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Buch der Woche

Was Weihnachtsmänner anrichten können

In dem Band »Weihnachten kann kommen« von Suhrkamp sind Weihnachtsgeschichten junger deutschsprachiger Autoren versammelt. Stefan Moster erzählt, was passiert, wenn an Heiligabend nicht nur ein Weihnachtsmann nach Hause kommt. Der falsche oder der richtige Weihnachtsmann – eine handgreifliche Klärung der Verhältnisse führt zu einem erstmalig höchst harmonischen Weihnachtsabend für die ganze Familie – Weihnachtsmänner inbegriffen.

20.12.2013

Stefan Moster: »Die Entbehrlichen«

Der Weihnachtsmann war pragmatisch. Er brachte eine schwarze Rolle zum Vorschein und riss davon so viele Mülltüten ab, wie nötig waren, um die im Carport bereitgestellten Geschenke aufzunehmen. Er verbot mir, ihm beim Tragen zu helfen. Drei Mal musste er gehen, bis die Säcke im Wohnzimmer vor dem Baum thronten.
»Man sieht das Krippchen nicht mehr«, beschwerte sich der Kleine.
Der Weihnachtsmann nahm probehalber die Perspektive der Jungen ein und verschob dann die Säcke.
»Besser so?«, fragte er.
Ein Sack war bei der Prozedur aufgerissen. An der betreffenden Stelle ragte ein scharfkantiges, quaderförmiges Päckchen heraus.
»Geht so«, meinte der Große.
»Seid nicht so pingelig. Freut euch lieber. Ich hätte die Geschenke ja auch mitnehmen können, anstatt sie euch vor die Nase zu stellen.«
»Das sind aber unsere Geschenke!«, sagte der Mittlere.
»Na und?«
Meine Frau und ich hatten während des Wortwechsels Blicke getauscht. Der Anfang war vergeigt, so viel stand fest, aber meine Frau neigt nicht zur Resignation. Sie versuchte, neu anzusetzen, hieß den Weihnachtsmann in aller Form willkommen und bat ihn, auf dem Stuhl Platz zu nehmen, den ich ihm in Reichweite der Müllsäcke hingestellt hatte. Sobald er saß und Ruhe einkehrte, fiel die Dürftigkeit seiner Maskerade auf. Mütze und Mantel be(standen aus jenem dünnen roten Filz, in dem sich so leicht Knickfalten bildeten, die weißen Besätze an Mütze und Mantelrändern ähnelten greiser Zuckerwatte, wie auch der Bart, der im Grunde so aussah, als wollte sich der maskierte Mensch über den ganzen Brauch nur lustig machen. Trotzdem machte ich ein Foto. »Was hättest du denn mit unseren Geschenken gemacht, wenn du sie mitgenommen hättest?«, wollte der Große wissen.
»Na was wohl? Ausgepackt. Das Brauchbare hätte ich behalten, den Rest verkauft.«
»An wen?«
»Ich hab da meine Verbindungen.«
Inzwischen dämmerte auch meiner Frau, dass es schwierig sein könnte, den Weihnachtsmann überzeugend auf die offizielle Eingangsfrage nach den braven Kindern zu bringen. Ich fühlte mich in meiner Skepsis bestätigt, bei uns wäre früher niemand auf die Idee gekommen, einen Weihnachtsmann zu engagieren, das hätte als heidnisch gegolten, bei uns hatte das Christkind die Geschenke gebracht, denn wir waren katholisch, und die Krippe, die jetzt unterm Weihnachtsbaum stand, stammte von mir. Aber ich war bereit, mich anzupassen, jedenfalls beim ersten Mal, denn die Kinder waren es so gewohnt. Tatsächlich saßen sie einträchtig nebeneinander auf der Couch und sahen den Besucher nun erwartungsvoll an. Ich machte ein Foto von ihnen.

