Interview mit Erika Pluhar
"Leben heißt Veränderung. Sei neu und gehe weiter"
"Ich bin grandios beschissen worden." Ein Gespräch über das Alter, die Männer und die Hoffnung mit Erika Pluhar.
Viele kennen sie: als Schauspielerin, als Sängerin, als Schriftstellerin. Ich habe nach meiner Begeisterung für die Sängerin ab den 1990er Jahren als Literaturkritiker einen intensiven Zugang zu ihren Romanen gefunden und mich auch mit ihr zu Talks im Radio getroffen. „Die Pluhar“ hatte früher als andere das autofiktionale Erzählen benutzt, das heute nach dem Nobelpreis an Annie Ernaux von allen gerühmt wird. Diese Methode verlangt vom Schriftsteller eine große Selbstreflexion. So hatte ich sie in der persönlichen Begegnung erlebt: mit großer Bewusstheit dessen, was sie sagt. Mir war sie in ihrem Wesen als eine sehr noble Frau erschienen. Ein schwieriger Begriff, der sich kaum gut erklären lässt. Auf das Denken bezogen, hat er zu tun mit Eleganz, Freigiebigkeit, Großzügigkeit und Kultiviertheit. Weil mir die Welt heute alles andere als nobel zu sein scheint, wollte ich die Pluhar nach langen Jahren wiedertreffen, um festzustellen, ob meine Erinnerung stimmt.
Frau Pluhar, Sie werden im Februar 84 Jahre – wenn ich Ihr Alter nicht nennen würde, würden garantiert Sie es nennen. Ich habe aus vielen Ihrer Äußerungen erfahren, dass Sie es nicht verschämt verstecken. Was macht Sie stolz auf ihr Alter?
Ich bin sehr dagegen, wie man in unserer Gesellschaft Alter sieht und behandelt. Als wäre es eine Schande, alt zu werden. Ich ernte oft viel Widerspruch, wenn ich sage: ‚Ich bin eine alte Frau!‘, dann heißt es: Nein, um Gotteswillen, Sie doch nicht! Ich bin 84 Jahre, ich bin eine alte Frau. Aber so schauen Sie doch gar nicht aus. Egal, ich bin eine alte Frau. Das sage ich. Es ist nichts Entwürdigendes.
Zum Mann würde man sagen: Du hast dich erstaunlich gut gehalten...
Gut gehalten trifft bei mir auch nicht zu. Ich bin keine Veganerin, keine Vegetarierin, ich mache kein Fitness-Training, ich gehe nicht in irgendwelche Wellness-Hotels und lasse mich dort pflegen. Ich habe immer schlicht und einfach gelebt.
Stellt sich im Alter nicht eine gewisse Wehmut ein? Es ist die Zeit der Abschiede. 1959 wurden Sie Mitglied des Burgtheaters für 40 Jahre, in den 70ern begann Ihre Karriere als erfolgreiche Liedinterpretin, ab den 90ern gab es die Schriftstellerin Erika Pluhar mit großem Leserkreis. Das sind schon mal mindestens drei Leben. Keine Wehmut, dass Ihnen den Zauber des Anfangens keiner zurückgibt?
Für mich waren diese drei Leben, wie Sie sie nennen, immer eine Einheit. Ich bin 1939 geboren und habe den Krieg mit der Bombardierung Wiens bewusst erlebt. Nach der Traumatisierung durch den Krieg ist das Leben für mich da erst entstanden. Für mich sind diese drei Leben Theater, Musik, Schreiben immer eine Einheit gewesen. Dass ich später begonnen habe zu veröffentlichen, ist wieder etwas anderes. Dass ich irgendwann begonnen habe zu singen, weil mein zweiter Ehemann, der Heller, fand, ich solle seine Lieder singen, bis ich dann auf meine übergegangen bin und ich das Glück hatte, mit wunderbaren Musikern Verbindung zu finden, bis heute, das sind auch glückliche Umstände. Wehmut habe ich in diesem Sinn nicht. Ich bin manchmal einfach traurig.
Worüber?
