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Das Licht in der Kunst- und Kulturgeschichte

Gestaltete Schöpfungsmythen

Philipp Weiss13.12.2012

Die fundamentale natürliche und naturgeschichtliche Rolle des Lichts (und seines wichtigsten Spenders – der Sonne) hat auch in der Kulturgeschichte der Menschen Spuren hinterlassen, die von der Wissenschaft und Ästhetik, der Religion und Technik bis hin zu den Ausdrucks- und Darstellungsmedien (Sprache wie Bildkultur) reichen und in ihrer Bedeutung und Komplexität kaum zu ermessen sind.

Vor allem unsere Sprache und unsere Bildwelt und damit unser Denken in Metaphern und Symbolen sind von Bildern des Lichts beherrscht, auch dort, wo nicht das Licht selbst zur Rede steht, sondern Wahrnehmung und Erkenntnis, Lebendigkeit und Intensität, Wärme und Eros, aber auch dort, wo das Erhabene und Unsichtbare, aber auch das Tröstende und Beschützende oder – im Gegensatz von Licht und Finsternis – Gut und Böse thematisiert werden.

In zahlreichen Kulturen waren Licht und Sonne neben anderen Naturkräften leitend für die Gestaltung von Schöpfungsmythen, von Gottesverkörperungen und die Ausbildung und Pflege verschiedenster Kulte. Auch in der bis auf unsere Gegenwart wirkmächtigen Tradition von Philosophie und Theologie sind derartige Elemente präsenter als uns unsere rationalistische Grundstimmung heute suggerieren mag. Die Religionen und Kulturen, die dem Christentum vorausgehen und es beeinflussten, kennen strahlende Gottesverkörperungen, malen das Reich der Götter oder des Jenseits lichthaft aus und dramatisieren auch die Mächtigkeit und die Wirkung der göttlichen Sphäre in Termini des Lichts. Mesopotamische, persische und auch ägyptische Vorstellungen finden sich in den jüdisch-christlichen und auch in den islamischen Texten wieder.

In der Bibel erleben wir mannigfaltige Zeugnisse dieser Einflüsse. Da ist die fantastische Rhapsodie der Genesis: Hier folgt auf die im Wortakt vollzogene Schöpfung des Lichts („Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht!“) die Scheidung von Licht und Finsternis, deren Rhythmisierung zu Tag und Nacht und schließlich das diesen eingesetzte große (die Sonne) und kleine (der Mond) Licht, die da „geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre“, wie es in der Lutherfassung von 1. Mose 14 heißt. Zudem sind vor allem die Erscheinungen des Heiligen und Göttlichen im Alten wie im Neuen Testament und die heilbringende und wunderwirkende Kraft Christi lichthaft ausgedrückt und auch die gleichermaßen triumphalen wie schreckenerregenden Lichtszenarien der Offenbarung und des Jüngsten Gerichts sprechen diese Sprache.

Weitere Lichtenergie hat das Christentum durch die in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten erfolgte Integration neoplatonischer Theoreme in ihre Theologie aufgenommen, die regelrechte lichtmetaphysische Systeme ausgebildet hat. Hier geht es darum, die Macht und Wirkungsweise der göttlichen Sphäre in die irdische hinein, aber auch die Möglichkeit der Anteilhabe des Irdischen am Jenseitigen in Bildern des Lichts zu artikulieren.

Christliche Bildkultur

Es gibt wichtige Anzeichen dafür, dass die christliche Bildkultur dem Licht in einem weiteren als dem offensichtlich bekannten Sinne verpflichtet ist. Jeder kennt die lichthaften Bildformeln, Symbole und Darstellungsformen wie die Gloriolen oder Aureolen um die Köpfe oder Körper von Heiligen, die aus einer Wolke hervorbrechenden Lichtstrahlen, die göttliches Wirken bedeuten, oder die Kerze als vielfältig und paradoxal besetztes Symbol zugleich von ewigem Licht und der Vergänglichkeit alles Irdischen. Darüber hinaus aber haben Kunsthistoriker wie Wolfgang Schöne geltend gemacht, dass etwa die mittelalterliche Malerei ihre Gemälde selbst als das Ergebnis einer göttlichen Lichtwirkung verstanden hat. Danach ist das religiöse Bild in einer Kirche wie eine Retroprojektion als ein Sphärenabschnitt, als ein in christliche Erzählung umgewandeltes Moment einer mächtigen göttlichen Ausstrahlungsbewegung konzipiert. Dieses in der gotischen Glasfenstermalerei oder in lichter, pastellartiger Buchillustration ausgeführte strahlende Bild lenkt das Licht auch auf den Betrachter weiter und erlaubt ihm so eine direkte Anteilhabe am Göttlichen.

In der Renaissance ist das Licht der Malerei ein zeigendes Beleuchtungslicht, es ist nicht mehr direkter Ausfluss des Göttlichen, sondern versteht sich als zu Höherem hinführende Metapher oder als Gleichnis göttlicher Offenbarungskraft. So wie im sinnesanschaulich zugänglichen Bereich der Sichtbarkeit etwas beleuchtet und derart gezeigt und manifestiert wird, offenbart das überirdisch-unsichtbare Licht die Wahrheit der Heilsgeschichte.

