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Über das Beutekunst-Problem als ein besonders sensibles Gebiet der deutsch-russischen Beziehungen

»Eine Lösung braucht ein unbelastetes Verhältnis«

nfolge der Revolution in der Ukraine, der anschließenden Annektion der Halbinsel Krim durch Russland und des Auftretens prorussischer Truppen im Osten der Ukraine ist das Verhältnis Russlands zum Westen auf einem Tiefpunkt angekommen wie seit dem Ende der Sowjetunion nicht mehr. Die Autoren der Beiträge dieses Januar-Titelthemas sind auf ganz unterschiedliche Weise mit den gegenseitigen Beziehungen und ihrer wechselvollen Geschichte vertraut. Sie alle verbindet die Einsicht, dass in der jetzigen politischen Großwetterlage das zivilgesellschaftliche Gespräch vor allem zwischen Russland und Deutschland und den Menschen beider Länder wichtiger ist denn je.

16.01.2015

Herr Professor Parzinger, das Thema Beutekunst war lange Zeit eines der größten Aufregerthemen in den deutsch-russischen Beziehungen. In den letzten Jahren ist es darum jedoch still geworden. Warum?
Hermann Parzinger: Grundsätzlich ist es so, dass Russland und Deutschland in bezug auf die Beutekunst völlig entgegengesetzte juristische und politische Auffassungen haben. Die Duma hat bekanntermaßen 1998 die bei Kriegsende in die Sowjetunion überführten Kunst- und Kulturgüter als Kompensation für die deutschen Kriegszerstörungen zu russischem Eigentum erklärt. Wir sagen bis heute ganz klar, das widerspricht dem Völkerrecht, weshalb wir diese Objekte weiter als deutsches Eigentum betrachten. Ernsthaft verhandelt wird zu diesem Thema aber seit vielen Jahren nicht mehr. Das ist möglicherweise der Grund dafür, dass es still geworden ist.

Wie umfangreich ist die Beutekunst?
Die Sowjettruppen haben bei Kriegsende etwa 2,5 Millionen Kunst- und Kulturgüter aus ihrer Besatzungszone mitgenommen. Davon sind in den fünfziger Jahren als kulturpolitische Aufwertung der DDR ungefähr 1,5 Millionen Objekte zurückgekommen, unter anderem der Pergamonaltar in Berlin oder die Sixtinische Madonna in Dresden. Es befinden sich heute aber noch etwa 1 Million Objekte in russischen Museen. Wir gehen davon aus, dass davon rund 200.000 einen höheren musealen Wert haben.

Warum wird das Thema, wenn es denn zur Sprache kommt, so emotional diskutiert?
Die Beutekunst ist der letzte große offene Bereich, den uns der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat. Allerdings ist vieles von dem, was in russischen Museen schlummert – wie übrigens auch das, was hier in Deutschland in den Depots liegt –, der Allgemeinheit nicht bewusst. Gleichwohl hat sich in unserem Land in den letzten Jahren eine starke Sensibilisierung für das Thema entwickelt, vor allem für die Frage der Rechtmäßigkeit von Sammlungen. Ob NS-Raubkunst, ich nenne nur das Stichwort Gurlitt, die illegale Archäologie und der Schwarzhandel mit Antiken oder Objekte aus der Kolonialzeit – wir merken in vielen Bereichen, dass es immer wichtiger wird, dass das, was sich in einer Sammlung befindet, rechtmäßig dorthin gekommen ist. Diese Haltung vertreten wir auch unseren russischen Partnern gegenüber.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit diesen Partnern auf der Fachebene aus?
Wir haben hier über die vielen Jahre der Kooperation ein großes Vertrauen aufgebaut, man könnte auch von freundschaftlichen Verhältnissen sprechen. Gemeinsam mit unseren russischen Kollegen versuchen wir, verlorengegangene Objekte in Russland aufzufinden, sie zu erschließen, zu erforschen und auch gemeinsame Ausstellungen zu veranstalten. So konnten wir im Juni 2013 in der St. Petersburger Eremitage die Ausstellung „Bronzezeit. Europa ohne Grenzen“, in der bedeutende Objekte wie der Goldschatz von Eberswalde gezeigt wurden, mit Angela Merkel und Wladimir Putin eröffnen. Während auf der politischen Ebene aufgrund der unterschiedlichen Rechtspositionen schon lange nicht mehr viel geschieht, arbeiten die Fachleute immer besser zusammen.

In deutschen Medien wird mitunter beklagt, dass viele Exponate der Beutekunst in irgendwelchen russischen Museumskellern quasi vor sich hin faulen würden. Wie erleben Sie die Aufbewahrung dieser Stücke?
Die Aufbewahrungssituation ist im Wesentlichen gut und entspricht weitgehend internationalen Standards. Die Häuser, in denen die meisten Objekte lagern – das Puschkin-Museum und das Staatliche Historische Museum in Moskau sowie die Eremitage in St. Petersburg – sind international renommierte Museen. Aber natürlich handelt es sich bei der Beutekunst teilweise um Güter, die immer in einem kritischen restauratorischen Zustand waren.
Wir sollten uns ohnehin davor hüten, die Leistungen der Russen zu schmälern. Ich war – um ein anderes Beispiel für ihren Umgang mit deutschen Kulturgütern zu nennen – im letzten August in Königsberg, russisch: Kaliningrad. Da wird die deutsche Geschichte von der heute in Ostpreußen lebenden russischen Bevölkerung förmlich ausgegraben, zum Beispiel im Bereich der Altstadt die Reste des Königsberger Schlosses, in dem sich auch die Hohenzollern krönten. Im Umland konnten wir sehen, wie man sich u.a. bemüht, aus dem 14. Jahrhundert stammende gotische Kirchen des Deutschen Ordens, die teilweise in einem beklagenswerten Zustand sind, zu retten und zu erhalten. Die russische Bevölkerung weiß natürlich, dass dies Relikte der deutschen Geschichte sind, dennoch fühlen sie sich heute dafür verantwortlich, und das finde ich sehr positiv und human.