Der Weihnachtsmann schwitzte beträchtlich. Unter dem Zuckerwatterand seiner Mütze konnte man nasse Haarsträhnen erkennen. Er wischte sich über die Stirn, dabei ging der Knoten am Gürtel seines Mantels auf. An den Füßen trug er keine Stiefel, wie es sich gehört hätte, sondern schief getretene Turnschuhe, deren Bänder sich jeden Moment zu lösen drohten.
»Zieh die Schuhe aus!«, befahl der Kleine.
»Na gut. Aber wetten, dass ihr nie erratet, wie viele Löcher ich in den Strümpfen habe?«
»Worum wetten wir?«, fragte der Große.
»Um das Geschenk, das aus dem Riss da rausguckt.«
»Und was kriegen wir, wenn wir recht haben?«, wollte der Mittlere wissen.
»Mein Auto.«
»Vier!«, rief der Älteste.
»Drei«, sagte der Kleine.
»Zehn«, riet der Mittlere.
Der Weihnachtsmann zog die Schuhe aus.
Kein Loch.
»Da staunt ihr, was? Die Strümpfe habe ich in der vorigen Familie bei einer Wette gewonnen.«
Entschlossen vergrößerte er mit beiden Händen den Riss im Müllsack und zog seinen Gewinn heraus.
»Scheiße!«, sagte er.
»Ich muss doch sehr bitten, Herr Weihnachtsmann«, rügte ihn meine Frau.
»Tschuldigung. Aber wenn da drin ist, was ich ahne ...«
Mit verächtlicher Miene riss er das Geschenkpapier herunter.
»Wusste ich’s doch.«
Zum Vorschein kam eine Schachtel Pralinen in Weihnachtsverpackung, ein typisches Patentantengeschenk.
»Was ist daran so schlimm?«, fragte meine Frau.
»Ich hab eine Laktoseintoleranz.«
»Was ist das?«, wollte der Kleine wissen.
»Vielleicht kommen wir allmählich mal aufs eigent(liche Thema«, schlug ich vor, denn ich fühlte mich verpflichtet, das Heft in die Hand zu nehmen. In der Rolle des Hausherrn sozusagen.

Alle schauten mich an, als hätte ich etwas Ungehöriges gesagt, aber es wirkte.
»Also gut«, sagte der Weihnachtsmann. »Brave Kinder – ja oder nein?«
»Ja«, sagten alle drei.
»Beweise?«
Sie sahen sich fragend an, dann richteten sie die Blicke hilfesuchend auf ihre Mutter.
»Wie wäre es, wenn ihr dem Weihnachtsmann ein Lied singt, damit er sieht, wie brav ihr seid?«, schlug meine Frau vor.
»Nee«, lehnte der Weihnachtsmann ab. »Das beweist gar nichts. Die gemeinsten Gangster singen die lieblichsten Lieder.«
»Ich hab nur Einser und Zweier im Zeugnis«, rief der Große.
»Ich hab seit den Sommerferien kein einziges Mal im Training gefehlt«, warf der Mittlere in die Waagschale.
»Ich hab den Leon nicht eingeseift und ihm keinen Schnee in den Kragen gesteckt, obwohl er total gemein zu mir gewesen ist und ich ihn schon voll im Griff hatte«, brüstete sich der Kleine.
»Aber du hast ihn gezwungen, gelben Schnee zu essen «, petzte der Mittlere, was ihm prompt einen Ellbogenhieb des Großen einbrachte.
»Stimmt gar nicht. Hab ich bloß so gesagt«, korrigierte sich der Mittlere.
»Gelben Schnee?«, hakte der Weihnachtsmann interessiert nach.
Alle drei nickten. Der Mittlere sah den Großen rechthaberisch an, der Kleine verschränkte die Arme.

Der Weihnachtsmann grinste. »Also gelb, weil die Hunde...?«
Alle drei nickten noch heftiger. Ich sah, dass sie sich nur mit Mühe beherrschen konnten, Einzelheiten aus ihrem Erfahrungsschatz zum Besten zu geben.
»Sehr gut. Da will ich mich nicht lumpen lassen«, meinte der Weihnachtsmann und griff in den ersten schwarzen Sack.

Er hatte keine Mühe, die beschrifteten Päckchen an den richtigen Adressaten zu bringen, meine Frau und ich bekamen jeweils drei: ein weiches, eines in Buchform und ein kleines, leichtes, bei dem man schwer erraten konnte, was es enthielt, bevor man es ausgepackt hatte. Bei ihr lag der Ring mit dem winzigen Stein, den ich ihr gekauft hatte, in der Schachtel, bei mir etwas, das aussah wie ein Fieberthermometer. Das ovale Sichtfenster zeigte zwei rote Striche. Meine Frau hatte das Ding wie eine Kostbarkeit in transparentes Kunstharz gegossen. Sie zwinkerte mir zu, nickte kaum merklich, worauf ich das Geschenk rasch in das Kästchen zurücklegte, um es zu verbergen.

