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Schwing, Baby, schwing!

 - Schwing, Baby, schwing!
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Wenn ein Körper mit einem anderen mitschwingt oder mittönt – das ist Resonanz. Aber auch Reaktionen, die durch Diskussionen und Äußerungen hervorgerufen werden, bezeichnet man als Resonanz. Sandra Borgmann über ein Phänomen des Alltags

08.07.2025

Zum Thema Resonanz fällt mir mein Friseur ein. Der erzählt mir beim Haareschneiden immer gemeine Geschichten. Es geht darin um kurze Begegnungen, meistens mit anderen Hundehaltern, die irgendetwas Doofes sagen, woraufhin er dann etwas zurück sagt, schlagfertig. Im Regelfall beendet das die Situation und lässt den anderen mit seinem Kommentar blöd dastehen. Allein das Hören dieser Geschichten sorgt dafür, dass es mir gut geht – vielleicht bin ich einfach im Grunde meines Herzens ein gemeiner Mensch. Ich finde sie witzig. Zum Beispiel die, in der eine Frau (ausnahmsweise keine Hundehalterin) kritisierte, dass mein Friseur seine Hunde an eine Hecke pinkeln ließ. Argument: "Da spielen Kinder!" Daraufhin er: "Und lecken die an der Hecke?"

Auf jeden Fall fragte ich ihn gestern, wie er das mache, sich so abzugrenzen. Ich selbst nehme ja erstmal alles persönlich und springe auf Ansprachen, in denen sowas mitschwingt, an wie ein Hund auf die Wurst; das macht Souveränität in solchen Situationen natürlich unmöglich. Von seinen Geschichten beeindruckt, erwartete ich eine Antwort voller Weisheit und mit der Kraft, mein Leben verändern zu können. Er sagte dann etwas, in dem die Worte "Tai Chi", "Qi", "Zentrum" und "bei mir" vorkamen. Grundsätzlich offen für Kontexte, in denen diese Begriffe verwendet werden, koppele ich sie überhaupt nicht mit ihm – also wirklich überhaupt nicht. Entsprechend verstand ich den ganzen Satz nicht. Rückblickend meine ich, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas sehr Weises sagte –vielleicht zu weise für mich. Etwas ernüchtert schloss ich daraus: Mein Schicksal scheint doch betonierter als angenommen. Vermutlich sollte ich es einfach annehmen und mir zum Beispiel Boxhandschuhe kaufen. Das Känguru hat doch auch welche – und ist dabei super-intelligent. Einfach direkt auf den Kopp! So what?

Was er allerdings auch sagte, war, dass er sich über die Jahre angewöhnt habe, in solchen Begegnungen als Erstes an etwas zu denken, das er selber wirklich lustig findet. Die Laune des anderen quasi am eigenen Humor abperlen zu lassen – und zwar nicht vorrangig mit dem Ziel, ihn oder sie auf Abstand zu bringen, sondern vor allem, um die eigene gute Laune einfach nicht abhängig zu machen von dem Film, in dem die andere Person gerade ist. Probieren Sie‘s aus! Es ist erschreckend für mich gewesen festzustellen, wie wenig ich scheinbar meine eigenen Reaktionen steuere. Wer lenkt? Ich entdeckte Humor als Möglichkeit, in Resonanz auf etwas Unhumoriges zu gehen. Eine einfache Umlenkung quasi, wie beim Aikido. Den Angriff nutzen, um den Angreifer zu Fall zu bringen. – In diesem Sinne: Lecken die Kinder an der Hecke?