Ich glaube, dass jede Religion entsteht, weil der Mensch weiß, dass er sterben muss. Also wir kommen auf die Welt und wissen nichts, aber eines Tages wissen wir hundertprozentig, dass wir wieder gehen müssen. Daraus entsteht ein Wunsch, sich irgendwo festhalten zu können. Daraus entstanden Religionen. Ich habe schon manchmal eine gewisse Trauer, dass das Leben zu Ende gehen wird. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich möchte natürlich wie jeder schnell und problemlos sterben. Aber woran ich glaube, ist das Leben. Und es war alles in meinem Leben enthalten, was ich gerne tun wollte.
Was glauben Sie, womit hat das Leben Sie ausgestattet, dass Sie diesen Weg gehen konnten? Zum Erfinden von Geschichten, zum Spielen und Singen von Geschichten. Was hat Ihnen das Leben dafür mitgegeben?
Sie haben ein Wort benutzt, dass ich für mich sehr gern nutze: das Erfinden. Ich spreche so ungern über Kunst. Jeder ist so gern ein Künstler. Auch um mich herum. Das geht mir zu schnell. Ich bin lieber ein Mensch, der etwas vom künstlerischen Handwerk versteht und bei dem, was er tut, vielleicht etwas zu Kunst werden kann. Ich bin durch den Krieg und die Zeit danach in Verhältnissen aufgewachsen, aus denen man nur rauskam, wenn man sich Leben erfindet. Das war mein Antrieb. Im Theater konnte ich Figuren spielen, an deren Leben ich gar nicht heranreichte. Beim Schreiben kann ich erfinden auf fast göttliche Weise. Wenn ich ein Lied singe, kann ich darin etwas einbringen, was mit meinem Leben zu tun hat. Ich kann daraus ein heiteres Lied erfinden, ich kann ein melancholisches Lied erfinden. Ich glaube, der Begriff der Erfindung hat mich durchs Leben getragen. Der hat mir auch geholfen, Schicksalsschläge, deren ich nicht wenige hatte, zu überwinden.
Ich frage jetzt nicht nach Schicksalschlägen, aber nach den Aufs und Abs, die jeder künstlerische Weg kennt. Nach meinem Wissen hängt das Ende ihrer Theaterliebe mit Claus Peymann zusammen, der 1986 aus Deutschland kam und das Burgtheater als Direktor übernahm. Peymann wollte ein neues, modernes Burgtheater und hat Sie – und auch andere Kollegen – beiseitegeschoben. Eine Kränkung?
Der hätte mich überhaupt nicht zur Seite geschoben, sondern vielleicht sogar das Gegenteil gewollt. Aber der neue Stil, der jetzt einzog, mit Fahne auf dem Burgtheater und anderen Zeichen der Eroberung gefiel mir nicht. Deswegen war ich sehr froh, dass ich mit 60 gehen konnte. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich prachtvoll weiterspielen können. (lacht)
Ein anderes Ab verursachte eine zweiseitige Rezension der Literaturkritikerin Sigrid Löffler über Ihr erstes belletristisches Buch, das 1991 unter dem Titel „Als gehörte eins zum andern“ erschien. Die Löffler war in Österreichs Top-Magazin „Profil“ regelrecht über das Buch und Sie hergefallen: mit vernichtender Kritik. Was denken Sie in dem Moment? Hätte ich es besser gelassen?
Das hat mich schon getroffen, aber das Buch hat sich danach so rasant verkauft, dass es vielleicht meinen Weg zur Schriftstellerin noch beschleunigt hat. Dabei hat sich etwas erwiesen, was – glaube ich – durchaus mit meinem Charakter zu tun hat. Ich habe einfach nicht aufgegeben. Ich habe weitergemacht.
Ja, manchmal sind Verrisse die beste Werbung...
...dann kam ein neues Buch, ein anderer Verlag. Ich bin drangeblieben. Wie nenne ich das, wenn ich viel ich aushalte...
Zäh?
Ja, vielleicht: zäh. Genau.
Es gibt für eine schöne Frau wie Sie – ich darf das hoffentlich ohne MeToo-Einspruch sagen – sicher noch ein weiteres Leben: als Liebende und Geliebte. In Ihrem Buch „Die öffentliche Frau“ lassen Sie uns Leser an vielen Beziehungsgeschichten teilnehmen. Es fällt das Wort von der Männer verschlingenden Femme fatale. Waren Sie das?
