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Buch der Woche

Weihnachten während des Ersten Weltkriegs

Fast hundert Jahre lang blieben sie in privaten Händen, unveröffentlicht, dann fanden sie den Weg ins Deutsche Tagebucharchiv. Jetzt sichteten Lisbeth Exner und Herbert Kapfer, unterstützt von den Mitarbeitern des Archivs, für diesen Band erstmals die dort lagernden ca. 240 Tagebücher aus der Zeit zwischen 1914 und 1918 und komponierten aus den dafür geeigneten die Verborgene Chronik, eine Art kollektives Tagebuch des Ersten Weltkriegs.

19.12.2014

Donnerstag, 24. Dezember 1914

Otto Gehrke, bei Rouvroy (Frankreich)

Heute, am Heiligen Abend, Minentragen. Wetter trübe. 5.30 Uhr Abmarsch. Besuchen erst den Gottesdienst. Fünfmal müssen wir gehen, um zwanzig Granaten abzuholen. Um 10 Uhr entwickelt sich starkes Feuergefecht. Vier Granaten schlagen dicht hinter uns ein. Noch mal Glück gehabt. Sehr finster geworden, kommen vom Wege ab, versinken bis an die Knie im Morast. Kalt.

Hilde Grapow, Kassel

Man kann sich gar nicht recht denken, dass heute schon Weihnachten ist. Es ist einem gar nicht so zumute, man muss zu viel an unsre Soldaten im Felde denken. Die armen Kerls, wie werden sie sich heute besonders nach Hause sehnen! Wie werden sie Weihnachten im Feindesland feiern!? Hoffentlich geben die Feinde mal etwas Ruhe, aber das werden sie wohl gerade nicht tun! Wollen hoffen, dass nächste Weihnachten schon lange »Frieden auf Erden « ist! Wenn der Krieg nur bald zu Ende wäre!

Richard Piltz, Louvigny, Elsaß- Lothringen

Kontrollierte bis 3 Uhr die Stellungen des II. und III. Bataillons. Man befürchtet während der Weihnachtstage einen Angriff der Franzosen. Für die Weihnachtsbescherung waren vom Pionierverein Magdeburg für etwa 700 Mark (schätzungsweise) Liebesgaben eingetroffen. Außerdem große Pakete vom Magistrat von Roßlau, Täubrichs Heimatstadt. Leider konnte eine einheitliche Feier nicht veranstaltet werden, da Pein mit halbem Zug in Secourt (10 km), Hohnberg mit einem Zug in Vigny (5 km) haust. Nur die reichliche Hälfte der Kompanie liegt in Louvigny und noch dazu in sieben Quartieren. In Vertretung von Täubrich, der in Verny bei Exzellenz von Hoffmeister feierte, besuchte ich in diesen sieben Quartieren die einzelnen Feiern. Überall war ein geschmückter Christbaum angezündet, überall wurden Weihnachtslieder, die teilweise vorher eingeübt waren, auch Sologesänge vorgetragen. Die Stimmung war vielfach ernst, man sah manche Träne im Auge, aber auch heiter, besonders bei den Rekruten. Bei meiner Rückkehr begleiteten mich Busse, Dr. Kehding, der Kompaniefeldwebel und Unterzahlmeister Jordan. Um 8 Uhr zündeten wir in meinem Quartier unseren Baum, die Lichter auf dem Kamin und einige über meinem Himmelbett angebrachte Lampions an. Wir bescherten dabei unsere Burschen. Der Meinige erhielt eine Mundharmonika, eine Shagpfeife, ein Paket Tabak, ein Taschentuch und ein Stück Heimatstollen. Nachher aßen wir schlemmerhaft von den Herrlichkeiten, die ich von zu Hause erhalten hatte. Die vielen Lichter heizten hierbei so gut ein, dass wir bald 27° C im Zimmer hatten. Später gingen wir ins »Kasino «, wo wir mit den Herren der Infanterie bei Bier, Punsch, dann wieder Bier zusammensaßen. Regimentsadjutant Hille unterhielt die Gesellschaft mehrere Stunden mit seinen launigen, schlagfertigen Späßen und Vorträgen (Akrobat, Detektiv am Fernsprecher, Marktschreier, alte Frau Großmann etc.).

