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Die Königin der Blumen

Titelthema - Die Königin der Blumen
Entrückt vom Duft der Rosen ist die junge Frau auf dem Gemälde Die Seele der Rose von 1908. Es stammt vom britischen Künstler John William Waterhouse, der sich für seine Werke inspirieren ließ von den Erzählungen der Romantik- © foto: by courtesy of julian hartnoll/bridgeman images

Die uralte Geschichte der Rose erzählt von Stärke, Symbolik und Beständigkeit. Geliebt und kultiviert wurde sie nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Asien.

Peter E. Kukielski01.08.2022

Ist es nicht erstaunlich, dass Fossilien einer Rose ihre Existenz vor 35 Millionen Jahren bewiesen haben? Abertausende Pflanzen und Tiere sind in dieser Zeit ausgestorben, doch die Rose hat Beharrlichkeit bewiesen, sich angepasst und entwickelt. Es ließe sich ein ganzes Buch schreiben über die Rolle der Rosen in den antiken Kulturen des Nahen und Mittleren Ostens. Kleopatra schätzte sie ebenso wie Alexander der Große. Doch weniger gut ausgeleuchtet als die Geschichte der Rosen im alten Rom, im alten Griechenland, in Ägypten und im Zweistromland ist die Bedeutung und Kultivierung der Rose in Asien. Darum soll es in diesem Artikel gehen, aber nicht, ohne einen Blick darauf zu werfen, wie sie über die Jahrtausende hinweg überlebt und überdauert hat.


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Die frühe Geschichte der Rose oder ihrer ersten Züchtungen ist ein Rätsel. Die Blätter der meisten Rosenarten sind schwer zu identifizieren, da das dünne, zerbrechliche Blattgewebe leicht zerfällt und nicht ohne Weiteres in Fossilien erhalten werden kann. Daher gibt es keine Aufzeichnungen über Millionen von Jahren, in denen die Existenz der Rose nachgewiesen wurde. Einige Ethnobotaniker glauben, dass die Rose vor etwa 70 Millionen Jahren in Zentral asi en entstanden sein könnte. 35 Millionen Jahre alte Fossilien aus dem heutigen US-Bundesstaat Colorado liefern Paläontologen jedenfalls Beweise für die Existenz von Rosen zu dieser Zeit.

Die Mutter aller Gärten

Auf der anderen Seite der Welt wird ein Hotspot der biologischen Vielfalt im Südwesten Chinas erforscht. Viele große Gartenpflanzen haben sich aus wilden Vorfahren entwickelt, die in dieser Region heimisch sind: die Azalee, die Kamelie, die Lilie und die Rose. China ist gegenwärtig das Zentrum der Diversifizierung von Rosen. Einigen Quellen zufolge gibt es etwa 200 Arten, die in den gemäßigten und subtropischen Regionen der nördlichen Hemisphäre weitverbreitet sind. Davon sind 95 Arten in China beheimatet, von denen 65 endemisch sind. Diese Region wird von verschiedenen Pflanzenkennern, Rosenliebhabern wie mir und Gartenbauern treffend als „Mutter der (Rosen-)Gärten“ bezeichnet.

Viele Pflanzenarten sind während der dramatischen Klimaveränderungen seit dem Pliozän (vor 5,33 bis 2,58 Millionen Jahren) in Europa ausgestorben oder wurden auf kleine Regionen beschränkt. Die komplexe Topografie im Südwesten Chinas könnte jedoch dazu beigetragen haben, das Überleben vieler Pflanzen, darunter auch Rosen, vor den Klimaveränderungen zu schützen, indem sie es Pflanzengemeinschaften ermöglichte, im Laufe der Jahrhunderte in Regionen mit geeigneteren Umweltbedingungen abzuwandern. Der Ursprung der heutigen Vielfalt der Rosen in China fällt jedenfalls mit der Hebung des Qinghai-Tibet-Plateaus im Himalaya zusammen. Das genaue Muster und der Zeitpunkt dieser Landverschiebung sind zwar nicht bekannt, aber die Geologie der Region hat die Topografie und das Monsunklima stark beeinflusst und somit zur Diversifizierung der Arten beigetragen.