Überhaupt nicht. Ich wurde mit der Verfilmung von „Bel Ami“ durch Helmut Käutner im deutschen Raum bekannt und hatte mein Etikett weg. Das ist die klassische Verwechslung der Schauspielerin mit ihren Rollen. Privat war ich das null. Ganz normal häuslich.
Keiner ihrer Männer hat sich für Sie umgebracht?
Nein, sie haben mich alle beschissen (lacht herzlich.) Ich bin grandios beschissen worden. Sich wegen mir umbringen, nicht die Rede.
Wenn Sie mit der Erfahrung Ihres Lebens ein Männerbild beschreiben sollten, Ihres, nicht ein allgemeines – wie fiele das aus?
Also ich habe in der ganzen Frauenbewegung immer vermieden, dafür die Männer zu opfern. Ich mochte keine Frauen-Treffs, Frauen-Cafés, nur Frauen, nur Frauen. Ich bin einfach ein Hetero-Mensch, der Männer liebt. Wenn lesbische Frauen, denen ich sehr gut gefallen habe, mir Angebote gemacht haben – eine Fotografin, eine wunderbare Frau, der ich gefiel –, habe ich gesagt: Gern bin ich deine Freundin, aber ich bleibe bei den Männern. Ich liebte immer Männer, die kreativ waren. Die was im Kopf hatten, eine Idee, einen künstlerischen Plan. Dabei habe ich mir dann auch zwei sehr kapriziöse Ehemänner ausgesucht. Alle Männer, die ich liebte, sind in mir, liebe ich nach wie vor. Ich habe mit Udo Proksch im Gefängnis....
...der immerhin angeklagt war, sechs Menschen für einen geplanten Versicherungsbetrug getötet zu haben. Er wurde zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt und starb in der Haftzeit. Hielten Sie ihn für schuldig?
Sicher ist da gar nichts. Nach dem Tod unserer gemeinsamen Tochter habe ich mit ihm im Gefängnis die schönsten und tiefsten Gespräche geführt. Mit Heller bin ich heute noch gut befreundet, ich arbeite mit dem portugiesischen Musiker d'Almeida zusammen. Ich musste niemanden nach dem Aus unserer Liebe aus mir herausstreichen. Für mich liegt die Liebe zu einem Mann überhaupt nicht an seiner Schönheit. Ob der schön ist oder nicht, ist zweitrangig. Er muss mir gefallen. Ob er einen flachen Bauch hat oder ein Bäuchlein, zählt bei mir überhaupt nicht. Es waren immer Männer, die die Fähigkeit zu großen Gefühle hatten.
Sie waren in zweiter Ehe mit André Heller verheiratet, der Sie auf Ihrem Weg zum Chanson sehr unterstützt hat, was aber die Ehe mit ihm nicht unbedingt haltbarer gemacht hat. Waren das zwei Ichs, die beide viel Platz beanspruchten – für ein Zusammenleben zu viel Platz?
Er war neun Jahre jünger als ich, was nie eine Rolle in unserer Beziehung gespielt hat. Aber für sein Leben hatten diese neun Jahre schon eine Bedeutung. Er wollte noch schnell die Welt erobern, wurde ein Bürgerschreck, hat sich mächtig rausgelehnt, um bekannt und berühmt zu werden. Da waren natürlich die Frauen dabei. Meine Lebensphase war das nicht mehr. Ich war schon zu sehr das, was ich war, und er wollte erst das werden, was er dann wurde.
Ich war mir unsicher, wie offen Sie mir meine Fragen nach ihrem Privatleben beantworten würden. Aus allem, was ich über Sie gelesen habe, weiß ich: Die Pluhar ist sehr diskret. Wirklich Privates gibt sie nur wenig preis. Das sehen die Stars von heute in der Mehrheit ganz anders. Woher kommt Ihre Diskretion? Aus schlechten Erfahrungen?
Ich bin offen, aber ich habe mein Geheimnis dabei. Was jetzt über die sozialen Netzwerke passiert, finde ich unappetitlich. Jede Schwangere zeigt ihren Bauch und jedes Liebespaar umschlingt sich irgendwo. Ich habe kein Smartphone, nur ein Handy und da kann ich in diesen Wettbewerb gar nicht einsteigen. Ich besitze einen Laptop, aber sonst lebe ich ziemlich analog. Wer mit seinem Privatleben in die Öffentlichkeit will, den finde ich unappetitlich und blöd.
