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Porträt

Voll durchgestartet!

Porträt - Voll durchgestartet!
RI-Präsident Francesco Arezzo © Monika Lozinska/RI

Nur zwei Wochen nach seiner Ernennung zum RI-Präsidenten 2025/26 tritt Francesco Arezzo selbstbewusst die Führung von Rotary an

01.09.2025

Auf dem kurzen Weg zwischen seinem provisorischen Büro im BMO Centre auf der Rotary International Convention in Calgary und der Terrasse davor wird Francesco Arezzo zigmal von begeisterten Rotary-Mitgliedern angesprochen. Mit einem warmen Lächeln bedankt sich der Italiener bei zwei Sergeant-at-Arms aus Indien, umarmt einen früheren RI-Direktor, scherzt mit ihm und posiert dann für ein Selfie mit Mitgliedern aus Korea.  

Es ist der Tag vor Beginn der Convention. Obwohl jeder neue Präsident Glückwünsche erhält, gibt es einen weiteren Grund für den Ansturm von Gratulanten auf Arezzo und seine Partnerin Anna Maria Arezzo-Criscione: Seine Ernennung zum RI-Präsidenten 2025/26 liegt weniger als eine Woche zurück. Am Abend des 14. Juni war Arezzo, Mitglied im Rotary Club Ragusa auf Sizilien, gerade mit seinen rotarischen Freunden bei der Distriktkonferenz, als er von seiner neuen Aufgabe erfuhr. 

Nach dem überraschenden Rücktritt von Mário César Martins de Camargo traf Rotarys Zentralvorstand diese Entscheidung auf einer Sondersitzung. Da dies jedoch noch nicht offiziell bekannt gegeben worden war, konnte Arezzo niemandem davon erzählen. Es dauerte aber nicht lange, bis überall im Raum die Handys hervorgeholt wurden. „Als die Neuigkeit gegen 23 Uhr in den sozialen Medien eintraf, saßen wir gerade bei einem Abendessen“, erzählt er. „Sie können sich vorstellen, was passierte, als mehr als 400 Mitglieder zur selben Zeit auf ihren Handys davon erfuhren. Das war ein unvergesslicher Moment. Alle sprangen gleichzeitig auf, um mir zu gratulieren.“ 

Zwei Tage später flog er nach Kanada, um seine Nominierung auf der Convention vor 16.000 Teilnehmern aus rund 140 Ländern anzunehmen. „Ich hatte nicht einmal Zeit für den Friseur“, sagt er und zeigt auf sein dichtes graues Haar.   Trotzdem sei er bereit für diesen Moment gewesen. Arezzo ist seit mehr als drei Jahrzehnten Rotary-Mitglied und war in mehreren Führungsrollen tätig, unter anderem als RI-Direktor und Vorsitzender des Melbourne Convention Committee 2023. Als Kandidat 2023 für das Amt des RI-Präsidenten war er in die engere Wahl gekommen.  

Arezzo sprach über seine Botschaft  als Präsident, „Unite for Good“  (Gemeinsam für das Gute)
Arezzo sprach über seine Botschaft als Präsident, „Unite for Good“ (Gemeinsam für das Gute) / Christophe Viseux/RI



Die rotarische Welt stellte sich geschlossen hinter ihn. Seine bewegenden persönlichen Erfahrungen, sein bescheidenes Auftreten und die schlichten, aber eindringlichen Botschaften in seiner Dankesrede brachten ihm begeisterten Applaus und Standing Ovations ein. Trotz des großen Interesses an Arezzo auf der Convention konnten wir in den Pausen im Flur, in einem Minibus auf dem Weg zu einem Rotary-Event und in seinem provisorischen Büro mit ihm sprechen, um mehr über den neuen Präsidenten zu erfahren. Hier ist das Wichtigste aus diesen Gesprächen:

Er hat zwei Töchter – und zwei Enkelkinder mit bekannten Namen 
Das ältere Enkelkind ist drei Jahre alt und trägt meinen Namen: Francesco. Die jüngere Enkelin ist ein Jahr alt und hat den Namen meiner Partnerin. Am liebsten spiele ich mit ihnen in meinem Wohnzimmer. Sie sind so gern bei mir, dass sie sich an mir festklammern, wenn ich sie verlassen muss.  