Josef Glaser, Spasskoje (Russland)

–30° C, sonnig. Wegen rheumatischer Schmerzen nicht geturnt und nicht ausgegangen. Der Ausgang ist seit Eintreffen der neuen Wachmannschaft sehr erschwert. – Russische Telegramme: Die Garnison von Przemys ´ l hat neuerdings Ausfälle unternommen, die zurückgeschlagen wurden. Der deutsche Kronprinz soll durch eine Gewehrkugel verwundet worden sein. Im Westen benutzen die Verbündeten den Umstand, dass die Deutschen viele Truppen nach Osten geschafft haben, zu einer siegreichen Offensive. Gerüchtweise verlautet, dass China an Russland den Krieg erklärt habe und Warschau gefallen sei. – Für eine Weihnachtsfeier größeren Stils war wenig Neigung vorhanden. Die meisten ziehen es vor, auf ihren Zimmern eine schlichte Feier zu veranstalten. Durch das Entgegenkommen des russischen Oberstleutnants und die Liebenswürdigkeit des Apothekers waren wir in den Besitz einiger Tannenbäumchen gelangt. Fähnrich Matzner gelingt es, mithilfe Melcharts den unglücklichen Wuchs unseres Bäumchens zu verbessern, so dass er sich in dem reichen Kerzenschmuck noch ganz stattlich ausnimmt. Die alten Weihnachtslieder ›O Tannenbaum‹ und ›Stille Nacht‹ werden gesungen, nachdem die Lichter angesteckt worden sind. Der Menagemeister überrascht uns durch Überreichung eines Nussstollens nebst eines Tellers mit Äpfeln und Nüssen. Die letzte Flasche Rum wird entkorkt, aber es wird wenig getrunken. Die Stimmung bleibt ernst, jeder ist mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, die sich mit den im weiten Westen weilenden Angehörigen beschäftigen. Nach kurzen Besuchen in den übrigen Zimmern, in denen es teilweise recht festlich zugeht wie bei Gruppe Preis, wo Rum und Kognak in bedeutender Menge zu haben ist, beschließen wir den Weihnachtsabend. Hoffentlich ist es der erste und letzte, den wir in Ost-Sibirien gefeiert haben.

Clara und Josephine Bohn, Ingersheim, Elsaß- Lothringen

Weihnachten wurde in stiller Weise gefeiert. In der Nacht fanden im Kaysersbergtal Bajonettkämpfe statt. Die Sanitäter wurden aus der Weihnachtsmesse alarmiert. Sie mussten auf den Buchenkopf, um die Verwundeten zu sammeln.

Paula Busse, Bensberg bei Köln

Welch ein Fest dieses Jahr, wohl das schwerste Weihnachtsfest meines Lebens! Ich lag fassungslos über das Sofa geworfen, von Weinen geschüttelt und nebenan im Zimmer der Jubel der Kinder.

Franz Xaver Hiendlmaier, Z?otniki (Russisch- Polen)

Morgens 4 Uhr sofort antreten. Eine Stunde Marsch, zurück ins Quartier. Heiliger Abend Wache. Im Quartier ständige Gefechtsbereitschaft. Um 12.30 Uhr mussten wir erste Gruppe Wache aufziehen. Wache am Dorfeingang. Kein Brot, keine Post. Schmutz auf den Straßen beispiellos. Dorunger, Forster, Gu?ß, Gut und ich legen Balken und Bretter, um als Posten nicht im Schmutze zu stehen. – Am Abend: Wir ließen es uns nicht nehmen, ein kleiner ärmlicher Christbaum wurde zurechtgemacht, und gerade an diesem Tage kam uns allen so voll und ganz die Sehnsucht nach der Heimat.

Meta Iggersheimer, Amberg

Kriegsweihnacht, welch eigentümliche Stimmung! Unsere lieben Tapferen draußen im Schützengraben vor dem Feind. Das rechte Zeichen der ernsten Zeit: Ein winzig kleines Bäumchen schmückt den reichen Gabentisch. Wie viele werden diesen Abend ihr ganzes Leben nicht vergessen, wenn der Platz eines Teuren vielleicht für immer leer ist!

Adolph Mathaei, Cuxhaven

Oskars Schweigen erklärt sich nach seinem heute eingetroffenen Brief vom 20. Dezember daraus, dass er am 16. den Angriff auf Hartlepool, bei dem die Engländer ca. hundert Tote und mehr als vierhundert Verwundete hatten, mitgemacht, im Anschluss daran in der Nordsee Wachdienst gehabt hat. Der Roon ist nicht eigentlich im Gefecht gewesen, während das Nebenschiff einen englischen Torpedojäger vernichtete. Doch meint Oskar, dass dem Roon zwei Torpedoschüsse gegolten haben, denen das Schiff durch rasches Drehen ausgewichen ist.