Der Andere als Phänomen in einer Welt der Phänomene. Diese Perspektive erlöst allgemein von viel Resonanzüberraschungen (so stelle ich's mir jedenfalls vor). Vielleicht sind ja die Geschichten meines Friseurs gar nicht so gemein. Vielleicht habe nur ich einen erhöhten Nachreifungsbedarf mit meiner Boxhandschuh-Fantasie. Vor lauter Resonanz weiß ich oft gar nicht, wohin. Oder ist das gar keine Resonanz? Wenn der Andere – meist völlig unwillentlich – ein Lied auf der eigenen Klaviatur erklingen lässt? Resonanz hört sich so vornehm an. Kluge Menschen resonieren. Nur Deppen schnappen nach der Wurst – Deppen wie ich. Depp*innen. Wie ein Radio, das auf eine bestimmte Frequenz reagiert oder wie ein Lautsprecher bei einer Rückkoppelung. Das Hörgerät meines Vaters zum Beispiel gab dauerhaft einen höchst unangenehmen Ton von sich, als Rückkoppelung. Deswegen wollte bei Familienessen niemand neben ihm sitzen. Er selbst hörte es nicht – der Grund, weswegen er es überhaupt trug – und sah entsprechend keinen Handlungsbedarf. Allerdings war es ihm wahrscheinlich recht, dass ihm Leute nicht zu nahe kamen. Er fand Kontakt mit Menschen so lala. Vielleicht ist sein Hörgerät mit seinen Gefühlen in Resonanz gegangen? Funktioniert hat's auf jeden Fall. Wie allgemein bekannt, gehen technische und vor allem digitale Geräte gerne in Resonanz. Derjenige melde Einwand an, welcher noch nie von der überwältigenden Gleichgültigkeit eines digitalen Endgerätes in die Knie gezwungen wurde, das "Genau jetzt!" tat, was es tat. "Materie. Ich hab’se nicht gemacht" pflegte ein Freund meiner ehemaligen Agentin zu sagen.

Wie dem auch sei, ich habe den Faden verloren. Ein vor 20 Jahren (!) erschienenes Album einer französischen Sängerin hieß so: "Le Fil". Darauf ein Ton, der sich durch alle Liederzieht. Ein künstlerisches Konzept. Etwas langweilig, fand ich. Aber beruhigend. Heutzutage sicherlich sinnvoll für Fahrten auf dem deutschen Schienennetz.

Die Büchse der Pandora. Wem noch nicht gänzlich klar ist, was Resonanz meinen könnte, dem sei dieses Panoptikum unterm Brennglas ans Herz gelegt. Wirklich. Ein bunter Blumenstrauß der Möglichkeiten zeigt sich hier, um in Resonanz zu gehen. Mit der Bahn reisen bedeutet immer auch eine Reise in die eigenen Innenwelten. Sie kann in Ecken führen, wo die Ratten wohnen. Allgemeinhin heißt es ja, die Schicht der Zivilisation sei dünn. In der Deutschen Bahn kann man dieses Phänomen auf engstem Raum gut beobachten (auch an sich selbst). Hier bedeutet Resonanz: lernen auf der Überholspur. – Überholspur. Höhö.

Ich habe letztes Jahr meine BahnCard, die ich seit ihrer Einführung besaß, nicht verlängert. Seit Monaten sage ich keine Termine zu, die außerhalb der Stadt liegen. Resonanz? Passiver Widerstand gegen die Staatsgewalt? Wer will das sagen können? Wobei ich es schon merkwürdig finde, dass Menschen auf der Flucht vor der Flugscham eine Art staatlich abgesegneten Ablasshandel betreiben mit dem bundeseigenen Transportunternehmen, das zufällig seinen Hauptumsatz mit einer Lkw-Flotte macht (34.600 Fahrzeuge, las ich), und das bezüglich des Personenverkehrs wiederum wenig unternehmerisches Interesse zeigt – ist das nicht verrückt? Auf jeden Fall realpolitisch, würde ich sagen. Oder ein Hinweis auf eine clevere Marketingstrategie. Wahrscheinlich beides. Der Bund machts vor.