Ein Urlaubsfoto mit den Enkelkindern  Francesco und Anna Maria und (stehend,  von links) Tochter Elena, Schwiegersohn  Magnus und Tochter Raffaela
Ein Urlaubsfoto mit den Enkelkindern 
Francesco und Anna Maria und (stehend, 
von links) Tochter Elena, Schwiegersohn 
Magnus und Tochter Raffaela / Privat


Es stimmt mich traurig, dass ich nicht bei ihnen bleiben kann. Doch ich muss mich entscheiden: Entweder lehne ich das Amt des Präsidenten ab, oder ich kann sie eine Weile nicht mehr sehen. Es ist ja nur für ein Jahr. Ich bin bereit, ein kleines Opfer zu bringen. Rotary befand sich in einer Notsituation, und ich bin bereit zu helfen. Ich schätze mich sehr glücklich, diese Chance zu erhalten.  

Kieferorthopädie ist mehr als eine Zahnbehandlung 
Ich bin seit 46 Jahren praktizierender Kieferorthopäde. Ich behandle hauptsächlich junge Menschen. Es ist sehr wichtig, sie vor Beginn der Behandlung besser zu verstehen. Wenn man sie nicht versteht, kann man sie nicht behandeln. Man muss ihr Vertrauen gewinnen. Diese Beziehungen aufzubauen, ist einer der besten Aspekte meiner Arbeit. Manchmal weiß ich mehr über sie als ihre Eltern. Eine so tiefe Beziehung ist der Beginn einer guten Behandlung. 

Seine Familie produziert seit über einem Jahrhundert Olivenöl
Ich fürchte, dass ich der Letzte einer langen Reihe von Olivenproduzenten bin, denn meine Töchter haben kein Interesse daran. Gutes Olivenöl muss einen bestimmten Geschmack haben, etwas bitter und scharf. Es muss hervorragende chemische Eigenschaften haben: einen Säuregehalt von unter einem Prozent. Dafür muss man die Oliven sehr zeitig ernten. Dann erhält man nur eine kleine Menge, die aber eine hohe Qualität hat. Das Olivenöl im Supermarkt wird aus Oliven gewonnen, die sehr spät geerntet werden. Dadurch ist die Menge sehr groß, die Qualität allerdings sehr gering. Gutes Olivenöl lässt sich nur mit Leidenschaft herstellen. 

Er wollte nicht Präsident seines Clubs werden 
Als mich mein Club für das Amt des Clubpräsidenten vorschlug, war ich zunächst dagegen. Ich litt unter Stottern und hatte große Angst, vor den Clubmitgliedern zu sprechen. Aber es war gar nicht so schlimm. Dann wurde ich für das Amt des Governors vorgeschlagen, und wieder sträubte ich mich. Doch ich wurde erneut überzeugt, das Amt zu übernehmen.  
Rotary hat mich verändert. Dass der Berufseinsteiger, der aus Angst, sich zu blamieren, nicht vor seinen Clubmitgliedern sprechen wollte, jetzt auf einer Bühne stehen und in einer anderen als seiner Muttersprache vor Tausenden von Menschen sprechen kann, verdanke ich allen Rotarierinnen und Rotariern, die ich in meinem Leben kennengelernt habe und die mich immer liebevoll unterstützt haben. 

Für ihn sind die Clubpräsidenten und Clubpräsidentinnen der Schlüssel zum Erfolg 
Wir müssen besser mit den Clubpräsidentinnen und -präsidenten kommunizieren. Sie bilden bei der Arbeit mit den Mitgliedern die vorderste Front. Wir sind zwar sehr gut darin, den Governors einzuschärfen, wie wichtig die Mitgliedschaft ist. In vielen Fällen sprechen diese aber nur zwei- oder dreimal im Jahr mit einem Clubpräsidenten oder einer Clubpräsidentin. Deshalb verstehen noch zu viele von ihnen nicht, warum unsere Mitgliederziele so wichtig sind. 



