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Das Licht der Stadt

Sicherheit und Poesie

J. Alexander Schmidt13.12.2012

Mit Licht können sehr unterschiedliche Atmosphären für Stadträume geschaffen werden: für einen kleinen historischen Platz, einen grandiosen Schlossplatz, eine unübersichtliche Straßenkreuzung oder einen Bahnhofsvorplatz. Poetische Lichträume können entstehen, deren Fassaden ihre Geschichte erzählen, Räume mit hoher Symbolkraft können festlich illuminiert, Funktionsbereiche gleißend ausgeleuchtet werden.

Bis ins späte Mittelalter blieben die Städte nachts dunkel. Aus Sicherheitsgründen wurden Beleuchtungen mit Kerzen, Talg- oder Öllampen angeordnet, für besondere Feste auch Illuminationen. Erste Versuche flächendeckender Stadtbeleuchtung begannen im späten 17. Jahrhundert – so in London nach dem großen Brand 1666. Der Große Kurfürst befahl für Berlin 1679, an jedem dritten Haus eine Laterne aufzuhängen. Eine erste funktionierende Straßenbeleuchtung erhellte ab 1736 mit mehr als 5.000 Öllampen London. Hundert Jahre später wurden diese Lampen durch zuverlässige Gaslichtsysteme ersetzt.

Die Weltausstellungen in Chicago (1893) und Buffalo (1903) entwickelten sich zu wahren Lichtfesten. Nun wurde Licht zum Synonym für technischen Fortschritt, der sich in der Beleuchtung der Stadt spiegelte – der New Yorker Broadway, im Volksmund „Great White Way“, erschien mit farbig-wechselnder Lichtreklame nachts attraktiver als tagsüber. Die nächtlich erhellte Stadt verhieß auch in Europa Großstadtqualitäten.

Die Nationalsozialisten missbrauchten das Licht politisch und propagandistisch. Man nutzte die suggestive Wirkung zu Propagandazwecken, denn effektvoll illuminierte Parteiveranstaltungen und Sonnwendfeiern vermittelten demagogische Wir-Erfahrungen. Die gezielte Inszenierung von Lichtraum und Finsternis mit dem Lichtdom aus Flakscheinwerfern bei Reichsparteitagen und den Olympischen Spielen 1936 schuf eine „Atmosphäre der Manipulative“ (Gernot Böhme). Danach wurden die Städte in Europa abgedunkelt...

Moderne Inzsenierungen

Später war die Beleuchtung der Stadt zunächst fest in den Händen der Ingenieure. Beleuchtung wurde bemessen, um einen „Lichtteppich“ nach geltenden Sicherheitsrichtlinien zu schaffen. In den 1980er Jahren wurden der zunehmende Mangel urbaner Qualitäten und die einseitig autogerechte Stadtentwicklung deutlich. Im Bewusstsein der Wirkung des Stadtraums für das Image einer Stadt wurde der Raum als Bühne für das öffentliche Leben entdeckt und inszeniert: Erweiterte Ladenschlusszeiten führten zur Eroberung des Stadtraumes für kommerzielle Nutzungen. Die wachsenden Ansprüche der Freizeitgesellschaft ließen die nächtliche Stadtbeleuchtung zu einem kommunalen Thema werden.

Hatten technisch-funktionale Gesichtspunkte lange Zeit Vorrang, werden heute alle Möglichkeiten genutzt ­– und oft auch übertrieben. Tagsüber unscheinbare Gebäude werden nachts zu gigantischen Werbeanlagen. Computer zaubern irritierende Lichtstimmungen in tagsüber verbaute Stadträume. Einerseits kann Hässliches mit Licht ausgeblendet werden, andererseits entstehen desorientierende Raumwirkungen. Licht in Maßen ist zwar durchweg positiv besetzt, doch stört die übertriebene kommerzielle Beleuchtung ungemein.

Welche Ziele stecken dahinter, Bauwerke, Stadträume oder eine Stadtansicht zu illuminieren? Die Verkehrssicherheit bleibt ein vorrangiges Kriterium, denn sie senkt das Unfallrisiko. Licht ist auch eine kriminalitätspräventive Maßnahme, es erhöht das subjektive Sicherheitsgefühl. Ein übergeordnetes kommunales Ziel ist schließlich auch die Reduzierung der CO2-Emissionen. In neuen Lichtkonzepten werden daher intelligente Steuerungen und Technologien eingesetzt, die die Energieeffizienz erhöhen. Außerdem gilt es, die durch die Stadtbeleuchtung verursachten Lichtimmissionen zu minimieren. Weil zuviel Licht als störend empfunden wird und Gesundheit und Umwelt schädigen kann, sollen urbane Lichtkonzepte ausdrücklich Dunkelzonen sicherstellen.