Gab es bei Ihnen nie eine Versuchung für einen kleinen öffentlichen Skandal?
Naja, es gab in Österreich mal eine Zeit, da stand in den Künstlerkreisen der Partnertausch hoch im Kurs oder wurde dort dank pfiffiger Journalisten gelegentlich öffentlich. So wusste man auch, dass ich mit Peter Vogel zusammen war und Gertraud Jesserer, auch Schauspielerin an der Burg und die Frau von Peter Vogel, mit André Heller. Peter Vogel lebte schon länger von seiner Frau getrennt, trotzdem hieß das Partnertausch. Als der Vogel dann Selbstmord begangen hatte, gingen ich und die Traudel gemeinsam hinter seinem Sarg her. Was da die Presse aufgeführt hat! Rücksichtlos über andere Gräber gerannt, um ein Foto von uns zwei Witwen zu machen, können Sie sich gar nicht vorstellen. Danach habe ich begonnen, mein öffentliches Leben als meine Verantwortung zu sehen.
Ab Ende der 70er Jahre wurden Sie mehr und mehr als politischer Mensch wahrnehmbar. Was war das Motiv, dass soziale Verantwortung über das eigene Leben hinaus für Sie wichtig wurde? Immerhin hat man Sie angefragt, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren.
Wo alle mit dem Licht winken, bin ich nie dabei. Im Jahr als meine Tochter starb, war ich ganz entschieden gegen Jörg Haider. Damals gab‘s noch keinen Shitstorm, aber anonyme Briefe gab‘s. Dieses Inhalts: Es geschieht mir recht, dass meine Tochter gestorben ist, weil ich gegen den Jörgl bin.
Was haben Sie dabei empfunden?
Beim ersten Brief dachte ich wirklich, die Erde tut sich unter mit auf. Das ist das faschistische Potenzial, das nie aussterben wird. 20 oder 30 Prozent werden uns immer begleiten.
Die Frage, ob Sie für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren wollen...
Bundespräsidentin!
Na ja, das Amt ist grammatisch nicht weiblich...
Ich hasse die Genderei. Aber eine mit Fanatismus gendernde Frau hätte Ihnen das nicht durchgehen lassen.
Die Anfrage kam nicht von ungefähr. Sie sind anderen durch Ihr Engagement aufgefallen, dass sie sich von Ihnen vertreten lassen wollten...
Ich habe mal die Bruckner-Festspiele mit einer Rede eröffnet, die den Sozis besonders zugesagt hat. Da wollten sie mich als Kunstministerin. Ich will kein Amt, aber die Anfrage hat mich schon gefreut. Schau, du bist in Wien-Floridsdorf recht ärmlich aufgewachsen und jetzt fragt man dich das. Ganz schön. Ich verstecke meine Haltung nicht, wenn ich glaube, es ist wesentlich, sich zu äußern. Aber nur wenn es wesentlich ist. Seit diesem depperten Begräbnis, als man mir eine falsche Öffentlichkeit anhängen wollte, nehme ich meine Rolle als öffentliche Frau ernst. Ich bin öffentlich und spreche über das Alter, die Liebe, den Klimaschutz und den Weltfrieden.
Sie zitierten einmal einen Satz von Ghandi: Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen möchtest. Was bedeutet der Satz für Sie?
Auf jeden Fall nicht zu sagen, die anderen sind blöd. Der Anfang ist die Frage: Wie bin ich selber? Bin ich wirklich so, dass ich niemanden unterdrücke, dass ich nicht gierig bin, sondern gern mit anderen teile? Da fängt es für mich an. Ich möchte die Menschen mit nichts konfrontieren, woran ich nicht selbst glaube.
Für welches Thema engagiert sich Erika Pluhar besonders?
Das Frausein, selbstbestimmt und trotzdem so weiblich wie möglich. Jetzt erlebe ich junge Frauen, die fangen mit MeToo an, als hätte es uns nie gegeben. Wir haben damals schon einiges aufgebaut, als Frauen, die protestierend auf die Straße gingen, noch beschimpft wurden. Auch zusammen mit Alice Schwarzer und ihrer Frauenbewegung. Jetzt bauen junge Frauen wieder auf, als wäre da nichts. Das macht mich ein wenig kritisch. Ich bin zum Beispiel eine MeToo-Gegnerin.
