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Interview

"Aufklären und wachrütteln"

Interview - "Aufklären und wachrütteln"
Unter Spannung: Das Klima, das Wetter, die Menschheit © Claus Müller von der Grün (alle Fotos)

Carlo Link (RC Wiesbaden) hat ein Buch über den Klimawandel geschrieben. Claus Peter Müller von der Grün sprach mit ihm über seine Motivation und seine Ziele.

17.09.2025

Lieber Carlo, Chapeau! Du hast ein wirklich beeindruckendes Buch über den Klimawandel, seine Ursachen und das – nach Deiner Ansicht – gesellschaftliche Versagen gegenüber den dramatischen Herausforderungen, die aus dem Wandel folgen, nicht nur geschrieben, sondern regelrecht erarbeitet. Das belegen die vielen im Text zitierten Quellen und die bis in Details nachgezeichneten politischen Diskussionen. Warum hast Du Dir diese Arbeit gemacht?

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Aus natürlichen Ressourcen gewonnene Energie kann helfen, das Klima zu stabilisieren.

Die Folgen des Klimawandels bedrohen nicht nur uns, sondern vor allem unsere nachfolgende(n) Generation(en) und langfristig das Leben insgesamt. Als engagierter Mediziner und Naturwissenschaftler konnte ich hypothetische und vor allem falsche Gegenargumente nicht mehr hören. Man muss mit Sachargumenten aufklären und wachrüttelnd die Motivation zu Gegenmaßnahmen glaubhaft vermitteln.

Du bist Arzt. Wie wirkt sich der Klimawandel heute schon aus? Gibt es Hitzetote in Hessen?

Erstmals habe ich von Hitzetoten in Paris bei einer Urlaubsreise 2003 gehört. Jetzt wird beinahe alltäglich darüber berichtet, zum Beispiel in unseren medizinischen Fachjournalen oder auf Kongressen. Hohe Temperaturen, die zum Teil an die 40 Grad Celsius heranreichen, sind besonders bedrohlich für alte Menschen und Kinder bis hin zur Todesfolge. In Deutschland wurden von 2000-2022 zwischen 1.500 (2011) und 11.600 (2003) Hitzetote pro Jahr registriert. Vor drei Jahren (2022) verstarben hier 9.100 Menschen an den Hitzefolgen des Klimawandels, in Hessen haben wir in demselben Jahr 570 Menschen an die überhöhten Temperaturen verloren (Zitat: Huber V. et al., Deutsches Ärzteblatt – DÄB,  2024, 121: 79-85). Kürzlich wurde sogar berichtet, dass auch bei uns eine Risikoerhöhung für extreme, also sehr vorzeitige, Frühgeburten aufgrund der Hitzebelastung von Schwangeren besteht ("Klimawandel und Frühgeburtlichkeit", Heimann Y., Schleußner E.: Climate change and premature birth: Trends in the temperate zone, DÄB, Int 2025, 122: 508–9, DOI: 10.3238/arztebl.m2025.0128). Der Klimawandel ist also jetzt schon für unsere Nachkommen gefährlich – bereits beim Erblicken das warmen Weltlichts.

Aber wen willst Du noch wachrütteln? Denn die Fakten liegen doch seit Jahren auf dem Tisch: Die Welt lebt in einem permanenten Klimawandel, der mannigfache Ursachen hat, die auf unterschiedlich Weise zusammenwirken. Aber fest steht unterdessen auch – in einem breiten Konsens in der Wissenschaft – , dass sich der gegenwärtig vollziehende Klimawandel auf den seit Mitte des 19. Jahrhunderts stark gestiegenen Kohlendioxidausstoß durch Menschen ausgelöst worden ist...

Das entspricht der wissenschaftlich dokumentierten Wahrheit. Bedrohlichen Fakten weicht man aber gerne aus – entweder aus Angst oder durch sich Dumm- oder Schlauer-Stellen. Man könnte auch sagen: durch Ignoranz. Mit der häufigsten Ausrede "Klimaveränderungen gab es auf der Erde schon immer" ignoriert man falschmeinend, aber selbst beruhigend den aktuell rasenden menschenverursachten Klimawandel. Das Falschdenken wird schon seit Langem mit falschen, von den Profiteuren des Verkaufs fossiler Brennstoffe aus Eigeninteresse lancierten Gegenargumenten gefördert.

Aber BP verfolgte schon einmal die Strategie Beyond Petroleum. Fast alle Autohersteller wollten rasch den Umstieg auf E-Mobilität, und die Übertragungsnetzbetreiber Gas arbeiten am Umbau der Methan- in Wasserstoffnetze. Nur die Nachfrage nach den Angeboten ist noch gering. Wer investiert in den teuren ersten Schritt?

