Rotary Entscheider
Anwalt der nächsten Generation
Die Universität Wien ist mit 88.000 Studierenden die weitaus größte in Österreich. Für den neuen Rektor Sebastian Schütze geht die Rolle von Universitäten weit über den einer Bildungseinrichtung hinaus – als Faktoren einer stabilen Demokratie.
In Österreich wird er als Rektor immer noch als Magnifizenz angesprochen, jedenfalls bei offiziellen Anlässen und auch in der Kollegenschaft, wenngleich bisweilen mit einem Augenzwinkern, wie er erzählt. Für die Studierenden ist er schlicht der Herr Rektor. Dennoch – groß ist nicht nur die Würde, sondern auch die Aufgabe. So wurde Sebastian Schütze gleich zu seinem Amtsantritt im Oktober mit einer veritablen Finanzkrise der Universitäten konfrontiert. Die Unis in Österreich stünden knapp vor dem finanziellen Kollaps, war die Sorge.
Besteht diese Gefahr noch immer?
Die Gefahr eines Kollaps ist erst mal gebannt. Aber es sah im Sommer schon ziemlich dramatisch aus. Wir sind zwar davon ausgegangen, Lösungen zu finden, aber zunächst sah das schon sehr nach drastischen Kürzungen aus.
Es hieß, es fehlen 1,2 Milliarden Euro in den Budgets, kumuliert auf alle Universitäten.
Ja, das war für den Zeitraum bis 2024. In Österreich werden die Budgets immer für drei Jahre beschlossen. Zu dem Zeitpunkt, als diese drei Jahresbudgets fixiert wurden, war das ausreichend und gut. Aber dann, durch Krieg, Inflation und so weiter wurde klar, dass das nicht reichen wird.
Die langfristige Budgetplanung war also in dem Fall ein Bumerang?
Man könnte es so sehen. Wir sind sehr froh über diese dreijährige Budgetplanung, weil das ein wesentlicher Aspekt der Autonomie ist. Aber in einer plötzlichen Krisensituation kann das zum Problem werden. Dann sind wir im Verlauf der Gespräche aber doch zu guten Lösungen gekommen.
Es ist ja bald von der Regierung eine Aufstockung um 500 Millionen bis 2024 zugesichert worden. Ist die Krise somit vom Tisch?
Sie ist noch nicht ganz vom Tisch, sie lässt sich aber jetzt besser einschätzen. Im Herbst war niemandem klar, wie wir mit den Energiekosten über den Winter kommen. Und für alle Universitäten sind der größte Teil des Budgets die Gehaltskosten. Mit der Inflation war klar, dass die Gehaltsverhandlungen im Herbst nicht wie davor mit anderthalb, zwei Prozent ausfallen, sondern deutlich höher, und das schlägt natürlich im Budget durch.
Gab es Personalkürzungen?
Nein, aber wir haben mit einem Ausschreibungsstopp bis Februar quasi die Erneuerung unseres Personals verschoben, um ein Minimum an Handlungsspielraum zu behalten.
Ist das insgesamt eine Bildungskrise, wie es die Studierenden bezeichnet haben?
Im Moment ist es keine, aber es könnte eine werden. Bald geht es um die nächste dreijährige Leistungsvereinbarungsperiode nach 2024. Die Würfel dazu fallen im Sommer oder spätestens mit dem Budget des Finanzministers im Oktober, und da wird man sehen, ob die an sich sehr positive Entwicklung der Uni Wien weiter finanzierbar ist oder ob wir eingebremst werden.
Was heißt eingebremst?
Der extremste Schritt wären Einschränkungen. Davon gehe ich jetzt nicht aus. Aber die Universität muss vorangehen, muss Visionen umsetzen können, und dazu braucht es Geld. Und wenn halt alles Geld, das wir bekommen, letztlich in gestiegenen Sach- oder Gehaltskosten aufgeht, dann ist das Entwicklungspotenzial extrem eingeschränkt. Wenn wir im Bereich der Forschung die Topleute nach Wien holen wollen, sind wir im internationalen Wettbewerb, und Topleute muss man auch halten können. Das ist in einigen Fächergruppen schwieriger als in anderen. In den Naturwissenschaften sind die Infrastrukturkosten deutlich höher als in Geisteswissenschaften. Da müssen wir mit unserer Reputation konkurrenzfähig bleiben. Es geht um den Zusammenhang von Wissenschaftsstandort und Wirtschaftsstandort, aber auch um so große Themen wie Demokratie. Ausbildung leistet einen enormen Beitrag für Stabilisierung und Orientierung, und das in einer Welt, die kolossal in Unordnung geraten ist. Das gilt für die jungen Leute ganz besonders. Da muss sich die Universität als Anwalt der nächsten Generation positionieren.
Spielen im Diskurs mit der Politik die Rankings eine Rolle, mit denen Universitäten weltweit verglichen werden
Ja, und es gibt auch immer wieder Argumente gegen diese Rankings. Trotzdem spielen sie eine Rolle. Aber jedes Ranking gehört interpretiert.
Wo steht da die Uni Wien?
Wir hatten jetzt im letzten Jahr das höchste Ergebnis überhaupt in der Geschichte der Uni Wien und waren beim Times Higher Education Ranking auf 124, wasfür eine öffentlich finanzierte Universität dieser Größenordnung ohne Studiengebühren sehr beachtlich ist.