Die DB hat auf alle Fälle dafür gesorgt, dass Mobilität ein Begriff gänzlich ohne Schwingung geworden ist. Ganze neun Mitarbeiter sind derzeit wohl für die Wartung der Züge in Deutschland zuständig, erklärte mir ein Mitarbeiter. Früher waren es 60. Wenn sich ein Zugführer heute krankmeldet, kann niemand für ihn morgen einspringen. Manche Menschen sehen einen Zusammenhang zwischen dieser Personalpolitik und der täglichen Apokalypse auf dem deutschen Schienennetz. Die haben alle keine Ahnung. Eine AG ist kein Kindergarten. Die digitale Vernetzung ist hierzulande ähnlich unzuverlässig, dafür aber so teuer wie nirgendwo sonst auf der Welt. Das erscheint nur auf den ersten Blick paradox. Als Unternehmerin und Unternehmer sollte man eben auch "out of the box" denken können.

Bezüglich "Mobilität" sag ich: Nach den Neunzigern ist vor den Neunzigern. Am besten bleibt man im Moment daheim. Dahoam ist dahoam. Manche Dinge sind einfach.

Bei Wikipedia lese ich zum Thema Resonanz von einer "eingeschwungenen Schwingung", bei der "die Schwingungsfrequenz mit der Anregungsfrequenz übereinstimmt". Ich weiß genau, was sie damit meinen, und ich weiß, dass der Deutsche-Bahn-Konzern und ich diese Frequenz nie erreichen werden. So viel ist schon darüber geschrieben worden. Poetics of failure. Was soll ich sagen?

Im Konsumtempel unserer hiesigen Welt spielt Resonanz vornehmlich als Kaufentscheidung eine Rolle, oder nicht? Wenn wir an dieser Stelle philosophisch werden wollten, könnten wir fragen, ob Waren auch beschreibbar wären als etwas, das von Konzernen gezielt mit unseren Bedürfnissen dergestalt in Schwingung gebracht wird, dass wir meinen, wir könnten beispielsweise nur durch Kaufen eines bestimmten Deodorants eine eingeschwungene Schwingung erreichen. Das klassische Verwechseln von "Wants" mit "Needs". Ein Großteil unserer Wirtschaft baut darauf auf, unser ganzes Weltbild vielleicht. Marketing soll dafür sorgen, dass der potentielle Käufer das Deodorant erkennt als das, worum es in seinem Leben im Wesentlichen geht. Marketing kann man studieren, auch heute noch. Mit Abschluss. Es gibt sogar Senior Marketing Manager. Master of Früchte der Aufklärung.

Der Markt – ein Resonanz-Puff? Fast kirchlich auf jeden Fall. Paradise lost. Von der Deutschen Bahn auf direktem Weg zum verlorenen Paradies. So kann’s gehen. Resonanz-Wurmloch.

Zum Abschluss möchte ich noch eine Geschichte mit Ihnen teilen, über die ich sehr gestaunt habe. Wussten Sie, dass Pflanzen tatsächlich in Resonanz gehen? Vielleicht denken manche von Ihnen jetzt: "Oh je, von der Kapitalismus-Kritik direkt zur fühlenden Pflanze" und gehen durch rasches Wegklicken damit in direkte Resonanz. Friede sei mit Ihnen. – Für alle anderen, die interessiert bleiben: Es gibt eine australische Forscherin, die Biologin Monica Gagliao, die an der Universität in Lismore untersucht, wie Pflanzen auf Reize reagieren. Man kann eine Erbse zum Beispiel konditionieren. Was Pavlov mit dem Hund gemacht hat, testete Gagliao in abgewandelter Form mit einer Erbse. – Zur Erinnerung, weil's für die meisten von uns schon so lange her ist: Ivan Petrovič Pavlov war ein russischer Mediziner und Physiologe, der zum Nachweis der klassischen Konditionierung 1905 das erste empirische Experiment einer Reihe von Experimenten gestaltete, für die er den Nobelpreis gewann. Das sah so aus: Auf ein Futterangebot reagierte der Hund mit Speichelfluss. Pavlov koppelte das Futterangebot über einen Zeitraum mit dem Läuten einer Glocke. Schließlich reichte das Läuten der Glocke aus, um beim Hund Speichelfluss auszulösen. – Gagliao machte es folgendermaßen: Eine Erbse bewegt sich wie jede Pflanze gen Licht. Die Forscherin koppelte nun die Lichtquelle mit einem kleinen Ventilator, den sie direkt daneben laufen ließ. Wie erwartet bog sich die Pflanze dorthin. Nach einer Zeit entfernte Gagliao die Lichtquelle und ließ nur den Ventilator laufen. Und siehe da: Die Erbse bog sich nun zum Ventilator. Na? Wie gehen Sie damit in Resonanz? Ist das zu viel für Ihre Nerven? Mein Vater, der vor einigen Jahren mit über 90 starb, sagte mal zu mir, als ich klein war: "Es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir nicht verstehen." Seine Augen blitzten dabei, ihm gefiel das außerordentlich. Die Frage, die ich mir stelle, ist: Wenn Sie sich jetzt mir gegenüber irgendwie verhalten, wieviel hat die Art und Weise, wie ich darauf reagiere, überhaupt mit Ihnen zu tun? Was bestimmt, wie ich in Resonanz gehe? Was schwingt womit? Vor welchem Hintergrund löst dasselbe Verhalten mir gegenüber in mir heute etwas völlig anderes aus als zu anderen Zeiten? Unbewusst? Ohne, dass ich das steuere?