Erste Aufzeichnungen

Erste Geschichten über die Rose tauchen in verschiedenen Kulturen ab etwa 3000 v. Chr. auf. Konfuzius (551–479 v. Chr.) schrieb über die Bedeutung der Rose für die chinesische Kultur. Innerhalb dieser Geschichte war die Zhou-Dynastie (1046–256 v. Chr.) das bisher am längsten bestehende Haus. Konfuzius schrieb, dass der Kaiser Rosen sehr schätzte und sie in den königlichen Gärten Chinas anpflanzte. Auch während der Han-Dynastie (206 v. Chr.– 220 n. Chr.) war der Anbau von Rosen weitverbreitet. Erst später im 19. Jahrhundert wurden chinesische Rosen (Rosa chinensis) in die westlichen Länder eingeführt, und es entstanden die sogenannten modernen Rosen.

Die Provinz Faristan in Nordpersien gilt als Geburtsort der kultivierten Rose. Später verbreitete sie sich über Mesopotamien und schließlich bis nach Griechenland. Faristan war das weltweite Zentrum für die Produktion von Rosenwasser, das in die ganze Welt exportiert wurde. Die Kalifen, die obersten muslimischen zivilen und religiösen Herrscher in Bagdad, erhielten 30.000 Flaschen Rosenwasser aus dieser Region. Die Blütenblätter, das Öl und die Essenz der Rose wurden nicht nur als Parfüm verwendet, sondern auch in Lebensmitteln sowie für medizinische und religiöse Zwecke genutzt.

Seit mehr als 5000 Jahren sind in China und Persien natürlich duftende Rosensorten beheimatet. Die elegante einblättrige iranische Rose, die in Kasmar in der Nähe von Kaschan wächst, besitzt einen solch exquisiten Duft und wird ausschließlich wegen ihres Öls angebaut. Touristen können die traditionelle Ölgewinnung aus der Blüte beobachten. Mesopotamische Tafeln und Krüge zeigen, dass die Kunst der Gewinnung von Parfüm bis 3500 v. Chr. zurückreicht. Um die Rosendüfte und -aromen freizusetzen, wurde und wird kochendes Wasser verwendet. Die Assyrer wurden für diese Methode berühmt.

Wie die Rose ihre rote Farbe bekam In der persischen Poesie wird die Rose häufig erwähnt. Die Nachtigall ist ein Objekt der Sehnsucht und Verehrung für die Rose. Ihre Huldigung wird in der modernen Version von Oscar Wilde schön und traurig dargestellt. Omar Chayyam, der persische Dichter und Philosoph aus dem 11. Jahrhundert, der das berühmte Rubaiyat schrieb, war ein leidenschaftlicher Rosenliebhaber und sagte einem seiner Schüler, dass sein Grab „an einem Ort sein wird, wo der Nordwind Rosen darüber streuen kann“.

2022, titelthema, Peter E. Kukielski
"Die schönsten Rosen tragen die schärfsten Dornen." Ovid © Illustration Rose: Cyprian Lothringer

Die Legenden erzählen, wie die rote Rose ihre Farbe erhielt. Ursprünglich waren sie alle weiß. Die Nachtigall sah die Rose und verliebte sich in sie. Zu diesem Zeitpunkt krächzte und zwitscherte die Nachtigall wie jeder andere Vogel, aber die Liebe der Nachtigall war so intensiv, dass sie zum ersten Mal zu singen begann. Schließlich drückte sie sich so fest und innig an die Blume, dass die Dornen ihr Herz durchbohrten und ihr Blut der Rose für immer die Farbe Rot gab. Auch asiatische Schriftsteller dieser Zeit stellen die Nachtigall als eine Person dar, die sich nach der Liebe der Rose sehnt.