Die Kinder achteten jedoch nicht darauf, denn sie arbeiteten konzentriert am Auspacken ihrer Geschenke. Sie gingen entschlossen vor. Jeder bunkerte seine Päckchen in einer Ecke, dann rissen sie Bänder und Papier herunter und ließen die Verpackung neben sich auf den Fußboden fallen. Es waren unzählige Geschenke. Wir hatten versucht, es nicht zu übertreiben, aber auch nicht kleinlich sein wollen, doch ihr Vater hatte sich derart ins Zeug gelegt, dass wir trotzdem knauserig erschienen. Die Gaben von Großeltern, Paten und diversen Verwandten kamen noch hinzu. Nach einer Viertelstunde saßen die drei in einer erstarrten Papiermülllawine. Mir schnürte es die Kehle zusammen. Trotzdem hielt ich den Anblick mit der Kamera fest, denn immerhin war es für mich das erste Mal.

Der Weihnachtsmann langweilte sich sichtlich, machte jedoch keine Anstalten, aufzubrechen, auch nicht, als der Kleine anfing, das Lego-Raumschiff zusammenzubauen, der Mittlere das Guinness-Buch der Rekorde aufschlug und der Große die Eigenschaften des besseren seiner beiden neuen Mobiltelefone erkundete.

In den Augen der Kinder hatte der Weihnachtsmann nun exakt hundert Prozent seiner Attraktivität eingebüßt. Also drehte er sich auf seinem Stuhl zu mir um und klopfte sich wie beiläufig auf den Bauch. Gleichzeitig schmatzte er mit den Lippen, wie es Durstige tun.

Ich sah meine Frau an, aber sie schüttelte den Kopf und machte mit den Fingern die internationale Geste, die bezahlen bedeutet. Ich versuchte ihr zu verstehen zu geben, dass ich den Betrag schon beim Buchen an die Agentur überwiesen hatte.

Der Weihnachtsmann ließ sich auf die Knie sinken und fing an, die Geschenke genauer ins Auge zu fassen.

Meine Frau ignorierte meinen zeichensprachlichen Einwand und sagte: »So, jetzt soll der Weihnachtsmann seinen verdienten Lohn erhalten.«

Dazu sah sie mich auffordernd an. Ich war beleidigt. Der Weihnachtsmann merkte natürlich sofort auf und erhob sich von den Knien. In einer Hand hielt er eine DVDBox. Ich entzifferte die Aufschrift – Die besten Action- Filme aller Zeiten – und witterte eine Chance, das Portemonnaie stecken lassen zu können. Wer hatte die Stirn gehabt, dieses trojanische Pferd in unseren Haushalt einzuschleusen? Die Filme waren bestimmt alle ab 18.

»Das Finanzielle ist ja schon geregelt«, sagte ich ungeachtet meiner Frau, »aber wenn der Weihnachtsmann zur Entspannung ein paar Filme mitnehmen möchte ...«

Sofort richteten die drei Jungs gleichzeitig Laserstrahlblicke auf mich, doch bevor es zur Eskalation kam, klopfte es.

Meine Frau und ich sahen uns fragend an, da ging die Tür auf und der Weihnachtsmann trat ein. Sein flauschiger roter Anzug und die prächtige Mütze waren mit dichtem, weißem Fell besetzt, der Bart schien echt und das Resultat mehrjähriger Aufzucht und Pflege zu sein, die Füße steckten in antiken Lederstiefeln, die beim Gehen gemütlich knarzten. Mit seinen auffallend roten Backen sah er vorbildlich aus.

»Ob es in diesem Haus wohl brave Kinder gibt?«, hob er in Basslage an, stutzte jedoch, sobald er sich ein Bild von der Situation verschafft hatte. »Oh. Ich bin ja schon da«, stellte er beim Anblick des ersten Weihnachtsmannes fest und fing an, rustikal zu lachen.

Der erste Weihnachtsmann zog den Kopf ein und sah sich nach einem Fluchtweg um.