Vielleicht ist Resonanz das zentrale Thema überall dort, wo es um Beziehung geht? Im technischen Sinn, messbar, wie auch in jedem anderen. Über Musik habe ich gar nicht geschrieben. Resonanzräume und Schwingungen. Musiker und Musikerinnen kennen sich vermutlich richtig gut damit aus.

Bei den Yogis schwingt eh immer alles. Also wirklich: immer alles. Bei den echten zumindest. Vielleicht bei denen in Hamburg-Ottensen und Eppendorf nicht so.

Würde der Musikjournalist Joachim-Ernst Berendt noch leben, würde er bestimmt einiges zum Thema sagen können. In seinem Die Welt ist Klang – Nada Brahma führt er die Wahrheiten aus beiden Welten zusammen. Dieses Hörwerk von 1988 ist online abrufbar und jedem resonierenden Menschen ans Herz gelegt.

Vielleicht ist Resonanz auch das Thema überhaupt? Vielleicht ist unter Auslassung dieses Kernelements gar nichts Lebendiges denkbar? Vielleicht ist das einzige, was nicht schwingt, tot? Hans-Peter Dürr, Physiker und langjähriger Leiter des Max-Planck-Instituts in München, hat mal gesagt, dass die Welt in jedem Augenblick neu erzeugt wird. Der Tisch hingegen, der in einem Raum steht, den wir verlassen haben und dann wieder betreten, sei nur Tisch geblieben, weil ihm in der Zwischenzeit nichts anderes eingefallen sei (tote Materie – da ist sie wieder). Und das sei die Krux, dass wir in unserer Vorstellung genau diese Dinge als die Wichtigsten ansähen, eben weil sie nicht veränderbar seien. "Aber der Mensch", sagte er, "ist nicht so verlässlich. Ich gehe raus, ich komme rein, er scheint mir derselbe zu sein, aber ich sehe, er ist es schon nicht mehr [...] Was wir dann immer schlecht finden an dem Menschen: Er ist nicht verlässlich wie eine Maschine! Aber das ist ja genau, was ihn auszeichnet! Das ist das Schöpferische in ihm. Das müssen wir unterstützen, das bringt die Welt weiter! Das Tote, das können wir nur noch als Werkzeug und als Material verwenden."

2025, sandra borgmann, schauspielerin
© René Fietzek

In diesem Sinne: lasst uns singen und tanzen! Schwing, Baby, schwing!

Dieser Artikel erschien zuerst im Altona Magazin, Ausgabe 40.


Sandra Borgmann hat fast 30 Jahre als Schauspielerin gearbeitet. Zuletzt wurde sie 2022 für den Deutschen Schauspielpreis nominiert. Mittlerweile hat sie sich beruflich anderen Themen zugewandt und unter anderem ihre Freude fürs Schreiben wiederentdeckt.