklung angeht: Es kann natürlich niemand in die Zukunft schauen, auch wir nicht. Aber deshalb gilt für Anleger erst recht: langfristig anlegen, nicht von kurzfristigen Schwankungen beeindrucken lassen.

Knapp die Hälfte Ihrer weltweit rund 6000 Mitarbeiter arbeiten von Eschborn aus, ein Teil des Unternehmens wurde vor einigen Jahren ins günstigere Tschechien ausgelagert. Ist es für ein Unternehmen wie die Deutsche Börse AG nicht wichtiger, im Zentrum des Geschehens zu sein und ein Statement für den Finanzstandort Frankfurt zu setzen, als – salopp gesagt – ein bisschen Gewerbesteuer zu sparen?
Die Deutsche Börse AG ist ein sehr internationales Unternehmen: Wir sind an 37 Standorten weltweit präsent. Börse wie auf dem Foto von Andreas Gursky aus unserer Kunstsammlung abgebildet – das ist lange her. Nur in Ausnahmen hängen sich Aktionäre noch eine Aktie über den Schreibtisch, vielleicht als Fan eines börsennotierten Fußballclubs. Ansonsten läuft das mittlerweile rein elektronisch. Als Technologieunternehmen sind wir hauptsächlich damit beschäftigt, IT-Anwendungen für unsere Kunden zu entwickeln. Angebote im Handelsbereich, aber auch für Clearing, Settlement und Custody – also Abwicklungs- und Verwahrprozesse – und das Thema Daten laufen elektronisch. Dafür müssen die Mitarbeiter nicht an einem Standort versammelt sein.

Sie selbst sind in Sachsen-Anhalt aufgewachsen, haben in Magdeburg als eine der Ersten Informatik studiert. Wie sind Sie Teil der Finanzwelt geworden?
Mein Vater war Ingenieur und ich früh an Naturwissenschaften interessiert. Ich gehörte zum zweiten Jahrgang, der Informatik an der Universität Magdeburg studierte. Das Verhältnis von Frauen zu Männern war damals übrigens ausgeglichen, während heute ja überwiegend Männer Informatik studieren. Auch wenn es Informatik, wie sie damals gelehrt wurde, heute so nicht mehr gibt, hilft mir die Denkweise: das Programmieren, der Betrieb von Anwendungen, die strukturierte Art, an Themen heranzugehen. Über die Technologie bin ich zu den Finanzthemen gekommen. Die Deutsche Börse ist ein Finanzinfrastrukturprovider – ein Technologieunternehmen, das sich in der Finanzwelt bewegt.

Während Ihres Studiums kam die Wiedervereinigung. Wie haben Sie die Ereignisse wahrgenommen?
Ich war im siebten Semester an der Universität Magdeburg, als die Mauer fiel. Nachts hörte ich die Nachricht und konnte es erst nicht glauben. Am nächsten Morgen dann Klarheit: Es passiert tatsächlich! Ich habe die Chance genutzt und bin nach Westberlin gezogen, um dort meine Diplomarbeit zu schreiben. In den Botschaften habe ich nach Stipendien für ostdeutsche Studenten gefragt. Die britische Regierung hat innerhalb weniger Wochen Programme aufgesetzt. Ich habe mich beworben und eines der Stipendien bekommen. So konnte ich 1991 für das Masterstudium nach Großbritannien gehen. Dafür bin ich sehr dankbar. Die Errungenschaften von Europa werden heute nicht genügend geschätzt – die Reisefreiheit, die großen Chancen, im Ausland studieren und arbeiten zu können. Wenn man, wie ich, hinter Mauern aufgewachsen ist, ist das etwas sehr Wertvolles.

Hätten Sie damals gedacht, mal Vorstand in einem milliardenschweren Aktienunternehmen zu sein?
Das lässt sich natürlich nicht planen. Ich wollte immer gern Verantwortung übernehmen, unternehmerisch handeln. Diese Ambitionen haben mir geholfen, stets einen Schritt weiterzugehen, meine Grenzen zu testen und auch mal Aufgaben zu übernehmen, die für mich neu waren. Chancen zu ergreifen ist wichtig, dabei stets überlegt vorzugehen aber genauso. Und den Mut zu haben, Entscheidungen zu treffen. Jungen Frauen würde ich raten: Geht ungewöhnliche Wege! Sucht euch Aufgaben, bei denen der Erfolg gut messbar ist und ihr eure Stärken ausspielen könnt.