Der zoroastrische Text Bundehesch spricht sowohl von „hundertblättrigen“ Rosen als auch von einer „Hundsrose“ und erwähnt, dass die Rose nur dann Dornen bekam, wenn das Böse in der Welt erschien. Dahinter steht der Gedanke, dass die Verlockung der Rosen den Enthusiasmus des Lebens darstellt und ihre Dornen Herausforderungen symbolisieren. Saadi, ein persischer Dichter, nannte seine berühmte Sammlung moralischer und religiöser Gedichte Golestan oder „Rosengarten“, um die Freude und Einsicht anzudeuten, die sie dem Leser bringen würde.

Rosenmotive an den Wänden des Taj Mahal

Eine bei den Türken und Persern verbreitete Legende besagt, dass die Rosen aus den Schweißtropfen Mohammeds geboren wurden – eine Geschichte, die sowohl Ursache als auch Folge der zunehmenden Beliebtheit der Rosen war. Nach der Legende löste die Rose die Lotusblume als Königin der Blumen ab. Dieser Status ist ein Hinweis auf die Bedeutung der Rose im Islam. Im Nahen Osten wurde sie zum Symbol für Treue und beständige Zuneigung, die sogar über den Tod hinausreichte. In den muslimischen Ländern war die Rose so heilig, dass eine von Ungläubigen entweihte Moschee nur gereinigt werden konnte, indem sie vollständig mit Rosenwasser gewaschen wurde.

Schon im alten Indien standen Rosen symbolisch für Reinheit und spielen in den religiösen Traditionen Indiens bis heute eine wichtige Rolle. Dies zeigt sich in den Rosengirlanden, mit denen Statuen und Gurus geschmückt sind. Ein weiteres Beispiel sind die Rosenkreuz-Symbole, die in den Tempeln der sumerischen und ägyptischen Priester zu finden sind.

In der Geschichte gibt es mehrere Belege für die Existenz der Rose in Indien, die darauf hinweisen, dass sie ein wichtiger Bestandteil der sozialen, medizinischen, kulturellen und religiösen Struktur des Landes war. Berichten zufolge wurde Kaiser Shahjahan, der berühmte Mogulherrscher Indiens, mit einer roten Rose symbolisiert und hinterließ ein großartiges Erbe an Bauwerken. Sein bedeutendstes Bauwerk war der Tadsch Mahal. Zahlreiche Rosenmotive zieren seine Wände.

Rosen für die Elefanten

In den ältesten sakralen und spirituellen Werken der Zend-Avesta, in den Lehren des alten Persiens und des Sanskrit, in den großartigen Aufzeichnungen des alten Indiens, spielt die Rose immer eine symbolische Rolle bei der Erschaffung der Welt und der Menschheit.

Die Legende besagt, dass die beiden Götter Brahma, der Schöpfer, und Vishnu, der Beschützer und Bewahrer des Lebens, die im Himalaya wohnten, darüber stritten, welche die schönste Blume sei – Brahma favorisierte die Lotusblume, Vishnu die Rose. Nachdem Brahma Vishnus himmlische Laube voller duftender Rosen gesehen hatte, räumte Brahma die Vorherrschaft der Rose ein. Die Legende besagt, dass Vishnu, der oberste Gott Indiens, seine Braut Lakshmi aus 108 großen und 1008 kleinen Rosenblättern wachsen ließ. So wurde die Rose zu einem Symbol der Schönheit. Und: Rosen wurden von dem Mönch Vatsyayana Mallanaga erwähnt, der zwischen dem 1. und 3. nachchristlichen Jahrhundert das Kamasutra schrieb.