Oh, das überrascht mich. Warum?
Ich stimme zu, dafür zu kämpfen, dass man Frauen auf der ganzen Welt nicht vergewaltigt, nicht entwürdigt, nicht ihre Klitoris beschneidet, zwangsverheiratet. Aber wenn eine Künstlerin mit einem Regisseur ins Bett geht, dann ist das ihre private Entscheidung und wenn sie es getan hat, dann hat sie es getan. Dann kann sie nicht nachher sagen, das wollte ich nicht. Warum hat sie es getan? Schauen Sie, ich war jung, ich war schön, ich war beim Theater, ich war beim Film. Und wenn heute eine junge Schauspielerin sagt, ich sollte vorsprechen und da ist es passiert. Dann sage ich: Entschuldige, wie naiv bist du! Ich habe damals gesagt: Ich spreche ihnen gern vor, aber in der Halle, nicht im Hotelzimmer. Ich erzähle Ihnen jetzt eine Geschichte, die habe ich noch nie erzählt. Aber beim Thema MeToo fällt sie mir ein. Fritz Kortner wollte, dass ich ihm für die Rolle der Desdemona vorspreche. Ich kam in seine kleine Wohnung, in seine Bibliothek. Der gute Mann hat sich mir genähert und ich habe ihm einen kleinen Rempler gegeben. Immerhin ist er davon gegen seine Bücherwand geprallt. Worauf ich geistesgegenwärtig den klugen Satz gesagt habe: ‚Herr Kortner, es tut mir sehr leid, in so kleinen Räumen kann ich nicht vorsprechen!‘ Und bin gegangen. Ich habe gedacht, die Desdemona spielst du nicht. Ich habe die Rolle aber bekommen. Entweder hat er gefürchtet, ich erzähl es weiter oder weil ich ihm gefallen habe. Ich halte nichts von dem Gejammere. Was sie dem armen Domingo alles angehängt haben. Ich hätte mich gern von ihm in den Arm nehmen lassen.
Oh, das wird einige Frauen aufregen, die das jetzt gelesen haben...
Ich verstehe die Klage einer Sekretärin gegen ihren Chef, weil er sie begrabscht ist. Geklagt aber haben ja vor allem Filmstars oder Sternchen. Die sind mir mit ihrem MeToo auf die Nerven gegangen. Ich möchte, dass Frauen mit der größten Selbstverständlichkeit alles können dürfen wie ein Mann, wenn sie es wollen.
Nun leben wir in einer Zeit mit Krieg, mit üblen Verschwörungsszenarien, mit wirtschaftlicher Krise ohne Aussicht auf ein Ende. Unsere Zeit verändert sich rasant: zum Schlechten. Wie erleben Sie das?
Sehr bedrückt mich der Krieg. Wenn ich die Bilder aus der Ukraine sehe, vermischen sie sich mit meinen Erinnerungsbildern. Ich habe Krieg erlebt. So kaputt wie Mariupol war auch Döbling. Ich bin auch hier in Döbling aus einem Keller gekrochen und habe gesehen, dass unser eigenes Wohnhaus zur Hälfte weg war. Ich kenne mich zu wenig aus, aber ich finde, dass nicht genügend getan wird, um diesen Krieg zu beenden. Im Gegenteil: Alle schicken den Ukrainern Waffen und denken, das ist die Lösung. Ist sie nicht. Die Ukraine wird Russland nie besiegen können. Dass Alice Schwarzer für ihren Brief gegen Waffenlieferungen Todesdrohungen erhält, bedrückt mich noch mehr. Mindestens genauso bedrückt mich, dass wir nicht aufhören, die Erde kaputt zu machen. Ich habe – als ich zuletzt in Portugal war – den Atlantik genossen und das ewige Meer und habe mir erlaubt, nicht an den Plastikmüll zu denken, sondern nur an die Schönheit, die ich in dem Moment vor Augen hatte. Sie hat meiner Seele gut getan. Ich muss gestehen, dass ich schon mal bei der Berichterstattung über Krieg und Klimakrise abschalte. Ich glaube, man sollte gerade in den Medien dosierter vorgehen, denn junge Menschen werden davon sehr verunsichert. Sie denken nur noch an Geld, an Reichtum, an alles, was man noch schnell mitnehmen kann, bevor es zu Ende ist. Sie verlieren den Glauben an die Zukunft, die sie selbst mitformen können.