In dem Buch "CSR in Hessen" von A. Trischler und S. Böhling (Springer 2021) finden sich viele positive Beispiele für individuelle Beiträge zur Dekarbonisierung. Man muss ja nicht alles völlig fossilfrei nutzen. In meiner Wohnumgebung sehe ich viele Häuser mit Flachdach und privaten Photovoltaik-Anlagen und Wärmepumpen. PV auf unser Schieferdach geht leider nicht. Wir schauen schon, dass wir Strom aus nicht-fossilen Energieträgern nutzen. Meinen Hybrid-PKW habe ich der Familie meines Sohnes geschenkt – er fährt in der Stadt jetzt elektrisch. Wir fahren viel mehr und bequem mit der Bahn. Ich habe viele Freunde, die ihren Haushalt "dekarbonisieren": Mit einem "Nullenergie- bzw. Passivhaus" oder eigener Energieversorgung, PV+Wärmepumpen, Heizung mit Holzpellets und vielem mehr. Der Versuch, Batterie-Großspeicher zu bauen, scheiterte an der Bürokratie. Die Autoindustriellen sind sehr widersprüchlich im Tun und Handeln. E-Mobilität muss als zukunftssicher verkauft werden.

Die gegenwärtige Wirtschaftsministerin der deutschen Bundesregierung will aus Kostengründen in vielen Punkten die Förderung der Energietransformation bremsen, um die gegenwärtige Wirtschaft mit ihrer doch alten Struktur zu fördern. Sie berücksichtigt nicht die Verluste, die durch Klimawandel-Schäden entstehen, zum Beispiel 43 Milliarden Euro allein in diesem Sommer in Europa ( siehe HIER), und will Gaskraftwerke bauen, die später auf Wasserstoff (H2)umgerüstet werden sollen. Die breite Nutzung von H2 als Energieträger liegt in Deutschland noch in weiter Ferne (W. Messing, Distriktkonferenz D1820, Langen, 14.06.2025). Die von Industrieinteressen nicht vollkommen unabhängige Politik verunsichert das Land. Selbst handeln und darüber reden ist wichtig. Die Aktivitäten von vielen Energie-Firmen (siehe dazu Kapitel "2.6.4 Wie werden klimawandelrelevante Beschlüsse durch die Industrie beeinflusst? Negativ-Beispiele und der Wandel zu Besserem. RWE und andere" in meinem Buch "Klimawandel!") müssen konsequent politisch gefördert werden, wie auch die Nutzung elektrisch betriebener Fahrzeuge. Die Anlieferung von Post/Paketen mit dem Fahrrad beziehungsweise mit elektrisch angetriebenen Fahrzeugen der DHL sind beispielhaft. Von der EU ist, anders als zur Zeit von der deutschen Wirtschaftsministerin, eine zukunftsorientierte Wirtschaftsförderung geplant, wie der EU Kommissar Stéphane Séjourné ausführt.

Wie überzeugt man Menschen, etwa eine Patientin oder einen Patienten, wenn sie den Fakten nicht glauben wollen? Mit noch mehr Fakten, mit Drohungen vor den Folgen des eigenen Handelns wie mit den Schockbildern auf den Zigarettenpackungen, oder mit geduldiger Zuwendung, so wie eine Erzieherin oder Grundschullehrerin ein bockendes Kind zurückführt ins Spiel in der Gruppe?

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Bleibt der Regen aus, fallen Flüsse, Seen, Teiche trocken...

Menschen, die die Fakten der Ursachen und Folgen des Klimawandels ignorieren, kann man vorsichtig mit Hinweisen auf das Abschmelzen von Pol- und Gletschereis oder immer häufigere Extremwetterereignisse hinweisen und betonen, dass es hier bei uns noch nicht zu spät ist. Jeder Einzelne, jede Gemeinde und jeder Staat bis hin zu fortschrittlichen Staatengruppen müssen mit ihrer Intelligenz und Innovationskraft gegenwirken. Also: Bei "Alle zusammen!"mitmachen. Und: Selbst China unternimmt viel, um den üblen CO2-Ausstoß, herzeigbar in manchmal noch trüben Bildern – von von Peking zum Beispiel – zu drosseln.

Aus Deinem Buch spricht große Skepsis gegenüber der Handlungsfähigkeit der Politik. Du willst die Politiker in unserem System offenbar durch einen Expertenrat ersetzen, der die richtige Entscheidung durchsetzt. So gesehen wird die Volksrepublik China von einem Expertenrat regiert: Die politisch Herrschenden in China wissen, dass es den Klimawandel gibt, und sie schätzen ihn als lebensbedrohlich ein. Darum investiert die VR China systematisch, schnell und umfassend in Erneuerbare Energien wie wohl kein anderes Land der Welt. China setzt sogar massiv fossile Energie ein, um die Dekarbonisierung in seinem ehrgeizigen Zeitplan zu erreichen. Müssen wir die Demokratie mit ihrer Suche nach Konsens durch Kompromisse in einer komplexen Welt aufgeben, weil uns nur eine Autokratie oder ein Ein-Parteien-System schnell genug ans rettende Ufer führen kann?

