Interview mit Kathrin Stainer-Hämmerle
"Das Ende eines Experiments"
In der österreichischen Politik überschlagen sich die Ereignisse – Rücktritt reiht sich an Rücktritt. Die Regierung wird umgebildet.
Die Politikwissenschaft kommt manchmal gar nicht nach, die aktuellen Entwicklungen zu analysieren. Knapp nach Erscheinen der Dezember-Ausgabe, in der die Kärntner Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle (RC Klagenfurt-Lindwurm) die Turbulenzen in der Politik sezierte, haben sich in Österreich die Ereignisse überschlagen: Rücktritt von Sebastian Kurz auch als ÖVP-Obmann, Rücktritt des Kurzzeitkanzlers Alexander Schallenberg und des Finanzministers Gernot Blümel. Nach kurzer Schockwelle in der ÖVP wurde Karl Nehammer zu deren neuem Chef designiert und schon am Montag, dem 6. Dezember, zugleich mit einer größeren Regierungsumbildung auch als neuer Bundeskanzler angelobt. Grund genug, die Politikwissenschaftlerin Stainer-Hämmerle bei einem Kurzaufenthalt in ihrer Heimat Vorarlberg um eine aktuelle Bewertung der Vorgänge in Wien zu bitten.
Zeitgleich mit dem Abgang der deutschen Kanzlerin Angela Merkel hat sich nun auch Sebastian Kurz völlig aus der Politik zurückgezogen. Er war im Grunde ja nur ein paar Jahre Kanzler. Ist das auch in Österreich das Ende einer - wenngleich viel kürzeren - Ära oder doch nur der Austausch von Personen?
Also, Ende einer Ära ist im Vergleich zu Merkel sicher nicht gerechtfertigt. Ich sehe es als das Ende eines Experiments. Das bestand einerseits im Liebäugeln der ÖVP mit dem Rechtspopulismus, sowohl als Koalitionspartner als auch als auch im eigenen Stil, und andererseits darin, das Wohl und Wehe der Partei gänzlich einer Person auszuliefern.
Aber die Durchgriffsrechte, die die ÖVP damals Kurz per Statutenänderung gegeben hat, bleiben ja für seinen Nachfolger aufrecht.
Ja, natürlich kann man jetzt Nehammer nicht am nächsten Parteitag wählen und gleichzeitig schon wieder mit einer Statutenänderung seine Befugnisse beschneiden. In Wahrheit sind die Landeshauptleute der ÖVP jetzt schon wieder stärker geworden, was ich ohnedies nicht für einen großen Fehler halte.
Was die ÖVP nicht zurücknehmen darf, da sollten sie in dem Experiment schon etwas gelernt haben, das ist die Einigkeit. Sie ist der Schlüssel zum Erfolg und das geht auch mit Nehammer, vielleicht nicht in so lichte Höhen und international beachtet. Natürlich kann die ÖVP als zum Teil "schwarze" und zum Teil "türkis"“ Partei wieder die Nummer eins werden in Österreich. Ich glaube, das geht schneller, als wir uns das heute vorstellen, vor allem auf Grund der Schwäche der anderen Parteien.
Was bleibt an inhaltlichen politischen Milestones von Kurz?
Relativ wenig, Geld zu verteilen mit einem Familienbonus und dem Erhöhen kleiner Pensionen ist ja nicht die höchste politische Kunst. Das Zusammenlegen der Krankenkassen war ein gelungenes Reformprojekt, die ökosoziale Steuerreform trägt hingegen viele Züge der Grünen. Nun, vom Ausland her betrachtet ist die beachtenswerteste Veränderung die Rolle Österreichs in der EU, also nicht mehr der rein loyale Partner Deutschlands zu sein, wie es unter Kanzler Faymann noch war, sondern sich auch bei Kritikern gegenüber einer vertieften Zusammenarbeit zu finden, also einerseits mit den frugalen Vier zum Verhindern einer Schuldenunion und am Anfang mit der Annäherung an die Visegradstaaten, als es um Zuwanderung gegangen ist.
Meinen Sie damit ein selbstbewussteres Auftreten in Europa?
Ich sehe es eher als ein EU-kritischeres Auftreten in puncto Vertiefung. Die ÖVP war ja immer sehr proeuropäisch. Da könnte ich mir vorstellen, dass die ÖVP nach Kurz hier wieder einen Schwenk macht. Aber das hängt auch von Deutschland ab, da sind die Vorzeichen jetzt andere, bisher war das ja die gleiche Parteifamilie, und Frankreich wählt auch bald.
Nochmals zurück zu Kurz. Ist er gescheitert oder, wie es Andreas Khol (ehem. Nationalratspräsident, ÖVP, Anm.) ausgedrückt hat, abgeschossen worden? Ist der Rücktritt mehr ein Erfolg der Opposition oder eine Folge eigener Fehler?