Aber glücklicherweise gibt es doch die Gegenkraft mit Friday for future!
Ja, das ist wichtig. Aber ist daran die Mehrheit der jungen Leute beteiligt? Ich bin mir nicht sicher.
Also doch am Ende des Lebens abnehmende Hoffnung für die Welt?
Nein, da kennen Sie mich schlecht. Ich habe einige Trotzdem-Lieder und lebe selbst mit diesem Trotzdem und der Hoffnung, dass dann, wenn es mich nicht mehr gibt, die Menschen wieder einen besseren Weg finden. Ich habe jetzt ein Urenkelkind. Damit habe ich ganz persönlich eine Hoffnung. Wenn man die Hoffnung aufgibt, verrät man das Leben. Sage ich als alter Mensch.
Ich habe schon am Anfang festgestellt, dass ich Sie kennengelernt habe, als jemand, der sein Alter nicht versteckt. Auch den Tod nicht? Das will ja für eine Österreicherin etwas heißen.
Nein, auch den Tod nicht. Viele meiner Freunde sagen: Daran musst Du doch jetzt noch nicht denken. Warum nicht? Bei meinem Freund Werner Schneyder ist der Tod ganz plötzlich gekommen. Der fiel um und war tot. Auf meinem 80. Geburtstag hat er noch mit mir gesungen und gefeiert. Unreale Erfahrungen. Ich nehme meinen Tod als sehr absehbar zur Kenntnis.
Hat die Nähe zum Tod Sie etwas gelehrt?
Ich habe in meinen Liedern nie den Tod ausgeklammert. Er hat mich mit dem Tod anderer Menschen schon mehrfach ereilt. Etwas Schlimmeres als den Tod der eigenen Tochter kann es nicht geben. Weil ich das irgendwie überlebt habe, habe ich mir alle Gedanken, die man sich zum Thema Tod machen kann, schon gemacht. Ich wäre nach dem Tod meiner Tochter sehr gern selbst tot gewesen. Damals habe ich mir nichts mehr gewünscht als das Nichts. Nichts spüren, nichts denken, nichts. Aber ich hatte einen 14jährigen Enkel, der niemanden hatte als mich. Er hielt mich am Leben. Und dann kommt es und schnappt dich. Plötzlich lachst du wieder, plötzlich schmeckt dir ein Essen, plötzlich hörst du wieder Musik.
Hat der unfassbare Tod Ihrer Tochter eine Religiosität in Ihr Leben gebracht?
Nein. Ich bin nicht religiös. Eine lustige Geschichte muss ich noch erzählen. Kürzlich rief mich die Friedhofsverwaltung an. Beim Grab meiner Tochter, wo ich auch liegen werde, muss das Gras erneuert und eine Lampe ausgetauscht werden. Ja, machen Sie‘s, habe ich zu dem Beamten gesagt, schließlich werde ich ja auch dort liegen. Als ich aufgelegt habe, musste ich so lachen. Der Anruf fand statt, während die Queen zu Grabe getragen wurde (lacht).
Wir reden über die Welt von einer Position der sozialen Sicherheit, glücklicherweise zumeist ohne richtige Schmerzerfahrung.
Sie haben recht. Ich weiß, dass wir trotz unserer Kümmernisse in einem gesegneten Bereich der Welt leben. Wir waren schon auf dem Mond, aber wir schaffen es nicht, den Hunger auf der Welt auszurotten. Ich kenne mich durch meinen Enkelsohn in Afrika ein bisschen aus und weiß um wie vieles kleiner die Chancen für einen Schwarzen sind als die für einen Ukrainer, weil er christlich und weiß ist.
Ihre Botschaft ist vor allem das Trotzdem?
Ja. Ich möchte der ganzen Menschheit helfen. Aber wie jeder kann ich nur tun, was mir meine Umgebung gestattet. Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen möchtest.
Das Gespräch führte Michael Hametner.