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Titelthema

Licht im Leben, Leben im Licht

Titelthema - Licht im Leben, Leben im Licht
Mephistoteles trifft Gott im Prolog zu Goethes Faust: „Ein wenig besser würd’ er leben, hätt’st du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben“ © Interfoto/Mary Evans

Literatur, Kunst und Wissenschaft haben sich dem Licht auf unterschiedliche Weisen genähert, doch es blieb ein Geheimnis. Ein interdisziplinärer Ansatz

Ernst Peter Fischer01.12.2019

„Licht und Leben“ – so lautet der Titel des ersten Buches, das der Autor dieser Zeilen geschrieben hat. Es handelt vom Leben eines Nobelpreisträgers, der seit den 1930er Jahren versucht hat, das Leben so zu verstehen wie das Licht, nämlich als offen zugängliches Geheimnis. Gemeint ist der in Berlin geborene Max Delbrück (1906–1981), der als Student erleben konnte, wie Albert Einstein (1879–1955) seinen Nobelpreis für Physik für die Einsicht bekam, dass man nicht sagen kann, was Licht ist. Im 19. Jahrhundert hatte man noch ­geglaubt, es sei eine Welle, doch dann zeigte Einstein, dass es auch aus Teilchen besteht, und beide Gesichtspunkte gehören untrennbar zusammen, auch wenn sie sich fundamental widersprechen. Mit Einstein ist Licht ein Geheimnis geworden und geblieben.