Stadtmarketing setzt Licht imagefördernd und belebend ein, um Innenstädte attraktiv und konkurrenzfähig zu machen und abends zum Bummeln und Verweilen der Kunden einzuladen. Eine gute Lichtplanung muss als interdisziplinäre und integrierte Planungsaufgabe gesehen werden. Die enge Kooperation kommunaler Ämter mit Denkmalpflegern, Stadtplanern, Landschaftsarchitekten, Lichtdesignern, Stadtmarketingmanagern und nicht zuletzt mit privaten Akteuren vermeidet einseitige und langweilige, kostenintensive und gestalterisch unausgewogene Lösungen. Ohne die Einbindung privater Lichtinstallationen in die Gestaltung der Straßen- und Platzräume kann die gewünschte Atmosphäre nicht entstehen.

Die nächtliche Beleuchtung kann die Orientierung im Raum erleichtern, die Identität der Stadt und ihrer Teilräume besser lesbar machen, ihre Baugeschichte und ihre naturräumliche Lage verdeutlichen. Die Schönheit eines Ortes kann mit Licht „kosmetisch“ aufgewertet und hervorgehoben werden. Schließlich können auch die nächtliche Strukturierung und Kultivierung einer zersiedelten Stadtlandschaft oder einer ganzen Stadtregion unterstützt werden, wenn nicht nur der historische Kernbereich oder einzelne Stadträume, sondern auch orientierungsfördernde Landmarks, Stadteinfahrten oder Stadtränder besser ins Licht gesetzt werden.

Forderungen an die Stadtplanung

Für einen Stadtraum reicht nicht nur eine Planung für das Tagesbild, Licht muss als integraler Bestandteil gesehen werden. Das nächtliche Bild wird oft übersehen, wenn sich die Planer nur für das Design der Lampe interessieren; die Lichtwirkung überlässt man dann dem Zufall. Doch im Stadtraum müssen verschiedene Lichtaufgaben unterschieden werden, die in Einklang gebracht werden müssen. Das Licht zum Sehen ermöglicht es, das Umfeld wahrzunehmen und eine ausreichende Grundhelligkeit zu schaffen. Das Licht zum Hinsehen ist dagegen ein Akzentlicht für Bauwerke oder Bäume, um einen deutlich erfahrbaren Nachtraum mit einer bestimmten Atmosphäre entstehen zu lassen. Das Licht zum Ansehen soll die Blicke lenken. Dazu gehören die Leuchtreklame, Lichtinstallationen, Lichtelemente im Bodenbelag für die Raumgliederung.

Auch wenn der öffentliche Raum einer Stadt gern als „Bühne des öffentlichen Lebens“ bezeichnet wird – Stadtraum besitzt eine höhere Komplexität als eine Theaterbühne. Es geht dehalb darum, angemessen mit Licht umzugehen und auf die Anforderungen des Raums, der Objekte und der Nutzer einzugehen. Und Licht kann noch mehr: Künstliches Licht prägt und formt, es schafft ein neues Stadtbild und wird als Instrument genutzt, um ein zweites Bild zu schaffen – ein Nachtbild, das sich lediglich in der Dämmerung mit dem Tagbild überlagert. Es ist geeignet, Negatives, Unschönes, Fehlplatziertes, Trübes und Trauriges gezielt auszublenden, damit das Stadtbild in der Nacht gewinnt und eine psychologisch positive Wirkung erzeugt. Das muss ausbalanciert werden mit den Anforderungen an Sicherheit und Orientierung, an Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit der Beleuchtung.

Stadtgestaltung mit Licht heißt in diesem Zusammenhang, der Stadt ein besonderes Nachtbild zu geben, das nachhaltig und bewusst Atmosphären schafft und beides zugleich vermittelt: Sicherheit und Poesie.

J. Alexander Schmidt
Prof. Dr. Ing. J. Alexander Schmidt ist Leiter des Instituts für Stadtplanung und Städtebau an der Universität Duisburg-Essen. Zu seinen Werken gehören „StadtLicht – Lichtkonzepte für die Stadtgestaltung. Grundlagen, Methoden, Instrumente, Beispiele“ (Fraunhofer IRB Verlag 2006) und „Die schöne Stadt“ (av edition 2008). uni-due.de