Sie sind seit 2009 in Wien, das heißt, Sie kennen das Haus schon gut, waren Dekan, aber das Amt des Rektors ist doch etwas anderes. War das für Sie eine Art Abschied von der eigenen Disziplin, von der Kunstgeschichte?
Nein, so hab ich das nie gesehen. Ich habe in meiner ganzen Karriere wahnsinnig gerne Lehre und Forschung gemacht und habe es auch immer als meine Aufgabe empfunden, zur akademischen Selbstverwaltung etwas beizutragen, auf unterschiedlichen Levels, als Institutsvorstand, als Dekan und so weiter. Jetzt habe ich die Möglichkeit, mich auf dem allerhöchsten Niveau der Universitätsverwaltung einzubringen. Ich bin mit Doktoranden und Assistenten, die auf ihrem Weg weiter betreut sein wollen, nach wie vor sehr aktiv. Dass das derzeit bei meinen Forschungen kräftige Abstriche verlangt, versteht sich von selbst, aber das finde ich auch völlig in Ordnung.
Sie haben bei Ihrer Wahl als Schwerpunkte neben Internationalisierung und Grundlagenforschung auch die digitale Transformation genannt. Was meinen Sie damit?
Digitalisierung ist ein großes Zukunftsthema, da sind nicht nur die Informatiker zuständig. Es geht um die Vernetzung unserer komplexen Gesellschaft, wir brauchen etwa die Sozialwissenschaften genauso dafür. Wir haben viele Kompetenzen im Haus, die wir zusammenbringen können, um Probleme aus verschiedenen Perspektiven anzugehen. Das geht von Klima, Umwelt, Gesundheit über Technik bis zu Artificial Intelligence und so weiter, auch wenn wir keine technische Uni sind. Es geht um das Vernetzen von Kompetenzen. Die wirklich bahnbrechenden Ergebnisse werden heute nicht mehr in Einzelwissenschaften erzielt, sondern immer an den Schnittstellen. In der Medizin liegen viele Lösungen zwischen Chemie und Mikrobiologie. Oder die Quantenphysik. Unsere Aufgabe ist es, diese exzellenten Bereiche, die wir haben, noch stärker zusammenzubringen.
Stichwort Quantenphysik. Als Anton Zeilinger der Nobelpreis zugesprochen wurde, haben Sie gesagt, das sei ein Ruck für die Wissenschaft. Ist dieser Impuls schon spürbar?
Nun, auf einer Metaebene. Durch den Nobelpreis hat Wissenschaft zumindest mal für einen Moment eine Aufmerksamkeit, die sie ohne Nobelpreis nicht bekommt. Das merkt man in der Politik, das merkt man auf der Straße, das merkt man überall. Also, der Ruck ist schon da!
Wirkt sich der auch finanziell aus?
Das bleibt noch abzuwarten. Anton Zeilinger ist ein toller Forscher, der hat das lange verdient gehabt. Wir freuen uns mit ihm. Es wirkt auf die Generation nach Zeilinger. Unter seinen Schülern haben wir absolute Topleute in der Quantenphysik, und die bekommen dadurch mehr Aufmerksamkeit und Chancen für Kooperationen. Die Quantenphysik geht ja jetzt auch stark in Richtung Anwendung, und da öffnen sich für unsere Leute sehr gute Möglichkeiten. Und wenn ich in Gesprächen mit dem Ministerium sage, die Quantenphysik in Österreich muss Weltspitze bleiben, dann wird das auch gehört.
Sie sind deutscher Staatsbürger, aber seit 14 Jahren in Wien. Sind Sie schon Wiener geworden?
Also, ich bin international in meiner ganzen Karriere. Da mein Vater beim Theater gearbeitet hat, bin ich als Kind schon sehr oft umgezogen. Die Stadt, in der ich in Deutschland am längsten gelebt hab, war Lübeck. Da habe ich acht Jahre gewohnt, aber ich war zwölf Jahre in Rom, und jetzt bin ich schon über 14 Jahre in Wien. Also für mich stellt sich diese Frage irgendwie anders.
Aber Sie fühlen sich wohl in Wien?
Sehr wohl. Ja! In Wien ist es sehr einfach, sich wohlzufühlen, erst recht für jemanden, der aus den Geistes- und Kulturwissenschaften kommt. Die Kontakte und Freundschaften durch Rotary haben mir das dann noch einmal ein wenig erleichtert. Für einen Kunsthistoriker ist Wien schon ein besonderer Boden, das Kunsthistorische Museum, die Albertina, die große Tradition, und diese Universität, 1365 gegründet, die größte im deutschsprachigen Raum. Das ist schon was. Die Universität kann vielleicht nicht immer die höchsten Gehälter zahlen, aber wir können immer punkten mit dem Standort Wien. Musikstadt, Kulturstadt, das zieht immer, zum Beispiel wenn man mit tollen Professoren Bleibeverhandlungen führt.
Das Gespräch führte Hubert Nowak.
Prof. Dr. Sebastian Schütze, RC Wien-Donau, studierte Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Alte Geschichte in Berlin, Rom, Köln und Bonn; nach der Promotion habilitierte er in Berlin. Seit 2009 ist Schütze Universitätsprofessor für Neuere Kunstgeschichte in Wien, 2018 wurde er Dekan, seit Oktober 2022 ist er Rektor.
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