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Titelthema

Leistung muss sich lohnen

Titelthema - Leistung muss sich lohnen
Oldies but Goldies: Die Cheerleaderinnen Barbara Grandinetti (79), Geri Braddock (71), Tommie Sebring (82), Sally Davis (66) und Carolyn Sargent (73) posieren im Sundial Auditorium in Sun City © Kendrick Brinson

Deutschland drohen neue Verteilungskämpfe, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Das Land braucht jetzt Reformmut statt einer Interventionsspirale.

Linda Teuteberg01.10.2025

In den kommenden Jahren wird die Generation der sogenannten Babyboomer in den Ruhestand gehen – ein demografischer Einschnitt mit kaum zu überschätzenden Folgen. Millionen Menschen scheiden aus dem Arbeits- und Wertschöpfungsprozess aus und werden gleichzeitig zu Leistungsempfängern unserer Sozialversicherungen. Als größte Wählergruppe bleiben sie politisch einflussreich. Gleichzeitig befindet sich Deutschland in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Lange galt Wirtschaftspolitik vielen als Nebensache. Doch für immer mehr Menschen wird sichtbar, dass wir kein Abonnement auf Wohlstand haben und im harten Wettbewerb mit anderen in der Welt stehen.

Ob es gelingt, dringend nötige Reformen anzustoßen, entscheidet sich auch an der Qualität unserer Debatten. Dass wir heute vor so großen Herausforderungen stehen, ist nicht zuletzt das Resultat verpasster Diskussionen und entsprechend falsch gesetzter Prioritäten. Die reflexhafte Abwehr konkreter Reformvorschläge, auf die weiter Verlass ist, zeigt: Den Ernst der Lage haben viele noch immer nicht verstanden. Sätze wie „Wir können uns unseren Sozialstaat nicht mehr leisten“ werden daher als Angriff statt als Analyse missverstanden wie missbraucht.

Migration genügt nicht
Die Herausforderungen, die die Demografie – seit Langem absehbar – mit sich bringt, sind nur in Ansätzen verstanden. Selbst der offensichtlichste Aspekt, die immer schlechter werdende Relation zwischen der Zahl der Leistungsempfänger und der Zahl der Beitrags- und Steuerzahler, wird noch immer häufig mit Verweis auf einige Nebelkerzen vom Tisch gewischt. Regelmäßig wird über versicherungsfremde Leistungen geklagt. Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung beträgt inzwischen 121 Milliarden Euro. Dieses Volumen übersteigt um ein Vielfaches alles, was selbst bei großzügiger Definition als versicherungsfremd zu bezeichnen wäre. Auch die Einbeziehung von Beamten und Selbstständigen würde nichts am grundsätzlichen Problem ändern. Denn es kämen nicht nur Beitragszahler, sondern auch Leistungsempfänger hinzu.

Häufig wird Migration als Lösung präsentiert. Doch selbst bei Ausblendung aller nichtmonetären, aber nicht zu vernachlässigenden kulturellen Aspekte von Migration, bietet sich Zuwanderung nicht ernsthaft als Hauptantwort an. Integration ist anspruchs- und voraussetzungsvoll, und eine positive fiskalische Bilanz setzt voraus, dass hochqualifizierte Arbeitskräfte einwandern, die dem inländischen Nettozahlungsprofil entsprechen. Das Gegenteil ist unsere Realität. Die Migrationspolitik ist zwar von großer Bedeutung für die fiskalische Nachhaltigkeit in Deutschland, spielt hinter den reformbedürftigen Sozialversicherungen jedoch nur die zweite Geige. Selbst eine gelungene Migrationspolitik wäre kein Ersatz für eine Anpassung der staatlichen Leistungen insbesondere im Hinblick auf die altersspezifischen Sozialausgaben.

Nur wenn es Deutschland gelingt, Reformfähigkeit zu zeigen, werden wir auch wieder attraktiv für die Migranten, die wir als Leistungsträger einladen, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Denn neben unserer schönen, aber schwer zu erlernenden Sprache sind gerade zweifelhafte Spitzenplätze bei Steuern und Abgaben sowie den bürokratischen Hürden Wettbewerbsnachteile im weltweiten Kampf um Talente. Die Konsequenz daraus ziehen jährlich Hunderttausende besonders qualifizierte junge Deutsche und Zuwanderer, die der Bundesrepublik Deutschland den Rücken kehren. Diese Abwanderung von Talenten ist die stille Krise hinter der sichtbaren. Eine glaubwürdige Bekämpfung illegaler Migration in den Sozialstaat ist auch eine Voraussetzung dafür, dass notwendige Einschnitte in den Sozialsystemen gesellschaftlich akzeptiert werden.