Das Geheimnis des Lichts
Allerdings: Nach dem ersten Schock über diesen Befund fand Einstein den Gedanken wunderbar, und er kam zu der Einsicht, dass das Gefühl für das Geheimnisvolle zu dem Schönsten gehört, was Menschen empfinden können. Der junge Delbrück zeigte sich fasziniert von dieser Entwicklung und entschloss sich ab 1937, in diesem Sinne das Geheimnis des Lebens zu finden, wobei er dafür verschiedene Wege einschlug. Auf einem versuchte er, die Stelle zu finden, an der das Licht im Auge oder Gehirn zum Sehen wird. Doch je genauer Forscherinnen und Forscher – zu denen auch der Schreiber dieses Essays als Doktorand gehörte – die Umwandlung des Lichtes vom physikalischen Signal zum bewussten Erleben in Augenschein nahmen, desto mehr hüllte sich die Natur in Dunkelheit und bestätigte die paradox klingende Einsicht, dass die Naturwissenschaften die Geheimnisse der Welt nicht aufheben oder gar aufklären. Sie vertiefen sie sogar, was aber nicht deprimieren, sondern als Grund zur Freude angesehen werden sollte. Denn das Gefühl für das Geheimnisvolle ist das Schönste, was Menschen erleben können, um erneut das wunderbare und befreiende Einstein-Wort zu zitieren, und das Licht fasziniert Menschen vor allem, weil es bei allem Leuchten sein Geheimnis bewahrt.
Wenn die Bibel am Anfang der Schöpfungsgeschichte Gott den Befehl sprechen lässt, „Es werde Licht!“, dann verwandelt er die Energie der Finsternis, die bis dahin über der Urflut lag, in sichtbare Strahlen, ohne dass irgendein Physiker beschreiben könnte, was da im atomaren Detail passiert. So sehr das Licht als Mittel der Erhellung (physikalisch) dient und als Metapher der Aufklärung (philosophisch) geschätzt wird, so dunkel bleibt es selbst für den Blick der Menschen, die sich an ihm erfreuen. Ihnen gefallen vor allem die Farben, die Johann Wolfgang von ­Goethe (1749–1832) als „Taten des Lichts“ bezeichnet hat, wobei der Künstler Heinz Mack (*1931) einer Grafikedition diesen Titel gegeben hat, die im Oktober 2018 auf den Markt gekommen ist.
„Taten des Lichts“ – das klingt sofort nach Aufklärung, die von den Menschen verlangt, den dunklen Zustand ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit aufzugeben und selbstständig mit dem Denken zu beginnen und ihre Vernunft einzusetzen, wobei sich Kant sicher über die Tatsache gewundert hätte, dass die Lampe der Wissenschaft vor allem neue Fragen aufwirft, wenn sie auf die Welt scheint. Schon Goethe hatte bei seiner Verherrlichung des Lichts erste Zweifel an dessen reinigender Wirkung bekommen. Er legt sie in seinem „Faust“ dem Teufel Mephisto in den Mund, der bei seiner Begegnung mit dem Herrn zu Beginn der Tragödie meint, „ein wenig besser würd’ er leben“ (gemeint ist der Mensch), „hätt’st du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben; /Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,/ um tierischer als jedes Tier zu sein.“
Nach Goethe kamen die Romantiker, die deutlich sahen, dass zur lichten Seite des Menschseins auch eine dunkle – also zum Tag die Nacht – gehörte, und damit war nicht nur die moralische Neigung zum Bösen, sondern auch die Wirkung des Unbewussten gemeint, die sich gerade nicht im Lichte des Bewusstseins zu erkennen gibt, vielleicht aber in Träumen seine Wirkung entfaltet und unheimlich wird. Während sich das aufklärerische 18. Jahrhundert in dem hellen Licht sonnte, in das der Physiker Isaac Newton (1642–1727) die Welt getaucht hatte, um sie als kosmisches Uhrwerk zu verstehen, begannen Schriftsteller wie E.T.A. Hoffmann (1776–1822) im romantischen 19. Jahrhundert damit, „Nachtstücke“ zu schreiben, eine „Sonne der Nacht“ aufgehen zu lassen und die Seiten des Menschen zu erkunden, die sich zwar nicht im Licht der ­Wissenschaft erkennen ließen, die aber manchmal seinen Wert ausmachten.
Zwar wurde es in der Literatur jetzt vielfach dunkel – an der Wende zum 20. Jahrhundert wandten sich viele Gedichte von Rainer Maria Rilke (1875–1926) an die Nacht, die er zum Beispiel mit den Worten anspricht: „Du Dunkelheit, aus der ich stamme/ich liebe dich mehr als die Flamme.“ Selbst seine Verse „Zum Licht“ beginnen mit der Beschwörung: „Nur nicht im Dunkel/ Schmählich erschlaffen.“ Aber zur Zeit der Entstehung dieser Zeilen wurde das alltägliche Leben hell und heller. Zum einen gelang im 19. Jahrhundert die Elektrifizierung der Haushalte, die bald alle mit Strom versorgt waren und in denen entsprechend elektrisches Licht brannte, wie in einer Zeit wie der gegenwärtigen eigens gesagt werden muss, in der erste Menschen gegen die Lichtverschmutzung kämpfen, weil jederzeit der Strom aus der Steckdose kommt und allzu viele Lampen leuchten lässt. Bis dahin war es aber ein weiter und schwerer Weg, den zum Beispiel der neuseeländische Schriftsteller Anthony McCarten (*1961) in seinem Roman mit dem einfachen Titel „Licht“ erzählt. Man liest von der ersten Glühbirne in New York und der dann folgenden Erleuchtung – ein schönes Wort – der großen Stadt, um die sich nicht nur der berühmte Erfinder Thomas Alva Edison (1847–1931) nebst anderen Konkurrenten bemühte, sondern bei deren Umsetzung auch der Bankier James Pierpoint Morgan (1837–1913) seine oftmals schmutzigen Hände im Spiel hatte. Während es Edison und seinen Mitbewerbern darum ging, den Menschen mit der Glühbirne das Licht in die Wohnzimmer zu bringen, fasste Morgan nur die Möglichkeit in den Blick, immer mehr Geld zu verdienen. Er wurde immer reicher, was Edison am Ende verzweifelt ausrufen ließ: „Gebt uns das Dunkel zurück!“

Sichtbares und unsichtbares Licht
Dieser Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen, weil die Menschen zu sehr am Licht hängen und etwa bei Spaziergängen im Wald immer Ausschau nach der Lichtung halten, in der sie in der Sonne stehen und sich wärmen können, falls sie scheint. Wer an den Zentralkörper des Planetensystems denkt, zu dem auch die Erde gehört, hat wahrscheinlich vor allem das sichtbare Licht im Sinn, das die Augen von Menschen als Farben wahrnehmen, mit denen sich die Natur kleidet. Ihr Spektrum bildet aber nur einen winzigen Teil des Lichts, das Physiker gefunden haben und untersuchen können. Zum Licht gehören nämlich auch die Röntgenstrahlen, die in der Medizin unentbehrlich geworden sind, und die Wissenschaft zählt auch die elektromagnetischen Wellen dazu, mit denen das Medium des Rundfunks im frühen 20. Jahrhundert das Leben der Menschen veränderte. Es gibt also sehr viel mehr unsichtbares als sichtbares Licht, was zwar beim ersten Hören seltsam klingt, den Romantikern aber vertraut war, die längst verstanden hatten, was die Psychologen im 20. Jahrhundert auf eine solide Basis stellten. Gemeint ist die Tatsache, dass Menschen zwei Augen haben – die beiden Fensterlein im Kopf, die das Sonnen- und Lampenlicht einlassen und dem Gehirn zuleiten, und die inneren Augen, mit denen man das Feuer erkennen kann, das in der Seele des Menschen brennt, dem man gegenübersteht (wenn es nicht erloschen ist).

