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Porträt

„Die Welt ist ein Würfel “

Porträt - „Die Welt ist ein Würfel “
Günther Zins in seinem Atelier in Kleve © Günther Zins

Der Bildhauer, Fotograf und Saxofonist Günther Zins komponiert den Raum neu und stellt mit seinen Werken „stille Fragen aus Stahl“.

01.06.2025

Günther Zins gehört zu den stillen Radikalen der deutschen Bildhauerei. Seine filigranen Edelstahlkuben, scheinbar schwerelos und doch hochpräzise, ziehen sich durch den öffentlichen Raum – von München über Frankfurt und Düsseldorf bis nach Südostasien. Wer sie entdeckt, blickt auf mehr als Geometrie: Es sind stille Fragen aus Stahl, poetisch und präzise zugleich.

Zins transformiert unsere Wahrnehmung von Raum, Schwerkraft und dem Dialog zwischen Urbanität und Natur. Seine Werke sind visuelle Denkfiguren – durchzogen von Rhythmus, Leichtigkeit und innerer Struktur. Der Künstler ist selbst Saxofonist. „Ich habe mir als Student ein Selmer Mark VI gekauft – das Instrument begleitet mich bis heute im Atelier sowie bei zahlreichen Ausstellungen in Museen und Galerien“, sagt er. Seine Linien sprechen wie Töne – vor allem im Geiste seines großen Vorbilds John Coltrane. Der spielte auch auf einem Selmer Mark VI.

Missing Links – Resonanzen im urbanen Raum

„Meine Skulpturen sollen dem Raum eine Stimme geben – und mit Erwartungen spielen“, erklärt Zins bei einer Tasse Kaffee in seinem Atelier. Dieser Impuls zeigt sich eindrucksvoll in einer Arbeit, die sich aus einer efeubewachsenen Mauer eines Hauses in Kleve hervorschiebt: Ineinander verschachtelte Würfelkörper wachsen scheinbar aus der Natur, kippen beinahe – und bleiben doch in vollkommener Balance. Präzision trifft auf Leichtigkeit, Struktur auf Schwebe. Wie Coltrane seine Tonfolgen improvisierend entfaltet, verwandelt Zins Geometrie aus Stahl in eine visuelle Melodie.

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Missing Link. Sparkasse Frankfurt/Oder–Dresdner Bank Frankfurt/Oder, Edelstahl, 400 x 420 x 360 cm © Günther Zins

In Frankfurt/Oder zeigt sich sein Ansatz in monumentaler Klarheit: Die Skulptur Missing Link verbindet zwei Bankgebäude – Sparkasse und Dresdner Bank – mit einem schwebenden Quader aus Edelstahl. Genau 420 Zentimeter trennen die Glasfassaden; der Raum dazwischen wird durch die Struktur zum vibrierenden Mittelpunkt. Spiegelungen vervielfachen den Würfel ins Unendliche. Darunter verläuft eine Passage – wer sie betritt, entdeckt über sich einen „eingeklemmten Raumkörper“, wie Zins ihn nennt. Er irritiert, er inspiriert – ein Kommentar zum Zwischenraum von Architektur, Wahrnehmung und Natur. „Ich will Resonanzen schaffen – wenn man sehend zuhört.“

A Love Supreme – Zwischen Struktur und Ekstase

Eine Schwarz-Weiß-Serie zeigt Zins, wie er Skulpturen im Reichswald bei Kleve zugleich wirft und entwirft. Seine „geworfenen Skulpturen“ schweben wie eingefrorene Improvisationen: Linien, die sich verschachteln, die sich jeder statischen Lesart entziehen. Sie wirken wie Coltrane-Phrasen in Stahl – offen, eruptiv, und doch voller innerer Ordnung.

Zins verehrt John Coltrane. Prägend sind für ihn die Aufnahmen für das Label „Impulse! Records“, besonders die Alben A Love Supreme (1965) und Ascension (1966). Das erste ist eine stille, spirituelle Hymne an das Göttliche – strukturiert, meditativ. Das zweite ein radikaler Aufbruch in klangliche Freiheit, chaotisch und kompromisslos. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch Zins’ Werk: Zwischen Ordnung und Ekstase, zwischen Schweigen und Aufschrei.

Giant Steps – Der Klang der Skulpturen

Günther Zins komponiert den Raum. Seine Skulpturen laden ein, unsere Umgebung neu zu denken – nicht als feste Form, sondern als beweglichen Zustand. Wie der Bebop mit Klang Architektur schafft, so formt Zins mit Stahl räumliche Melodien und produziert Resonanzen zwischen urbanen Räumen und Natur. Die Welt ist ein Würfel – und Zins verleiht ihr einen neuen Klang.

Frank Mehring


Zur Person:

Günther Zins, RC Kevelaer, wurde am 9. April 1951 in Butzbach, Hessen, geboren. Er ist Bildhauer und Fotograf. Bekannt wurde Zins durch seine geometrischen Stahlskulpturen. Er studierte Freie Malerei in Köln und Berlin und ist Mitglied im Verein der Düsseldorfer Künstler.