Eine Branche im Umbruch
» Smarte neue Medienwelt «
Neulich hörte ich fasziniert einem Professor für Design zu, der mit seinen Studierenden die unendlichen Weiten des World Wide Web durchpflügt auf der Suche nach neuen Ideen und Anwendungen. Er betreibt auch ein Design-Lab, wo am „Internet der Dinge“ gebastelt wird. Alles kann vernetzt werden, vom Kühlschrank über die Armbanduhr, ja sogar bis zur Babywindel. Nachschub und Wohlbefinden jederzeit steuerbar über mobile Apps. Kein Wunder, dass allein in den USA gut 200 Patente rund ums Smartphone angemeldet werden - pro Tag! Nur ein Bruchteil davon wird es jemals zur Marktreife bringen. Aber die gigantischen Datenmengen, die Internetnutzer in allen Lebenslagen produzieren, befeuern die Kreativität und das Geschäftsinteresse enorm.
Auch für uns Medienschaffende hat sich die Situation stark verändert. So konkurriert heute eine schier unübersehbare Menge an Angeboten um die Aufmerksamkeit des Publikums. Nachrichtenportale, Video-Kanäle und Aggregationsplattformen jeglicher Couleur, für Musik und für alles, was sich sonst noch verkaufen lässt. Da scheint es fast ein Wunder zu sein, dass klassische Medien wie Fernsehen und Radio ihre Reichweiten auf hohem Niveau halten können. Als Radiomacher freue ich mich natürlich, dass über 80 Prozent der europäischen Bevölkerung regelmäßig dieses Medium hören. Allerdings, auch das sagen die Statistiken, sinkt die Hördauer langsam, aber kontinuierlich, beim jungen Publikum schneller als bei älteren Menschen.
Längst befindet sich die gesamte mediale Produktionskette in einem Restrukturierungsprozess, angefangen von der Herstellung der Inhalte über deren Verbreitung bis hin zum neuen, interaktiven Verhältnis zwischen Produzenten und Konsumenten. Nur wenige Grundkonstanten sind geblieben, etwa, dass professioneller Journalismus immer noch den Regeln von Recherche, Aktualität und Einordnung gehorcht und dass Sprache und Bilder die Werkzeuge hierfür sind. Darüber hinaus aber stellen sich aus Sicht der Radio- und Fernsehanbieter viele Fragen: Wie viel senden wir noch linear, wie viel bieten wir non-linear an? Wird bald alles via Internet verbreitet? Was passiert dann mit dem traditionellen Rundfunk? Wie können die Anbieter von Inhalten mit der zunehmenden Fragmentierung der Medienwelt Schritt halten, um auch künftig ihr Publikum zu erreichen? Auf welchen Geräten? Und: Nutzerdaten sind eine Goldmine. Wie passt das mit dem Datenschutz zusammen?
Erstaunliche InterneT-Gläubigkeit
Es ist verblüffend, wie stark die Internet-Gläubigkeit in den vergangenen Jahren gewachsen ist, die Zuversicht, dass schon sehr bald das Netz der Netze im Grunde überall vorhanden sein wird: zu Hause, am Arbeitsplatz, unterwegs. Dass die Realität oft anders aussieht und eine allumfassende Präsenz des Internets im Zweifel mit erheblichen Kosten für den Endverbraucher verbunden wäre, wird ausgeblendet. Aber lassen wir die Tatsachen sprechen, Beispiel Radio: Rechnet man ausschließlich die mobile Nutzung dieses Mediums, z.B. im Auto, um in die Menge zu transportierender Daten, kommt man auf ein Volumen von Zehntausenden von Terabyte. Multipliziert mit den heutigen Preisen für mobile Daten ergeben sich astronomische Summen. Die Kosten pro Gigabyte, das haben Studien in Schweden, den Niederlanden und Deutschland ergeben, müssten um gut 95 (!) Prozent fallen, um mit dem Rundfunk wirtschaftlich gleichzuziehen. Mit anderen Worten: Auf viele Jahre wird die terrestrische Verbreitung von Radio (und Fernsehen) erheblich preiswerter sein.
Die technische Abdeckung von Mobilfunk reicht bei Weitem nicht an die des Rundfunks heran, dazu kommt die Stabilität der Netzwerke. Wer jemals außerhalb von WLAN eine live gestreamte Sportreportage gehört hat, kennt das Phänomen. Der Stream „puffert“ – also hängt – oft just in dem Moment, in dem man eigentlich wissen will, ob ein Tor gefallen ist oder nicht. Zudem brechen Mobilfunknetze bei sprunghaft steigender Nutzung gerne mal zusammen. Da reicht schon ein mittlerer Verkehrsstau auf der Autobahn, bei dem jeder zum Handy greift, und schon ist das Netz weg. Dieses Problem gibt es beim Rundfunk nicht. Ein Sender erreicht Abertausende von Nutzern, es spielt überhaupt keine Rolle, wie viele Geräte das Signal empfangen.