Die Welt neu erfinden
Was die unsichtbaren Röntgenstrahlen angeht, so machten sich die Menschen nach ihrer Entdeckung – und mit gleichzeitiger Kenntnis der Radiowellen und der Aktivität radioaktiver Elemente – klar, dass die Welt trotz allem Licht von der Sonne zum größten Teil unsichtbar ist. Das heißt, dass die Dinge anders sind als sie aussehen. Wenn jetzt jemand als Künstler die Welt so zeigen will, wie sie ist, dann kann er sie nicht mehr so darstellen, wie sie seinen Augen im sichtbaren Licht erscheint. Das heißt, wer die Welt nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen malen will, muss sie erfinden, und die Kunstgeschichte vermerkt dies als Beginn der abstrakten Malerei. Die Wissenschaft beflügelt auf diese Weise die Kunst, wenn das Licht ins Spiel kommt, und die Wissenschaft lernt dabei zugleich von der Kunst, indem sie so abstrakt wird wie sie. Damit ist konkret die Theorie der Atome gemeint, die vor mehr als 100 Jahren als Quantenmechanik begonnen hat und sich in Form einer Quantenelektrodynamik bis heute vergeblich darum bemüht, die Wechselwirkung von Licht und Materie im Detail zu verstehen. Das Licht bleibt, was es ist, nämlich ein lockendes Geheimnis, wobei man der Materie diese Qualität ebenfalls zuschreiben darf.
Das heißt, für Menschen, die nicht unbedingt an wissenschaftlichen Erklärungen der Welt interessiert sind, bleibt Licht immer eine schöne Vokabel oder Metapher, mit denen sich trefflich spielen lässt. So etwa, wenn Eugen Roth (1895–1976) dichtet: „Ein Mensch erblickt das Licht der Welt./Doch hat sich oft herausgestellt,/ nach manchem trüb verbrachten Jahr,/ dass dies der einzige Lichtblick war.“ Das kann so sein, denn selbst wenn das Leben schön war, gilt, „wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten“, wie Goethe seinen Ritter Götz von Berlichingen sagen lässt, während sein Faust aus der Dunkelheit seiner Studierkammer ausbrechen möchte, sich deshalb sehnsuchtsvoll an den Mond wendet und dabei wünscht, „auf Berges Höh’n/ in deinem lieben Lichte gehn“ zu können.

Der Lichtspalt, der Leben heißt
Die Dichter haben gerne mit dem Licht gespielt, das wie in der Schöpfungsgeschichte aus der Dunkelheit heraustritt und das Leben nicht nur ermöglicht, sondern ist. Der russische Schriftsteller Vladimir Nabokov (1899–1977) beginnt seine Autobiografie „Sprich, Erinnerung, sprich“ mit dem Satz: „Die Wiege schaukelt über einen Abgrund, und der platte Menschenverstand sagt uns, dass unser Leben nur ein kurzer Lichtspalt zwischen zwei Ewigkeiten des Dunkels ist.“
Wir kommen aus der Nacht und kehren in sie zurück. Das Licht dazwischen ist unser Leben. Das Leben hängt am Licht, und das Licht hängt am Leben. Licht und Leben, sie bilden das Ganze und bleiben voller Geheimnisse. So lockt Menschen immer der Weg „Zum Licht“, zu dem Rilke Mut macht: „Nicht müd’ versiechen,/ Kränkeln und kriechen –/ Nur das nicht! /Richte und recke/Auf dich zum Licht!“ Es weist dem Leben den Weg, auf dem man sich verlieben kann. Wem die Augen dabei leuchten, braucht keine Laterne.

Ernst Peter Fischer
Dr. Ernst Peter Fischer ist apl. Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Universität in Heidelberg, wissenschaftlicher Berater der Stiftung ­Forum für Verantwortung, mehrfach ausgezeichneter Autor, Redner und Publizist.

© Hannes Ortmann epfischer.de

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