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Titelthema

Freiheit ist unteilbar

Titelthema - Freiheit ist unteilbar
Linda Teuteberg © Olaf Kosinsky

Der SED-Staat war eine Diktatur. Und Unterdrückung war und ist die Existenzbedingung des Sozialismus

Linda Teuteberg01.06.2023

Kollegen, reiht euch ein! Wir wollen freie Menschen sein!“ Dieser Ruf erschallte am 16. Juni 1953 an vielen Orten in der damaligen DDR. Eine Senkung der Arbeitsnormen, die Freilassung politischer Gefangener, der Rücktritt der Regierung der SED-Diktatur, freie Wahlen und die Einheit Deutschlands – mutig traten Menschen am 17. Juni 1953 in der ganzen DDR für diese Ziele ein. Die Hoffnungen der Demonstrierenden wurden schon im Laufe des Nachmittags zerstört, als sowjetische Panzer auffuhren, um den Aufstand niederzuschlagen.

Unterdrückung war und ist Existenzbedingung und nicht etwa Betriebsunfall des Sozialismus. Jene Tage im Juni 1953 ließen unübersehbar werden, dass das SED-Regime keine Basis in der DDRBevölkerung hatte, dass es nur mit brutaler Waffengewalt aufrechterhalten werden konnte. Die Menschen im Osten unseres Landes haben der SED nie in freien und geheimen Wahlen ein Mandat erteilt, die Geschicke dieses Teils unseres Landes zu bestimmen.

1953 fand vor allem eine große Streikwelle statt, also eine Art Arbeiteraufstand. Ohne die Forderung der Arbeiter nach gerechter Entlohnung wäre es nie und nimmer zu den Massenprotesten gekommen, die dann in der Forderung nach völliger Neuordnung der politischen Verhältnisse und schließlich in dem Wunsch nach Wiedervereinigung mündeten. Freiheit ist unteilbar: Wirtschaftliche und politische Freiheit sowie individuelle und gesellschaftliche Freiheit gehören zusammen und nicht gegeneinander ausgespielt.

Geschichtsbewusstsein als Rüstzeug

Denn der SED-Staat war schon nach wenigen Jahren aufgrund seiner wirtschaftlichen Verfassung nicht in der Lage, den Menschen ein vergleichbar gutes Auskommen zu sichern. Er hat nicht nur die Freiheitsrechte mit Füßen getreten, sondern er verwehrte den Menschen den Wohlstand, der in der Bundesrepublik schon bald zur Selbstverständlichkeit wurde. Der größte Feind der SED waren nicht so sehr – wie es über die Landwirtschaft in der Planwirtschaft immer ironisch gesagt wird – Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Es waren die Ergebnisse einer ruinösen Wirtschaftspolitik, die hart arbeitende Menschen um ihren Lohn brachten.

Der SED-Staat war eine Diktatur. Er war dies nicht durch Fehlentwicklung oder individuellen Machtmissbrauch – der kam im einzelnen hinzu –, sondern von seinen historischen und ideologischen Grundlagen her. Die Hauptverantwortung für das Unrecht, das von diesem System ausging, trägt die SED. Die politisch-moralische Verurteilung der SED-Diktatur bedeutet keine Verurteilung der ihr unterworfenen Menschen. Im Gegenteil: Die Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR haben den schwereren Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte zu tragen gehabt.

Ein wichtiger Teil der kollektiven Erinnerung

Zu den geistigen Grundlagen einer innerlich gefestigten Demokratie gehört ein von der Gesellschaft getragener antitotalitärer Konsens. Bei Deutungskämpfen um die Geschichte geht es um die Systemfrage, um unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Die Feinde der Freiheit nutzen Geschichte taktisch. Die Verteidiger der Freiheit brauchen Geschichtsbewusstsein als Rüstzeug, um unsere Demokratie wehrhaft nach innen und nach außen zu machen. Auf die auch geschichtspolitische Kriegserklärung Putins muss eine auch geschichtspolitisch fundierte Verteidigung unserer liberalen Ordnung folgen.

Leider fehlt es auch heute nicht an Beispielen dafür, die SED-Diktatur zu verharmlosen und erneut planwirtschaftliche Konzepte als vermeintlich fortschrittlich zu empfehlen. Zudem steht der 17. Juni 1953 am Anfang einer Entwicklung, zu der Budapest 1956, Prag 1968 und Danzig mit Solidarność gehören. Wir haben den Auftrag, uns die Ereignisse immer wieder anzueignen, zu fragen: Was sollte davon Allgemeingut werden, was sollte Teil unserer kollektiven Erinnerung sein und bleiben? Der 17. Juni 1953 ist ein herausragendes Ereignis deutscher und europäischer Freiheitsgeschichte.

Linda Teuteberg

Linda Teuteberg (MdB) ist stellvertretende Vorsitzende von „Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.“ und Mitglied des Bundesvorstandes der FDP.

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