»Anscheinend bin ich ein bisschen aus dem Stundenplan getorkelt«, nuschelte der zweite Weihnachtsmann. »Es war halt doch ein anstrengender Tag. Zwölf Termine, und überall größte Gastfreundschaft.«

Den letzten Halbsatz sprach er triumphierend aus. Was er mit Gastfreundschaft meinte, roch man. Vielleicht hätte man sich empören müssen, doch stattdessen fiel mir ein, dass wir dem ersten Weihnachtsmann noch immer nichts angeboten hatten. Trotz seiner eindeutigen Gesten. Nun war es allerdings schwierig, denn wenn ich dem einen ein Glas hinstellte, musste ich es auch beim anderen tun. Dieser hatte jedoch bereits mehr als genug.

Die Kinder rührten sich überhaupt nicht, sondern beobachteten mit angehaltenem Atem die Szene. Einer der beiden Weihnachtsmänner musste falsch sein. Das schrie nach einer womöglich handgreiflichen Klärung der Verhältnisse, was auf den Rängen die Spannung steigen ließ. Raumschiff, Guinness-Buch und Handy sanken in die Schöße.

Der erste Weihnachtsmann schien den Konflikt zu scheuen. Er robbte auf allen Vieren durchs Papier-Geschenk- Geröll auf seine Schuhe zu, doch der Kleine schnappte sie ihm vor der Nase weg, warf sie geschwind den Brüdern zu, die jeweils einen Turnschuh hinter ihren Rücken verschwinden ließen.

Der zweite Weihnachtsmann packte den ersten Weihnachtsmann am Kragen und zog ihn hoch, um ihn in Augenschein zu nehmen.

»Miserables Kostüm. Vom Wühltisch, wie?«

Der erste Weihnachtsmann nickte, machte mit Schultern und Armen eine Geste, als wollte er sagen: Was will man machen?

»Mich wundert, dass die Agentur das durchgehen lässt.«

Dann stutzte er, als hätte ihm ein Unsichtbarer die Wahrheit über seinen Kontrahenten ins Ohr geflüstert.

»Kommst du überhaupt von der Agentur?« Die Schärfe, um die er sich bemühte, wurde von der Nachwirkung des Alkohols an den Rändern aufgeweicht. Sein Verdacht nahm trotzdem immer deutlichere Gestalt an, er stieß den ersten Weihnachtsmann auf den Stuhl, wie zum Ver(hör. Es wurde ernst und unbehaglich. Die Kinder hielten das nicht aus, sie sahen sich veranlasst, den ersten Weihnachtsmann in Schutz zu nehmen. Immerhin war er derjenige, der ihnen die Geschenke ausgehändigt hatte.

Das ermutigte den ersten Weihnachtsmann. »Wer hat hier die Geschenke gebracht, du oder ich?«, tönte er prompt.

Der zweite Weihnachtsmann war fassungslos. Er schnappte nach Luft, dann rief er: »Ich bin der wahre Weihnachtsmann!«

Darauf der erste frech: »Du bist ein Schmarotzer, der sich einschleicht, um was abzustauben!«

Der Kleinste der Jungen spannte alle Muskeln seines Körpers an, so wie beim Fernsehen, wenn es unerträglich spannend wurde. Der Mittlere sperrte sperrangelweit den Mund auf, der Große sah ständig zwischen den Weihnachtsmännern und mir und meiner Frau hin und her.

»Du«, fing der zweite Weihnachtsmann an, musste aber gleich wieder zum Luftschnappen absetzen. »Du bist ein hinterhältiger Lump. Du hast dich in meine Runde eingeschlichen. Wahrscheinlich hast du meinen Einsatzplan kopiert.«

Mit dieser Bemerkung bog er gewissermaßen auf die Sachebene ein. Es war kein Vorwurf, sondern ein Versuch des Verstehens. Der erste Weihnachtsmann reagierte entsprechend.

»Nein, hab ich nicht. Es war reiner Zufall!«
»Zufall? Woher wolltest du wissen, dass hier jemand auf den Weihnachtsmann wartet?«
»Hab ich an den Geschenken im Carport gesehen«, antwortete der erste Weihnachtsmann kleinlaut.