Diese nüchterne Bestandsaufnahme mit vielen unbequemen Tatsachen ist kein Anlass zu Pessimismus und Fatalismus, sondern ein Aufruf zum Handeln. Zuallererst gilt das begründete Vertrauen darauf, dass Leistung sich lohnt. Arbeit muss sich für jede und jeden lohnen: jede zusätzliche Arbeitsstunde für Arbeitnehmer ebenso wie jeder zusätzliche Auftrag für Selbstständige und Unternehmer. Dazu braucht es deutliche Entlastungen statt immer neuer Belastungen. Wir dürfen als Standort nur so viel teurer sein, wie wir besser sind. Bei der Rente gilt es, alle Stellschrauben in den Blick zu nehmen, statt Tabus zu verkünden.

 

Aus der Luft: Bevor Sun City 1960 erbaut und eröffnet wurde, war es eine ländliche Gegend mit Baumwollfeldern. Die gesamte Stadt, die sich über mehr als 22,5 Kilometer erstreckt, wurde am Reißbrett geplant / Foto: Kendrick Brinson

 

Wohlstand durch Wettbewerb
Eine Anhebung des Renteneintrittsalters ist angesichts höherer Lebenserwartung geboten – alles andere überfordert die junge Generation. Auch ein flexibler Renteneintritt bedarf der Definition eines angemessenen Regeleintrittsalters, um versicherungsmathematisch plausible Abschläge bei früherem Renteneintritt zu ermitteln. Bei diesem Thema kann man regelmäßig den Eindruck gewinnen, unser Land bestünde zu 95 Prozent aus Dachdeckern. Selbstverständlich müssen gesundheitliche Folgen harter körperlicher Arbeit angemessen berücksichtigt werden. Doch handelt es sich hier um Fragen von Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit. Vielmehr sind generell Kreativität und Flexibilität gefragt, um andere, körperlich weniger belastende Tätigkeiten zu finden. Nicht zuletzt sollte auch die weitere Erwerbstätigkeit nach Renteneintritt unkompliziert attraktiver gemacht werden.

Wer diese Reformnotwendigkeiten ignoriert, riskiert absehbar den Verlust weiterer Arbeitsplätze und damit noch weniger Einnahmen. Ein noch höherer Bundeszuschuss zur Rentenversicherung mag als vermeintlich einfache Lösung erscheinen – doch auch er setzt Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit voraus. Um Reformen, die für jeden Einzelnen Leistung lohnender machen, kommen wir also nicht herum – außer um den Preis dramatischer Wohlstandsverluste. Auch die Ursachen zu hoher Energiepreise müssen angegangen und nicht durch Subventionen teuer kaschiert werden. Wer nicht nur linkspopulistisch von Gerechtigkeit und Solidarität sprechen will, hat allen Anlass, daran zu erinnern, dass Freizeit nicht besteuert wird. Zur Wertschätzung von Arbeit gehört gerade auch, dass sie jenseits von Abgaben ein Beitrag ist, um das Land am Laufen zu halten.

In der Generation der Boomer sind viele, die erheblich zum Wohlstand dieses Landes beigetragen haben und selbst auf einen schwierigen Arbeitsmarkt getroffen sind. Zugleich trägt sie Verantwortung für das Verfrühstücken der Friedensdividende und viele Versäumnisse der 30 Jahre nach 1990. Trotzdem wäre es ein Irrweg, die Frage der Generationengerechtigkeit mit moralisierenden Stereotypen zu diskutieren. Da unsere Freiheit wehrhaft sein muss, werden wir erneut eine Wehrpflicht benötigen. Das sollte Anlass sein, die junge Generation nicht weiter über Gebühr zu belasten in den Sozialsystemen. Sowohl Vorstöße für Sonderabgaben als auch paternalistische Dienstpflichtdebatten sind Teil des Problems und nicht der Lösung. Unser Grundgesetz sieht aus guten Gründen die Notwendigkeit einer Wehrpflicht zur Landesverteidigung als einzige Möglichkeit einer Dienstpflicht vor.

In den letzten Jahrzehnten war das Aufstiegsversprechen für die Talentierten und Fleißigen konkret erfahrbar. Viele haben ihr eigenes Vermögen gemacht und leben gut – unabhängig davon, wie viel Geld sie geerbt haben. Junge Menschen erleben heute die Ernüchterung, dass auch bei guter Ausbildung und hoher Anstrengungsbereitschaft ihr Berufsleben nur mäßig ertragreich wird. Dass die Bedeutung des Erbes zunimmt und dass das Vertrauen darauf, ein eigenes Vermögen aufbauen zu können, erodiert, sind ernste Probleme. Doch sind Interventionismus und Umverteilungsfantasien die völlig falsche Antwort darauf. Denn sie sind Ursache des Problems. Verschuldungs- und Niedrigzinspolitik, immer höhere Abgaben, systematisches Erschweren des Vermögensaufbaus mit Immobilien und Aktien haben uns dahin gebracht. Linke Politik verschärft und zementiert die Zustände, die sie beklagt. Wohlstand durch Wettbewerb – diese Devise Ludwig Erhards stand am Anfang des wirtschaftlichen Aufstiegs unseres Landes. Wettbewerb gestalten statt Mangel zu verwalten, das sollte uns auch bei den heutigen Herausforderungen leiten.