Jahrhunderte war das Vijayanagar-Reich eine der größten Dynastien Südindiens, und aus den Berichten vieler Reisender geht hervor, dass Rosen für das tägliche Leben sowohl der Adligen als auch der einfachen Bürger von grundlegender Bedeutung waren. Abdur Razzak, ein muslimischer Diplomat aus Persien, der den königlichen Hof im Jahr 1443 besuchte, schrieb: „Rosen werden überall verkauft. Diese Menschen könnten ohne Rosen nicht leben, und sie betrachten sie als ebenso notwendig wie Lebensmittel.“ Domingo Paes und Fernaz Nunis, zwei portugiesische Reisende, die um 1537 nach Indien kamen, berichten von Rosenplantagen, Basaren, auf denen mit Rosen beladene Körbe verkauft wurden, und Gärten des Adels, in denen Rosenpflanzen in Hülle und Fülle wuchsen. Männer und Frauen schmückten sich gleichermaßen mit Rosen. Der König verrichtete seine Morgengebete auf ihren Blättern und ließ täglich weiße Rosen auf seine Lieblingsanhänger, Elefanten und Pferde regnen, die alle mit Rosenkränzen geschmückt waren. In Beschreibungen der Säulen und Wände des königlichen Schlafgemachs heißt es: „An der Spitze waren Rosen aus Elfenbein geschnitzt.“

So teuer wie Gold

Als die Briten im 17. Jahrhundert als Handelsgesellschaft namens East India Company nach Indien kamen, legten ihre Schiffe, die von China aus Waren nach England transportierten, im Hafen von Kalkutta einen Zwischenstopp ein. Zum Handel gehörten im Laufe der Zeit auch Pflanzen, darunter Rosen, die im örtlichen Botanischen Garten von Howrah gelagert wurden. Die Pflanzen wurden in diesem Garten, der 1793 von Sir William Roxburgh gegründet worden war, ausgepflanzt. Eine dieser Pflanzen war die legendäre Rose „Fortune’s Double Yellow“ sowie andere Pflanzen aus China und frühe Teesorten.

Unter den vielen Rosenprodukten Indiens ist das Rosenöl das wichtigste. Dieses Öl wird in einer Vielzahl von Produkten und Kosmetika verwendet und verleiht Getränken einen besonderen Geschmack. „Ruh Gulab“ wird auch in der indischen Medizin verwendet, und in der indischen Küche findet man Rosenöl in Rosenessenz, Rosensirup, Rosenbrause, Rosenwein, Rosenlikör, Rosenhonig und Hagebuttenkonfitüre. Im nordöstlichen Bundesstaat Manipur werden riesige Hagebutten der Rosa gigantea auf den Märkten zusammen mit anderem Obst und Gemüse verkauft.

Bulgarien, Marokko, Frankreich und Indien sind die wichtigsten Erzeugerländer für Rosenöl. Indien verwendet „Rosa damascena“ und „Rosa borboniana“ zur Herstellung von Rosenöl. Es wird durch Wasserdampfdestillation von Rosenblüten gewonnen, die sehr früh am Morgen gepflückt werden. Das erste Produkt ist Rosenwasser, und aus dem Wasser wird über Tage hinweg Rosenöl in winzigen Mengen gewonnen. Für die Herstellung von zehn Gramm Rosen-Attar werden 4000 Kilogramm Blütenblätter benötigt. Sein stolzer Preis entspricht dem von zehn Gramm Gold – ist das nicht erstaunlich?


Buchtipps

 

Peter E. Kukielski, Charles Phillips

Rosen. Die Geschichte der Rose

Gerstenberg Verlag 2022,

256 Seiten, 32 Euro


2022, titelthema, Peter E. Kukielski, buchtipp
© Elisabeth Sandmann Verlag

 


Rosie Sanders

Rosen. Meisterin der Blumenkunst

Elisabeth Sandmann Verlag 2019,

144 Seiten, 20 Euro

 

Peter E. Kukielski
Peter E. Kukielski war Kurator des Peggy Rockefeller Rose Garden im New Yorker Botanischen Garten und entwarf den neuen Rosengarten „Royal Botanical Gardens“ in Burlington, Ontario/ Kanada.