Andreas Khol kann ich da nicht Recht geben. Sebastian Kurz ist an sich selbst gescheitert, an seiner Methodik, wie er Macht erringen wollte und mit seinem Umfeld, seinen Vertrauten. Dass er so viel Anlass für Kritik geboten hat, wo ein Rücktritt durch die Ermittlungen der Justiz dann erforderlich war, diesen Anlass muss man schon selbst bieten. Die Justiz ermittelt ja nicht auf Zuruf von Oppositionspolitikern. Natürlich hätte es in anderer politischer Konstellation auch anders laufen können, aber dass die Kontrolle und die Justiz funktionieren ist schon auch beruhigend.
Irgendwann werden all diese Vorwürfe gerichtlich aufgearbeitet sein. Sollte er, wovon er selbst ja ausgeht, von allem freigesprochen werden, halten Sie dann ein Comeback von Kurz für möglich?
Da muss man unterscheiden zwischen der strafrechtlichen und der politisch-moralischen Ebene. Jetzt ist er Ex-Politiker, da ist die politisch-moralische Bewertung nicht mehr so relevant, das ist für Kurz und die Partei natürlich gut. Sollte er strafrechtlich seine Unschuld beweisen können, was ich persönlich schon für möglich halte, aber seine Umgebung, also zum Beispiel Thomas Schmid, doch verurteilt werden, dann hätte das dennoch Auswirkungen auf ihn. Abgesehen davon glaube ich nicht an ein Comeback. Es gab noch nie ein Comeback eines Bundeskanzlers, der zurücktreten musste. Gut, die anderen waren alle älter, aber warum sollte er?
Außerdem: Der Vertrauensvorschuss, mit dem er zwei Mal die Nationalratswahlen gewonnen hat, die Hoffnung der Bevölkerung, alles besser zu machen, das alles ist ja so nicht mehr wiederholbar. Die Frage wird auch sein, wie sich die ÖVP nach Kurz entwickelt. Sollte sie wieder so dastehen wie 2016, wie das unter Spindelegger und Mitterlehner war, dann könnte natürlich wieder ein Tor aufgehen.
Sie meinen den Ruf nach dem, der ja einmal so erfolgreich war?
Ja, aber Personen, die Kurz kennen, sagen, wenn er eine Entscheidung getroffen hat, dann bleibt er dabei.
In unserem Interview für die Dezember-Ausgabe des Magazins haben Sie gesagt, das Regieren ist generell schwerer geworden. Ist es auch schwerer geworden, sich überhaupt längere Zeit in der Politik zu halten? Ich meine jetzt abgesehen von Angela Merkel, die eine Ausnahmeerscheinung war, aber in anderen Ländern sieht man diese kurzfristigen Wechsel ja schon viel häufiger.
Natürlich, wir haben mehr Parteien und eine stärkere Polarisierung. Der Wille zu parteiübergreifenden Kooperationen ist in den politischen Eliten geringer geworden, das war in der Nachkriegszeit anders. Jetzt merkt man diese Polarisierung auch schon in der Bevölkerung und nicht nur oben an der Spitze. Irgendwann wird aber auch die Sehnsucht nach Harmonie wieder groß, die war ja in Österreich immer schon stark ausgeprägt. Und das hängt auch von den Personen ab. In Kärnten zum Beispiel gab es mit Jörg Haider viel Show und Polarisierung, und dann kam der biedere, technokratische Peter Kaiser (als Landeshauptmann, SPÖ, Anm.) und der hat schon Stabilität gebracht und es scheint, dass er sich damit auch noch länger halten könnte.
Die Frage stellt sich jetzt ja auch in Deutschland. Fast zeitgleich mit Österreich, nur zwei Tage nach Nehammer, wird in Deutschland Olaf Scholz als neuer Bundeskanzler angelobt. Wird er sich auch sechzehn Jahre an der Spitze halten können wie Angela Merkel?
Scholz ist vielleicht für sechzehn Jahre auch ein wenig zu alt, aber abgesehen davon, mit einer Ampelkoalition wird das meiner Ansicht nach ohnedies nicht gehen. Wir wissen, Große Koalitionen sind in Deutschland unbeliebt und inzwischen auch in Österreich, aber die können auch stabil sein. Scholz müsste wohl nach der nächsten Wahl zu einer gut abgesicherten Zweierkoalition zurückkehren können. Er müsste es schaffen, bei der nächsten Wahl viel Bonus als Kanzler aus der Dreierkoalition mitzunehmen um dann nur mit einem Partner regieren zu müssen, wer auch immer das dann ist. Aber sechzehn Jahre Dreierkoalition würden mich schon sehr erstaunen.
Das Entscheider-Interview mit Kathrin Stainer-Hämmerle lesen Sie hier: "Das Regieren ist schwerer geworden"
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