Die russische Haltung wurde jahrzehntelang maßgeblich von der Direktorin des Puschkin-Museums Irina Antonowa geprägt, die als junge Frau selbst noch bei den Abtransporten mitgewirkt hatte. Nun ist Frau Antonowa mittlerweile über neunzig Jahre alt und seit 2013 auch nicht mehr im Amt. Besteht die Chance, dass durch einen Generationenwechsel Bewegung in die Beutekunst-Debatte kommt?
Ich kann nicht erkennen, dass es mit einer neuen Generation einen vollkommenen Wandel in der Haltung der Russen geben wird. Das sollten wir von den Museumsleuten auch nicht erwarten. Für Russland bleibt der Zweite Weltkrieg, der Große Vaterländische Krieg, immer mit unglaublichen menschlichen Opfern und Zerstörungen verbunden. Hinzu kommt das Gefühl, nach 1990/91 alles verloren zu haben: die Weltmachtstellung und einen Teil des Territoriums der ehemaligen Sowjetunion. Da wird es für die Russen schwierig, auch noch die „Trophäenkunst“, wie sie es nennen, zurückzugeben. Man darf auch nicht erwarten, dass Museumsleute sich in dieser Frage besonders exponieren. Das ist und bleibt eine rein politische Entscheidung.

Weitere Restitutionen wie etwa die Rückgabe der Bleiglasfenster der Marienkirche in Frankfurt (Oder) in den Jahren 2002 und 2008 sind also vorerst nicht zu erwarten?
Leider nein. Die damaligen Rückgaben waren eine bedeutende Geste Russlands. Aber sie folgten durchaus dem Duma-Gesetz von 1998, nach dem Kulturgüter, die im Eigentum der Kirche oder von Verfolgten des „Dritten Reichs“ waren oder nicht von den sowjetischen Trophäenkommissionen beschlagnahmt, sondern von Rotarmisten privat gestohlen wurden, zurückgegeben werden sollen.

Hat sich an der deutschen Position, unrechtmäßig erworbenes Eigentum in unseren Museen den Besitzern zurückzugeben, im Zuge der russischen Haltung etwas geändert?
Nein. Es gab in den letzten Jahren immer wieder Rückgaben von einzelnen Objekten an Russland. Und ich finde es auch richtig, dass Deutschland ohne jegliche Vorbedingungen unrechtmäßigen Besitz restituiert. Dafür hat unser Land während des Krieges einfach zu viel Schuld auf sich geladen.
Wir reden hierbei jedoch von wenigen Fällen, da die meisten russischen Kulturgüter gleich nach dem Kriegsende an ihren Ursprungsort zurückgebracht wurden. Die Kriegsverluste der Russen sind wesentlich höher. Wir sollten also nicht nur unseren Kulturgutverlust thematisieren, sondern auch sehen, dass die andere Seite ebenfalls enorme Verluste zu beklagen hat. Allerdings kann man nicht – das ist und bleibt unsere klare Haltung – ein Unrecht durch ein anderes ungeschehen machen.

Was muss geschehen, damit in die Beutekunst-Thematik überhaupt noch einmal Bewegung kommt? Oder haben Sie jegliche Hoffnung in dieser Hinsicht aufgegeben?
Die Hoffnung sollte man nie aufgeben, das zeigt allein schon die jüngere deutsche Geschichte mit dem Fall der Berliner Mauer. Wenn sich die deutsch-russischen Beziehungen eines Tages wieder erheblich verbesserten, sollten wir allerdings nicht gleich wieder Forderungen stellen. Eine Lösung dieses Problems braucht einen längeren Atem und ein wirklich unbelastetes Verhältnis – zur Vergangenheit und zueinander –, und niemand darf sich dabei als Verlierer fühlen. Russland sitzt am längeren Hebel, weil die Kulturgüter dort sind, auch wenn ihre kriegsbedingte Verbringung gegen internationales Recht verstößt. Es würde also immer noch an Russland liegen, aus eigenem Antrieb heraus ein Zeichen zu setzen und mit ernsthaften Gesprächen zu beginnen.

Zum Schluss: Hat die gegenwärtige Ukraine-Krise das Arbeitsklima zu den russischen Kollegen beeinträchtigt?
Nachdem wir die Bronzezeit-Ausstellung zu Beginn des Jahres 2014 geschlossen hatten, haben die Kollegen gleich gefragt, was wir als nächstes anpacken können. Auch jetzt gibt es ganz enge Kontakte, trotz der politischen Krise. Und allen Beteiligten ist klar, dass wir jetzt erst recht weitermachen müssen. Es wäre einfach schade – so sehr ich die politische Haltung des Westens in der Ukraine-Krise verstehe und unterstütze –, wenn wir alles, was wir in über 20 Jahren an Vertrauen und Verbindungen aufgebaut haben, abbrechen lassen würden.

Das Interview führte René Nehring.


Weitere Infos unter: www.preussischer-kulturbesitz.de