Eine seiner wichtigsten Prioritäten ist der Frieden 
In meiner Zeit als Governor organisierte ich ein RYLA-Event für Distrikte, die an das Mittelmeer grenzen: Italien, Frankreich, Spanien, Nordafrika, Griechenland und die Türkei. Das Zusammenbringen von türkischen und italienischen Jugendlichen, die sehr unterschiedliche Ansichten voneinander haben, war eine echte Herausforderung. Die Atmosphäre am ersten Tag war sehr angespannt. Man spürte, wie unwohl sie sich miteinander fühlten. Nach wenigen Tagen stellten sie aber fest, dass sie dieselben Interessen und Träume haben.  
Am letzten Tag sangen sie gemeinsam Imagine von John Lennon und führten ein selbst geschriebenes Theaterstück über die kulturellen Unterschiede zwischen ihren Ländern auf. Das war eine der schönsten Erinnerungen in meinem Leben.  
Wenn wir an die vielen jungen Menschen denken, die wir durch den Rotary-Jugendaustausch, unser Stipendienprogramm und die Rotary Peace Center in die ganze Welt entsenden, sind wir eine regelrechte „Friedensmaschine“. In einer Zeit, in der sich die Menschheit vom Frieden zu entfernen scheint, brauchen wir eine solche Kraft mehr denn je. 

 

Er hört seit seiner Jugend Oper
In meiner Familie gehörte Opernmusik zum Alltag. Ragusa ist jedoch eine Kleinstadt ohne ein Musiktheater. Ich studierte in Padua und besuchte oft das Theater im nahe gelegenen Venedig. Es war einfach wunderschön. Ein Komponist, den ich sehr mag, ist Vincenzo Bellini. Er wurde in der Stadt Catania auf Sizilien geboren, starb aber als sehr junger Mann. Bellini komponierte nur wenige Opern, aber alle von erlesener Qualität. Norma zum Beispiel ist wunderbar. Ebenso wie Die Capulets und die Montagues. Und natürlich gibt es noch viele andere großartige Komponisten: Puccini, Verdi, Mozart. Es ist schwer, einen Favoriten auszuwählen.  

RI-Präsident Francesco Arezzo und seine Frau Anna Maria Arezzo-Criscione auf der RI Convention 2025 in Calgary
RI-Präsident Francesco Arezzo und seine Frau Anna Maria Arezzo-Criscione auf der RI Convention 2025 in Calgary / Monika Lozinska/RI



Er hat Pläne für das Aufholen seines verspäteten Starts 
Normalerweise hat der Präsident ein Jahr Zeit, um sich eingehend mit Problemen zu beschäftigen. Er hat ein zweites Jahr, um einen Plan zu entwickeln, und ein drittes Jahr – das der Präsidentschaft –, um den Plan aktiv umzusetzen. Mir ist klar, dass ich einen sehr späten Start habe. Ich hoffe auf eine enge Zusammenarbeit mit dem kommenden RI-Präsidenten, der nun bestimmt wird. Ich denke, wir können einen richtig guten Zweijahresplan entwickeln. Rotary ist kein leichter und wendiger Roller, sondern eher ein riesiges Kreuzfahrtschiff: Wenn man die Richtung ändern will, muss man viele Kilometer vorher damit beginnen.  

Er hält Rotary für ein Aktionsverb 
Wenn ich mit unseren Mitgliedern spreche, bitte ich sie immer darum, andere Verben zu verwenden. Man „geht“ nicht zu Rotary wie ins Kino, wo man sich hinsetzt und den Aktionen anderer Menschen auf der Leinwand zusieht. Rotary heißt, etwas zu tun. Man muss sich beteiligen. Nur so entwickelt man sich weiter. 

 

Etelka Lehoczky