Im 17. Jahrhundert schließlich entwickelt sich ein malerisches Helldunkel, in dem Helligkeitsunterschiede nach feinen Abstufungen und Kontrasten selbst zum wichtigsten Bildinstrument werden. Die Bildgegenstände beginnen zu leuchten, und dieses Leuchten zeugt auch von überirdischen Kräften.

Licht-Aufzeichnung

Auch unser modernes Leitbildmedium noch, die Foto-grafie (zu griechisch Licht-aufzeichnung) trägt das Licht im Herzen ihres Apparates. Neben der zentralperspektivischen Abbildungsweise, die sie als technische Aufrüstung der camera obscura geerbt hat, deren Prinzip bereits im alten China bekannt war und die im 17. Jahrhundert schon mit einer Linsenoptik ausgestattet wurde, zeichnet sie fotochemisch das von Objekten gesendete oder reflektierte Licht auf. Die Fotografie ist also, anders als wir vielleicht vermuten, nicht einfach ein hochtechnisches und objektives Aufzeichnungsmedium, sondern eng verbunden mit unserer spezifischen religiös und lichtmetaphysisch geprägten Bildkultur.

Im 17. Jahrhundert werden parallel zur Helldunkelmalerei in der Naturphilosophie, der Vorgängerdisziplin unserer modernen Naturwissenschaften, erste Konzepte des Lichts erarbeitet, die mit heutigen Ansichten schon viele Ähnlichkeiten haben. Descartes etwa physikalisiert das Licht, er betrachtet es nicht mehr als eine Kraft überirdischer Abkunft ohne physische Präsenz, wie die Scholastik, er versteht es als einen Impuls, als eine Bewegungsmitteilung in einem mechanischen Wirkungszusammenhang. Und der an Descartes orientierte Christian Huygens entwickelt eine erste Wellentheorie des Lichts, um Farbaberrationen, also Darstellungsfehler von Fernrohren zu erklären, die aus der Qualität sphärischer Linsen resultieren, welche die verschiedenen Lichtfrequenzen (ein Begriff, von dem man damals noch nichts wusste) nicht auf einen Punkt fokussieren konnten.

Die Naturphilosophie des 17. Jahrhunderts aber integriert überlieferte lichtmetaphysische Vorstellungen ohne große Umstände mit physikalischen Erkenntnissen. Das Titelbild der „Ars magna lucis et umbrae“, der „Kunst des Lichts und des Schattens“ des jesuitischen Universalgelehrten Athanasius Kircher von 1645/6 zeigt das sehr deutlich: Hier geht das anfängliche Licht von einer Gestalt aus, die zugleich Züge von Christus und dem griechischen Lichtbringer Apollo trägt und wird über optische Geräte wie Spiegel und Linsen weitergeleitet und für Projektionen eingesetzt, die deutlich experimentelle, wissenschaftliche Züge tragen.

Religion, Naturphilosophie und Kunst sind keine im luftleeren Raum operierenden Disziplinen. Von Beginn an wurden sie von den herrschenden gesellschaftlichen Kräften in den Dienst genommen. Und so verwundert es nicht, dass etwa die katholische Gegenreformation die lichttheoretischen und -technischen Erkenntnisse ihrer Zeit in Dienst genommen hat, um ihre Glaubensdoktrin wirkungsvoll ins Licht zu setzen, indem bei Umzügen und religiösen Feiern hochkomplexe Vorrichtungen von tausenden von Kerzen und transparenten Bühnenwänden eingesetzt wurden.

Entsprechend verzeichnet die Technikgeschichte des Lichts eine von unterschiedlichen politischen Interessen bestimmte Entwicklung der öffentlichen und privaten Beleuchtung. Bestand zu Beginn dieser Entwicklung in den ersten europäischen größeren Städten noch die Pflicht zur zeichenhaften nächtlichen Markierung der Häuser mit Fackeln bei gleichzeitigem striktem Ausgehverbot, so wurde die öffentliche Beleuchtung langsam zu einer obrigkeitsstaatlichen Aufgabe, die etwa in den heute abstrus anmutenden Pariser Plänen des 18. und 19. Jahrhunderts gipfelte, eine sonnengleiche nächtliche Beleuchtung durch wenige hohe Leuchttürme zu ermöglichen.

Öffentliche Beleuchtung

Längst ist diese Entwicklung in einen Overkill an künstlichem Licht gemündet, die heute eher die Frage nahelegt, wie eine sinnvolle, das heißt reduzierte, partielle und qualitativ hochwertige Beleuchtung unserer Lebenswelt gewährleistet werden kann. Auch hier ist der Umweltschutz zu einem ernsten Anliegen geworden, und das Licht wird wohl weiterhin als ein faszinierendes, aber auch zu regulierendes und steuerndes Moment betrachtet werden müssen. In der zeitgenössischen Kunst hegen Künstler wie James Turell eine ähnlich anspruchsvolle Aufgabe. Sie erproben das Licht als raum- und erfahrungsbildendes Medium auch da, wo es seine religiöse oder transzendente Semantik weitgehend verloren hat.

Philipp Weiss

Dr. Philipp Weiss ist Mitglied der Berliner Forschungsgruppe Historische Lichtgefüge, die sich der Analyse des Lichts in der Malerei widmet. 2008 erschien – zusammen mit Thomas Fink und Carolin Bohlmann – der Band „Lichtgefüge des 17. Jahrhunderts. Rembrandt, Vermeer, Spinoza und Leibniz“ (Fink Verlag).