China wird immer als Klimawandel-Ignorant angeführt in Verbindung mit dem Argument "Unser nur 5-Prozent-Anteil am Kohlendioxidausstoß kann da auch nichts bewirken". Das sagen auch Politiker, die Deutschlands Rolle in der Welt stärken wollen. Wie Deine Frage bereits zeigt, unternimmt die Regierung des riesigen Lands China erstaunlich viel. Ich habe dies im Verlauf vieler Kongresseinladungen über die Jahre 1990 bis 2020 optisch und mit dem Geruchssinn wahrgenommen. Mopeds dürfen nur noch elektrisch betrieben werden. Und: China hat in einem Jahr Solaranlagen gebaut, die die Strommenge liefern, die alle Atomkraftwerke weltweit produzieren.  Unsere Politik ist zu wechselhaft für kontinuierlich klare Strategien – und dabei sicherlich nicht ganz frei von Interessen-Einflüssen. Aus diesen Gründen benötigen wir einen unabhängigen breiten Expertenrat aus allen wirtschaftlichen und auch sozialen Schichten, der der Regierung – gleich welcher Zusammensetzung – empfiehlt, welche Maßnahmen zu ergreifen sind und die Ausführungen kontrolliert und sanktioniert. Die derzeit wenigen Professoren im Expertenrat der Bundesregierung, die meist von Regierungen in ihrem Bundesland bezahlt werden und damit nicht völlig unabhängig sind, sind zu wenig! Immer wieder argumentieren Regierung oder Opposition mit den unermesslichen Kosten, die die Transformation zu Nicht-Fossilen Energiequellenverursachen kann. Es gibt jedoch auch Analysen, die zeigen, dass man, etwa in mittelständischen Betrieben, beim Mitwirken gegen den zunehmenden CO2-Ausstoß sogar den Umsatz steigern und damit Geld verdienen kann (A. Trischler und S. Böhling: CSR in Hessen, Springer Gabler, 2021).

Dann lassen wir das mal so stehen, ohne die Frage nach der demokratischen Legitimation und Kontrolle des Expertenrats sowie seiner Stellung zum Parlament hier aufzuwerfen. Carlo, nenne uns bitte drei Gründe, warum wir alle Dein Buch lesen sollten.

Um die Frage "Was können wir tun?" zu benatworten, muss man sich selbst und andere mit sachlichen Argumenten überzeugen. Diese werden dem Leser in dem Buch "Klimawandel!" geliefert. Dort stehen auch viele, von profilierten Experten empfohlene, Handlungsanleitungen, die jeder ohne Nachteile übernehmen kann, um etwas gegen die teuflische CO2-Belastung beizutragen. Gute Beispiele werden oft gerne kopiert – also: lesen, denken, wissen, reden, handeln. Das ist der beste persönliche Beitrag!

Welche drei Fakten oder Argumente in Deinem Buch überraschen Menschen, die am menschengemachten Klimawandel zweifeln, regelmäßig am meisten und stimmen die Skeptiker nachdenklich?

1. Überraschend wirkt oft der reelle Hinweis, dass sich langfristig die Erdachse verändert, wenn die Pole abschmelzen. Dies wurde sogar schon bemessen.

2. Die Assoziation von "Abschmelzen der Pole und Gletscher" mit dem Anstieg des Meeresspiegels über sechs Meter weisen manche als unglaubhaft zurück. Bis jetzt ist der Spiegel ja nur um 19 cm angestiegen. Der Hinweis des RI-Präsidenten 2018/2019, Barry Rassin, zu dem Klimawandel-bedingten Anstieg des Meeresspiegels am Strand in seiner Heimat, den Bahamas, und seine Bitte an die damals incoming Governors der rotarischen Welt, darauf in Vorträgen hinzuweisen, hat mich auch dazu angeregt, über den Klimawandel nachzuforschen, zu reden und zu schreiben – und auch zu handeln.

3. Häufig besteht auch die Meinung "Wir Deutschen tun am meisten". Stimmt nicht! Wir liegen in der EU mit unserem Anteil von Erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch mit 19,2 Prozent in der Mitte – Schweden steht mit 62,6 Prozent an der Spitze. Dort wird derzeit weit im Norden über Stromgewinnung durch reichlich vorhandene Wasserkraft ökonomisch sinnvoll ein mit elektrisch erzeugtem Wasserstoff (H2) befeuertes Stahlkraftwerk gebaut – wie der Experte und rotarische Freund W. Messing auf unserer Distriktkonferenz am 14. Juni 2025 berichtet hat. Dies mit Beteiligung auch deutscher Firmen. Also: Los geht´s – zusammen können wir was tun!

Wo und wie kann ich denn Dein Buch bestellen?

Das Buch "Klimawandel!" kann beim Verlag Linus Wittig, Herbstein über E-Mail (buch@wittich-herbstein.de), www.booklooker.de zum Kaufpreis von 25 Euro bestellt werden oder beim nächsten Buchhändler (buchhandel.de/buch/Klimawandel--9783865954947) (ISBN 978-3-86595-494-7).

Lieber Carlo, mir fielen noch manche Fragen ein, zumal wir in einer Polykrise leben. Aber Du sprichst zumindest eine der vielen Herausforderungen unmissverständlich an und nimmst streitbar Stellung. Ich danke Dir für das Gespräch.