Aber: Es geht nicht um ein Entweder-Oder. Die mediale (bezahlbare) Zukunft liegt in der Kombination beider Wege, in der intelligenten Verknüpfung von Rundfunk und Internet. In Fachkreisen spricht man von Hybrid-Radio und Hybrid-Fernsehen. Das Ziel muss sein, die Vorteile beider Technologien zu nutzen, die kostengünstige, stabile Versorgung über den Broadcast-Weg und die personalisierte Nutzung von Services via Internet. Einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel hat die Europäische Rundfunkunion getan mit ihrer „Smart Radio Initiative“. Die macht sich stark für „free-to-air“Radio in Smartphones und Tablets. Zwei Dutzend kommerzielle und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in ganz Europa haben sich dem Aufruf bereits angeschlossen.
Ein namhafter koreanischer Mobilgeräte-Hersteller konzipiert derzeit ein neues „Smart Radio Phone“, das in der Lage sein soll, UKW und DAB+ zu empfangen. Dass es hierfür in Europa einen Markt gibt, belegt eine Studie der BBC vom vergangenen Herbst, wonach fast die Hälfte der Befragten ein derartiges Gerät kaufen würde, wenn es ihnen ermöglicht, ohne zusätzliche Kosten Radio zu hören.
Parallel dazu schreitet die Digitalisierung der Medienwelt voran. Während das Fernsehen die analoge Terrestrik in Europa schon abgeschaltet hat und digital sendet, müht sich das Radio damit noch ab, von UKW auf DAB/DAB+ umzusteigen. Norwegen wird 2017 das erste Land sein, das sein UKW-Netz komplett abschaltet. Dänemark, die Schweiz und Großbritannien sind ebenfalls weit fortgeschritten in der Einführung von Digitalradio. Die Niederlande, und Deutschland als größter Medienmarkt Europas, werden folgen, auch wenn hier noch kein dezidiertes Umschalt-Szenario feststeht. Italien, Belgien, Polen, die Tschechische Republik und auch Frankreich haben mit der Digitalisierung des Radios begonnen und kommen mehr oder weniger schnell voran damit.
Digitales Radio
Die Auswahl an Digitalradios ist schon jetzt beachtlich. Mittlerweile sind gut 350 verschiedene Geräte zu haben, ab 20 Euro aufwärts. Die Automobilindustrie ist mittlerweile auf den fahrenden Zug aufgesprungen und bietet zum Teil Digitalradios schon als Standardausrüstung an, ohne lästigen Aufpreis. In Großbritannien verfügen mehr als 60 Prozent aller Neuwagen über DAB. Die Herausforderung und große Chance besteht darin, Rundfunk und Internet auch im Auto zu verschmelzen, denn dort wird am meisten Radio gehört. Die Branche spricht vom „connected car“ und träumt davon, den PKW der Zukunft nicht nur voll und ganz ins Netz zu integrieren, sondern sogar automatisch fahren zu lassen - ein weiter Weg... Der Rundfunk spielt bei dieser Entwicklung aus genannten Gründen eine wichtige Rolle. Er ist preiswert, stabil und via DAB+ auch in der Lage, weitaus mehr Daten zu transportieren als das reine Audiosignal. Experten gehen davon aus, dass in zwei Jahren auch im Auto hybride Radiogeräte zum Standard werden. Der Fahrer muss dann nur noch den Namen seines bevorzugten Senders auf dem Touchscreen auswählen, und die Technik im Hintergrund sucht das stärkste und preiswerteste Sendesignal aus, abhängig davon, was die Antennen gerade auffangen. Parallel werden sich neue, hybride Geschäftsmodelle entwickeln und Rundfunkinhalte mit einer Vielzahl personalisierter Internetdienste verbinden. Entscheidend werden letztlich zwei Fragen sein: Gelingt es den Programm-Machern, dem Publikum in der digitalen smarten Medienwelt einen Mehrwert zu bieten, mit neuen, bzw. noch mehr auf das Individuum zugeschnittenen Angeboten? Und: Werden Leser, Hörer, Zuschauer und User bereit sein, dafür auch zu bezahlen?
Es ist viel in Bewegung. Zeitungen werden digital, das Fernsehen gibt es „on demand“ (man kann sich Sendungen unabhängig von ihrem Ausstrahlungszeitpunkt online ansehen), auch das gute alte Radio verändert sich, ohne Zweifel. Seine Stärken wird es deshalb aber nicht verlieren: seine Reaktionsschnelligkeit, seine Vielfalt und seine unvergleichliche Zuverlässigkeit als Rund-um-die-Uhr-Begleiter im Alltag. Und nicht zu vergessen: Bei all der Technik, die heute die Medienwelt bestimmt, es sind die Inhalte, die zählen.