Der zweite Weihnachtsmann ließ vom ersten ab, trat in die Mitte des Raums, stemmte die Hände in die Hüften und stampfte mit dem Fuß auf. Er traf die Pralinenschachtel, was ihn aus dem Konzept brachte. Bevor er den Faden für die offenbar beabsichtigte Gardinenpredigt aufnehmen konnte, rief der Kleine: »Zieh die Schuhe aus!«

Langsam drehte sich der mustergültige Weihnachtsmann um. Seine Fahne folgte ihm mit leichter Verzögerung wie ein Umhang. Mit echtem Groll fasste er den Jungen ins Auge.

»Erstens. Dem Weihnachtsmann erteilt man keine Befehle! Zweitens. Der Weihnachtsmann zieht nie die Stiefel aus.«
»Nicht mal im Bett?«, fragte der Kleine erstaunlich mutig.
»Werde bloß nicht frech!«, drohte der Weihnachtsmann und stach dem Kleinen mit dem Zeigefinger gegen die Brust.
»Lass meinen Bruder in Ruhe!«, rief der Große.
»Genau!«, pflichtete ihm der Mittlere bei.
»Du besoffener Angeber!«, fügte der erste Weihnachtsmann hinzu.
Die Kinder lachten.
»Ich geb’s auf«, schnaufte der zweite Weihnachtsmann. »Macht mal ein bisschen Platz.«
Die Kinder rückten auseinander, damit er auf der Couch Platz fand.
»Und jetzt?«, fragte er.
Der erste Weihnachtsmann hob die Hand, in der er noch immer die Kassette mit den DVDs hielt.
»Oh ja!«, rief der Kleine.
»Ich will aussuchen!«, verlangte der Mittlere.
»Du hast doch keine Ahnung«, konterte der Große.
»Ich suche aus«, sagte der erste Weihnachtsmann.
»Also ...«, sagte ich.

Meine Frau gab mir ein Handzeichen und verschwand in die Küche. Dort holte sie die Cognacflasche aus dem Schrank und maß zwei Doppelte ab.
»Aber du ...«, sagte ich.
»Das ist mein letzter. Den brauche ich jetzt.«
Wir tranken und dann knutschten wir.
»Lass uns einen Spaziergang machen«, sagte sie.
»Jetzt? Wir können doch die Kinder nicht allein lassen. «
»Die haben zwei Aufpasser.«

Im Wohnzimmer lief die DVD. Silvester Stallone erhielt gerade den Auftrag, eine Insel zu befreien.
»Wie heißt der Film?«, wollte ich wissen.
»The Expendables«, kam es vierstimmig zurück. Der zweite Weihnachtsmann war eingenickt.
Früher war ich in der Weihnachtsnacht in die Christmette gegangen. Jetzt drehten wir eine Runde in unserem Viertel und wünschten den Hundeausführern, die uns entgegenkamen, frohes Fest.

»Was heißt eigentlich Expendables?«, fragte ich meine Frau.
»Mit einem vernünftigen Handy könnte man das jetzt googeln.«
Wir gingen Hand in Hand und ziemlich weit, trotz des Nieselregens. Um Mitternacht sang eine Amsel. Das ist die Weihnachtsdepression, hatte mein Großvater immer gesagt, wenn an Heiligabend Tiefdruck herrschte. Er hatte während des Kriegs bei der Luftwaffe eine Ausbildung zum Meteorologen erhalten.

Zu Hause stand die Cognacflasche inzwischen auf dem Couchtisch. Ohne Inhalt.

Auf dem Bildschirm sah man Silvester Stallone am Steuer eines Flugzeugs sitzen und eine dicke Zigarre rauchen. Neben und hinter ihm saßen weitere muskulöse Männer. Alle waren guter Laune. Die Insel, von der sie gerade gestartet waren, stand in Flammen, und deswegen klatschten sie sich ab.
»Wo sind die Weihnachtsmänner?«, fragte meine Frau.
»Weiß nicht«, sagte der Mittlere.
»Weg halt«, meinte der Große.
Der Kleine schlief.

Erschienen in: Weihnachten kann kommen. Neue Geschichten. Hg. v. Susanne Gretter. Suhrkamp, Berlin 2013. 226 Seiten, 8 Euro. Die Kurzgeschichte stammt von den Seiten 101 bis 112. Mehr zu Buch.