Karl Groppe, bei Brimont am Aisne-Marne- Kanal (Frankreich)

Rücken um 5 Uhr aus nach dem Schützengraben. Die meisten Kameraden sind mit dem Los, Weihnachten im Schützengraben, zufrieden. Die Gedanken weilen natürlich in der Heimat, wo wohl so mancher bei der Weihnachtsfeier fehlt.

Friedrich Link, bei Hirzbach, Elsaß- Lothringen

Wir haben uns sechs Christbäume mitgenommen, für jeden Unterstand einen. Wir feiern unter Gesang schöne Weihnachten im »engeren Kreis«! Bei der 3. Kompanie spielt ein Hornist wunderschön zu den Franzosen hinüber ›Stille Nacht‹. Diese lauschen andächtig. Bis in tiefe Nacht hinein hört man aus allen Stellungen Gesang am Telefon. Ich unterhalte viele durch Mundharmonika.

Georg Becker, Tourcoing (Frankreich)

Um 4 Uhr begann die Feier für unsere Verwundeten. Die Pfarrer hatten sich auf die einzelnen Lazarette verteilt. Für uns besorgte Pfarrer Aufhausser die Ansprachen. Auf den drei Sälen sprach er in so warmer, unmittelbarer und vaterländischer Weise, dass auch wir Protestanten von den Worten des Katholiken gepackt wurden. Die Weihnachtsbotschaft heißt bei den Katholiken: Frieden allen, die eines guten Willens sind. In jedem Saal brannte ein Christbaum und waren für die Kranken reichlich Liebesgaben ausgebreitet. Der Trompeter Küstner, der wegen eines leichten Kniestreifschusses hier behandelt wurde und mit drei anderen am Montag dienstfähig zur Truppe zurückkehren soll, begleitete das ›Stille Nacht, heilige Nacht‹ mit seiner Trompete. Um 7 Uhr war dann in dem großen Saal unseres Lazaretts, der geräumt worden war, die Feier für das ganze Kriegslazarettpersonal, etwa 250 Personen. Auf der Bühne saßen die Schwestern, die mit dem Gesang ›Es ist ein Ros’ entsprungen‹ das Fest eröffneten. Dann hielt Schönborn die Weihnachtsrede, ernst und packend. Das Hasslied gegen die Engländer führte er an dem Fest des Friedens zum Teil an. Henn hielt die Rede auf den Kaiser, den Kaiser von Österreich, König von Bayern mit seinem Heldensohn und die übrigen Bundesfürsten. Wenn sein Bild mit der Familie, die einen Eindringling abwehrt und in der schon der Säugling in der Wiege durch Schreien sein Missfallen zu erkennen gibt, etwas hinkte, so riss er durch sein markiges, den Riesensaal füllendes Organ alle mit fort. Der kunstvolle Gesang der Sanitäter ›Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre‹ in Beethovens Vertonung und vor allem der gemeinsame Schlussgesang der ›Wacht am Rhein‹ wirkten erhebend. Die Liebesgaben waren in großen Mengen eingegangen. Jeder konnte Wollsachen, Zigarren, Hosenträger, Briefpapier erhoffen. Sogar die Offiziere erhielten ihre Päckchen, jeder eine gestrickte Jacke und eine Kiste Zigarren. Die Mannschaft musste um 9 Uhr wie gewöhnlich zu Hause sein, wie man überhaupt besondere Vorsicht walten ließ, um vor einer Überrumpelung sicher zu sein.

Jakob Krebs, Lens (Frankreich)

Beim Pferdebewegen reiten wir heute nach Saint-Auguste. Beim 1-Uhr-Appell werden Weihnachtsgeschenke an die Mannschaften verteilt. Ich erhalte ein Paar Socken, eine kleine Tabakspfeife, einen Tintenstift, ein Päckchen Tabak und Lebkuchen. Außerdem erhält jeder Wagen noch etwa vier Liter Wein, fünfzig Zigarren, etwas Rum und eine Schachtel Konfekt. Wie viele Hände müssen sich da geregt haben, um dies alles herzustellen. Beim 5-Uhr-Appell gehen noch einige feindliche Granaten hinter die Kaserne. Für den Abend rechneten wir bestimmt auf einen Angriff, aber es bleibt alles ruhig. – Weihnacht in Feindesland, der Himmel ist klar, es friert schon am Abend. Der Mond im ersten Viertel beleuchtet mit seinem matten Licht die Landschaft. Friede auf Erden, fast könnte man glauben, es sei so, aber bei gutem Aufhorchen hört man ganz fern in der Gegend von Ypern den dumpfen Donner schwerer Geschütze. Wir machen uns einen Glühwein, zünden unser Miniaturbäumchen an und lesen dann unsere Blätter und Bibelschriften. Gegen 9 Uhr kommen Leutnant Weiser und Offizierdiensttuer Weizsäcker, um kurz mit uns Weihnachten zu feiern. Leutnant Weiser hält eine kleine Ansprache. Wir singen zusammen das Weihnachtslied, worauf die Herren die nebenliegenden Wagen besuchen. Weilten vorher die Gedanken eines jeden in der Heimat bei den Lieben, so schlägt nach dem Besuch der Herren die Stimmung um, wir trinken noch einige Flaschen Wein und singen patriotische Lieder. Nochmals horchte ich draußen, aber es bleibt alles ruhig. Aus allen Mannschaftsstuben ertönen Weihnachtsund Heimatlieder, die erste Weihnacht in Feindesland.

