Porträt
„Ich liebe die weiße Leinwand”

Von Kindheit an wusste Alex Kiessling, dass er Künstler sein will. Um in der Freiheit zu leben, die er braucht. Und um Schöpfer einer eigenen Welt zu sein
Die Angst vor der weißen Leinwand kennt er nicht. Die Angst, die manchen seiner Künstlerkollegen befällt, so wie die Angst mancher Schriftsteller vor der leeren Seite. Malen ist für ihn ein Schöpfungsakt. Da erschafft er eine eigene Welt. Mit Menschen, die er verzerrt und deren Schichten er damit freilegt, mit tanzenden Bären und violetten Gorillas, mit einem Seepferdchen als Einhorn und mehrköpfigen Fabelwesen. Dafür braucht er die Ruhe, die Einsamkeit im Atelier.
In Laxenburg bei Wien, fast in Steinwurfweite vom Schloss, in dem Kaiser Karl VI. die Pragmatische Sanktion unterzeichnet hat und wo Kaiserin Sisi Kronprinz Rudolf zur Welt gebracht hat, dort hat er sie gefunden. Wenn ihm das Atelier zu eng wird, kann er im riesigen Park Kraft tanken. Die braucht er für seine riesigen Gemälde. „Zu malen ist nicht nur existenziell anstrengend, auch körperlich“, sagt Alex Kiessling. Vor allem bei seinen Großformaten, oft weit über zwei Meter hoch. Darauf lässt er seine fast naturgetreuen Tiere seine Sicht auf die Welt erklären. „Diese Tiere sind für mich ein zoon politikon, Platzhalter für Menschen.“ Die inszeniert er auf der Leinwand wie ein Theaterregisseur seine Schauspieler. Da wird ein Bär zum Jongleur, und gefährliche Tiger beherrschen die Weltkugel.
Kiessling malt immer in Serien, derzeit wieder große Formate mit Tieren, dazwischen gab es eine Serie mit Porträts. Keine herkömmlichen, sondern Gesichter, die er zerlegt, in Schichten und Strukturen, mit Streifen und Mustern überlagert, um ihnen eine neue Botschaft zu geben. Oder eine Katze, die zugleich lebendig und tot ist und die überlagert ist von geometrischen Strukturen. Da geht es um Dekonstruktion, Zerlegung und zugleich um mehrere Informationsschichten. „Das Leben ist vielschichtig“, sagte er. Für ihn ist die Malerei ein Türöffner ins Unterbewusstsein.
Dieser Schöpfungsakt erfordert auch psychische Kraft. Verlangt ihm Energie ab, die er in seine Bilder legt. Für ihn ist ein Bild erst gut, wenn er spürt, dass diese Energie als kraftvolle Ausstrahlung zurückkommt. Erst dann ist er bereit, es zu verkaufen. Was sich aber nicht immer im Verkaufserfolg spiegelt. Der habe nämlich nichts damit zu tun, ob er selbst das Bild gut finde, sagt er. „Manche, die ich für meine besten halte, habe ich seit zehn Jahren immer noch.“

Der Markt für Kunst ist sowieso ein eigenes Thema. Kiessling lässt sich nicht steuern vom Kunstmarkt. Der kann manipulativ sein, einen Künstler hypen und vernichten. Da dreht sich vieles nur um Geld. „Warum wohl ist die Art Basel ausgerechnet in Basel, in Hongkong und Miami?“, fragt er laut. „Da geht es nicht nur um Kunst.“ Er hat auch keinen Exklusivvertrag mit einer Galerie. Selbstbestim-mung ist ihm wichtig, fremdgesteuert zu sein, wäre ihm ein Gräuel. Da sieht sich der Künstler fast in der Tradition früherer Handwerksbetriebe, die ihr Publikum mit qualitätsvoller Arbeit überzeugen. Und er stellt fest, dass das Internet für den Kunstverkauf an Bedeutung verliert. Ausstellungen und direkte Konfrontation mit der Kunst sind wieder zunehmend wichtig. Seine Käufer wollen mit seinen Bildern leben, sie nicht in Bilderspeichern verstecken und mit ihnen spekulieren. Dass das mit seinen Großformaten schwierig ist, stimme gar nicht, meint er. „Kleine Bilder werden genauso schlecht oder genauso gut verkauft wie große.“ Die Qualität muss stimmen. Das gilt auch für die Inhalte. Zur Zeit seines Studiums an der Akademie war die figurative Malerei verpönt, für tot erklärt. Er hat sich trotzdem darauf eingelassen und jetzt ist sie durchaus gefragt. Er liebt es einfach zu modellieren. Auch bei seinen Skulpturen, die er als Zeichnungen entwirft und dann im 3D-Drucker anfertigt.
Da ist die Technik ein Werkzeug. So wie es für ihn auch die KI ist. Kiessling glaubt nicht, dass künstliche Intelligenz die Künstler verdrängen wird. „Kunst lebt davon, dass dahinter ein Mensch steht, auch wenn Roboter vielleicht zu Assistenten werden.“ Aber die Entwicklung beobachtet er durchaus mit Argusaugen.
Schon mit zehn Jahren hat Alex Kiessling gewusst, dass er Künstler werden will. Die Mappe mit seinen Zeichnungen von damals hat er immer noch. Er hat alles aufgehoben, um zu kontrollieren, ob er wirklich besser wurde. Er sieht sie auch heute noch gerne durch, um sich mit sich selbst zu vergleichen. Das braucht er, vor allem, wenn er von einem längeren Auslandsaufenthalt wieder zurück nach Wien kommt. Seine Auszeit, oft mehrere Monate, verbringt er in seinem Haus in Südafrika. Da zeichnet und entwirft er viel. Dort zu malen, ist für ihn nicht so einfach. Weil die Materialien, die er braucht und mit denen er vertraut ist, dort nicht erhältlich sind. So ist Afrika für ihn die Regenerations- und Ruhezeit.
Aber sosehr er die Einsamkeit im Atelier braucht, so wenig will er sie im Leben. Da will er Musik und Freunde um sich. Dafür ist Rotary natürlich ein guter Boden, wenngleich er seine Präsenz in seinem Wiener Club als bescheiden einstuft. Aber immerhin gibt es ja Rotary auch in Südafrika.
Zur Person:
Alex Kiessling, RC Wien-Hofburg, geboren 1980 in Wien. Lebt und arbeitet in Laxen-burg bei Wien und in Südafrika. Studium der Malerei an der Universität für angewandte Kunst Wien. Diverse internationale und nationale Ausstellungen mit Malerei, Skulptur, Digital Art, Grafik und Zeichnung.
Finden Sie weitere Werke in unserer Fotogalerie: rotary.de/fotostrecke/533

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