Lesetipp: Das Leben des Ostelbischen Junkers Hansjoachim v. Rohr
Prinzipientreue und Unerschrockenheit
Allenthalben wird heute über das sogenannte „konservative Profil“ diskutiert, das Zusammenschlüsse und Parteien beweisen sollten, um bestimmte Menschengruppen an sich zu binden, aber eben auch von extremen Positionen fernzuhalten. Wenn hierzu nicht gleich taktische Aspekte im Vordergrund stehen oder nur nackte Parolen verbreitet werden, versucht man das meist an einzelnen plakativen Forderungen und Handlungen festzumachen. Dabei dürfte doch Konservatismus sich vielmehr an inhaltlichen Ideen, Werten und Einstellungen orientieren. Persönliche Bescheidenheit, Verantwortungsbereitschaft, Pflichtbewusstsein, Sparsamkeit, „einfacher, niemals aufdringlich gezeigter christlicher Glaube“, „Vaterlandsliebe, Staatstreue, Opferbereitschaft“, wie Hans Christoph von Rohr (RC Essen) in seinem Buch „Ein konservativer Kämpfer. Der Agrarpolitiker und NS-Gegner Hansjoachim von Rohr“ die Ausrichtung seines Vaters schildert. Und vor allem kommt es darauf an, dass die Protagonisten solche Haltung auch durch ihr persönliches Vorbild glaubwürdig machen. Denn was nützen die schönsten Grundsätze, wenn sie sich nicht im täglichen Auftrag des Einzelnen bewähren, also konkret und persönlich vorgelebt werden.
Als Konservativer gegen die Nazis
Hansjoachim v. Rohr (1888–1971) hat dies getan, nicht spektakulär und auftrumpfend, sondern selbstverständlich, unerschütterlich und geradlinig und durchaus auch mit gewissem Einfluss. An ihn und sein Wirken zu erinnern, ist das Anliegen des hier präsentierten schlanken Buches, das im vergangenen Herbst erschien. Der Sohn, selbst Jahrgang 1938, schildert darin zunächst den Werdegang Rohrs aus dem landwirtschaftlichen Familiensitz in Vorpommern heraus bis zu ersten politischen Aktivitäten. Rohr trat der Deutschnationalen Volkspartei bei, kniete sich in die Agrar- und Wirtschaftspolitik und wurde 1924 für die DNVP in den Preußischen Landtag gewählt, wenig später übernahm er auch den Vorsitz des Pommerschen Landbundes.
Da die Nationalsozialisten auch im ländlichen Raum immer stärkeren Einfluss suchten, in den Landbund drängten und eine betont kollektivistische, rassenideologisch verklärte Agrarpolitik verfolgten, geriet Rohr rasch mit Ihnen in Konflikt. Auch stieß ihn ihr rücksichtsloses, rabaukenhaft vorgetragenes Machtstreben und die bedenkenlose Finanzakquirierung ab. Der Streit kulminierte, als Rohr in der 1933 zustande gekommenen Koalitionsregierung unter Hitler von dem das Reichs-Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium übernehmenden DNVP-Vorsitzenden Alfred Hugenberg zum Staatssekretär berufen wurde. Auch im Kabinett nämlich wich Rohr nicht von seiner Linie ab. Er lehnte es weiterhin ab, Nationalsozialisten in seine Überlegungen mit einzubeziehen, und bekämpfte deren Projekt eines Reichserbhofgesetzes. Es kam in den Kabinettssitzungen zu heftigen Auseinandersetzungen mit Hitler, und als Hugenberg nicht mehr länger vermitteln konnte, im Juni 1933 selber zurücktrat, Rohr aber weiterhin allen Vorhaben der Nationalsozialisten widerstand, wurde er am 23.?9.?1933 als Staatssekretär entlassen. Dass nun für ihn die Verfolgung durch die Nationalsozialisten bedrohlicher werden würde, lag auf der Hand. Immer wieder musste er untertauchen, entkam den Häschern oft nur knapp, konnte sich auf jeden Fall politisch nicht mehr Gehör verschaffen, hatte einen Strafprozess durchzustehen (bis zum Reichsgericht), wurde aber dann schließlich 1944 doch verhaftet. Aus dem Gestapo-Gefängnis in Potsdam kam Rohr erst mit der Einnahme Berlins durch die Sowjettruppen frei.
Opposition gegen die Westbindung
Das Buch des Sohnes schildert eingehend natürlich auch noch das Nachkriegswirken Hanjoachim von Rohrs. Über die von ihm gegründete Fachzeitschrift „Stimmen zur Agrarwirtschaft“, den Bauernverband und die mit großem Netzwerk agierende „Agrarpolitische Opposition“ nahm Rohr auf verschiedene Gestaltungen der neuen Entwicklung Einfluss. Zugleich engagierte er sich in der Deutschland-, Europa- und Gesellschaftspolitik und saß ab 1950 im nordrhein-westfälischen Landtag. Auf seine Initiative kam es 1968 zur Gründung der „Gesellschaft für konservative Publizistik“ und 1969 der Monatsschrift Konservativ heute. In der FDP gehörte er dem nationalkonservativen Flügel an und versuchte, die Partei rechts von der Union zu positionieren. Das, was bei aller Lebensleistung aber am eindrucksvollsten in Erinnerung bleibt, ist Rohrs unerschütterliches und mutiges Einstehen für seine Überzeugungen während der nationalsozialistischen Zeit. Die gedankenvolle Frage, die heute sein Sohn stellt, rührt deshalb an den Nerv jedes reflektierten, wertegebundenen Menschen in einem staatlichen Gemeinwesen: „Wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn alle konservativen Kabinettsmitglieder (von elf Reichsministern waren zu Beginn nur zwei Nationalsozialisten), alle Staatssekretäre sich ähnlich verhalten hätten und nicht vor dem Druck Hitlers und seiner ‚Bewegung‘ eingeknickt, auf seine Linie eingeschwenkt oder zurückgetreten wären … – man mag diese schmerzhafte Spekulation nicht zu Ende denken“. Das schmale Buch Hans-Christoph v. Rohrs ist deshalb jedem nachdenklichen und geschichtsinteressierten Leser nur zu empfehlen, auch – und gerade – einem nicht bewusst konservativ und/oder agrarpolitisch ausgerichteten. Es ist zudem übersichtlich gegliedert, ausgesprochen gut lesbar und mit einem gediegenen Nachweisapparat versehen. Vor allem aber verfällt es in seiner nüchternen, schlichten Art nie irgendeiner Verklärung. Denn nichts war ja störender als die vielfache Erfahrung, dass (und wie) nach 1945 bis dato eher unauffällige Zeitgenossen sich nachträglich als Helden stilisierten oder dazu gemacht wurden.
Hans Christoph von Rohr: Ein konservativer Kämpfer.
Der NS-Gegner und Agrarpolitiker Hansjoachim von Rohr
164 Seiten, ISBN 978-3-89850-206-1, 16,90 €
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