Marie Peter, im Lazarettzug bei Karlsruhe

Feierten Weihnachten auf dem Bahnhof in Karlsruhe. Der Weihnachtsbaum brannte im Zug. Es war recht feierlich, ›Stille Nacht‹ gesungen. Frau Oberin hat den Weihnachtstisch sehr schön aufgebaut. Es war nur schade, dass man alles so schnell abräumen musste, bei der Fahrt ist alles umgefallen.

Siegfried Eggebrecht, Trosly- Loire (Frankreich)

Am Vormittag immer noch an der Predigt geschrieben. Zur freudigsten Überraschung kam ein Brief von Gertrud. Als dann um ½ 6 Uhr in der Kirche von Trosly- Loire der Lichtbaum erstrahlte und der Chor der Sanitäts- Kompanie das ›Stille Nacht, heilige Nacht‹ sang, das packte tief. Und kurz darauf jagte das Auto der Feld-Fliegerabteilung mit mir nach Château Nogent. In der kleinen Schlosskapelle fand hier eine ganz schlichte Feier statt. Was mochte in jener Stunde durch das Herz der Männer gehen, die eben von einem Flug über Villers Cotterêts Bomben geworfen hatten mit vierzehn Treffern?! Fein und solid war der Ton. Eine nette Feier mit Christbaum hatte der Hauptmann noch bei den Mannschaften eingeleitet, bei der einer das EK 2 bekam: Hauptmann Sollmüller. Das Grammophon lassen wir durchs Telefon bis nach den Schützengräben spielen. Das Konditorgeschenk: ein Flugzeug aus Zuckerguss.

Freifrau von Wertheim, Coburg

Der Heilige Abend war ja ganz nett, aber ohne Seele. Fräulein Meißner war hier. Die Großen waren glücklich über ihre Schneeschuhe, das war ihr Hauptgeschenk, Hans-Georg einen Panzer mit Helm, Säbel und Gewehr, Muschichen Schmuckkästchen, Bücher, Thilochen Schaukelpferd, Leiterwagen, Eisenbahn, Erimänni lauter Klappergegenstände. Erilein richtete sich an dem Abend zum ersten Mal ohne Stütze allein mitten im Zimmer auf seine su?ßen krummen Beinchen. Er kann auch einige Schritte allein gehen, wenn er es aber merkt, fällt er um.

Erwin Schreyer, Berlin

Heute war Heiligabend. Großmama kam. Ich erhielt zur Bildung des Geistes zwei schöne Bücher: ›Deutschlands Seemacht‹ und ›Im Schlachtgetümmel des Weltkriegs‹. Für den Humor war durch ›Lachpastillen‹ und ›Mephisto- Scherze‹ gesorgt. Für frohen Wandergesang erhielt ich den ›Zupfgeigenhansl‹. Ein Baukasten ›Orient‹ wird wohl das letzte Spielzeug bilden. Außerdem zierte eine Uhrkette sowie ein Hosenträger den Weihnachtstisch.

Hedwig Vogel, Berlin

Unser Weihnachtsfest war entzückend schön trotz des Krieges. Die Weihnachtsstube sah so friedlich und behaglich aus, die Kinder spielten so froh, und unser Christbaum war so wunderschön, dass wir ganz darüber Krieg und Kriegsgeschrei vergaßen. Gotthard machte einmal seinem überquellenden Herzchen Luft, indem er jauchzte: »Mutti, ich freue mich tot über Weihnachten! «

Quelle: Lisbeth Exner/Herbert Kapfer: Verborgene Chronik 1914. Herausgegeben vom Deutschen Tagebucharchiv. Galiani Verlag, Berlin 2014. 416 Seiten, 25,70 Euro