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Rad-Fellowship

Einmal dabeisein

Rad-Fellowship - Einmal dabeisein
Symbolbild: So könnte er um die Ecke geschossen sein — unser Berichteschreiber und erfolreicher Teilnehmer an der rotarischen Rad-WM © Pixabay

Once in a Lifetime – meine Erinnerung an das Rotary-Cycling-Championship-Rennen 2022

05.09.2022

Lesen Sie hier den Bericht eines Teilnehmers der rotarischen Rad-WM:

Ohne die Distriktkonferenz wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, mich zum Rotary-Cycling-Championship-Rennen anzumelden. Aber es fand in der Nähe, in Bad Homburg, statt, die bei der Konferenz angebotenen "Championchips" mundeten vorzüglich und ich hatte mir ja eigentlich vorgenommen, in meinem Präsidentenjahr alles mitzunehmen. Auch das Format gefiel mir, eine Stunde im Kreis, also nie allein.

Über eine Woche wälzte ich meine Bedenken: zu alt, zu langsam und zwar an einigen Radtouristikfahrten teilgenommen, aber nie an einem Rennen. Ich überwand meine Bedenken und meldete mich an. Mein Ziel lautete: in einer Stunde 30 km fahren, das schien ambitioniert, aber erreichbar.

Zur Vorbereitung trainierte ich Tempohärte und hatte schon vor dem Rennen rund 2.500 km in den Beinen. Im Rahmen meiner Möglichkeiten war ich gut vorbereitet. Mein Rennrad Baujahr 2002 hatte ich durchgecheckt, die Kette geölt und alles schien gut.

Am Renntag selbst war ich total nervös. Am Vorabend bei der Anmeldung hatte ich die Räder der anderen Teilnehmer gesehen und mir schwante nichts Gutes. Außerdem fand anders als vorgesehen wegen geringer Teilnehmerzahl nur ein Rennen mit allen Altersklassen gemeinsam statt und vor meinem inneren Auge bretterten austrainierte 30-Jährige an mir vorbei. Vor lauter Nervosität vergaß ich meine Radhandschuhe zuhause, was mir erst beim Ausladen auffiel. Auch konnte ich zwar eine mitgenommene Banane essen, aber die ebenso eingepackten Energieriegel blieben unauffindbar bis zur Rückkehr in Hanau. Das ging ja gut los.

An der Strecke angekommen, musste ich feststellen, dass dort viel mehr Zuschauer waren, als ich erwartet hatte. Außerdem fiel mir auf, dass alle anderen Fahrer ihre Nummer auf den Taschen befestigt hatten, nur ich hatte sie auf Schulterhöhe befestigt. Schon klar, wer das zum ersten Mal gemacht hat. Dann entdeckte der Kontrolleur den von mir liebevoll am Lenker befestigten Transponder. Das sei viel zu hoch, durfte ich erfahren und schnipp, schnapp wurde der Transponder abgeknipst und korrekt unten an der Gabel befestigt. Alle schienen zu wissen, was sie zu tun haben, nur mir war das nicht klar. Brav ließ ich mich mit den anderen deutschen Fahrern ablichten und reihte mich beim Start möglichst weit hinten, rechts an der Bande ein, denn ich wollte niemanden behindern.

Das Startsignal ertönte und alles stürmte los — wie von Taranteln gestochen. So etwas hatte ich noch nicht erlebt. Nach kurzer Zeit fand ich mich als Letzter wieder, auch alle Fahrerinnen hatten mich überholt. Allein fuhr ich mit erheblichem Abstand den anderen hinterher. Am Ziel nach der ersten Runde zeigte mir mein Blick auf den Tacho eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 30,2 km/h. Tja, einerseits war das genau mein Plan, andererseits war ich damit der Langsamste. Schön blöd.

In der zweiten Runde sinnierte ich über "Sein und Zeit" —  nur, um zu der überraschenden Erkenntnis zu gelangen, dass auch Heidegger keine Orientierung in einem Radrennen bietet. Andererseits erblickte ich weiter vorn eine Gruppe von Radlerinnen, die mir offensichtlich doch nicht einfach davongefahren waren.

In der dritten Runde wurde ich das erste Mal von einem Pulk mit einem Höllentempo überrundet. Ich hielt mich brav rechts und dachte mir, dass sich ein Kiesel ähnlich fühlen muss, wenn der Bach über ihn hinwegschießt. Ich näherte mich der Radlerinnengruppe und fasste einen klaren Überlebensplan: Ich schnappe mir das Hinterrad der letzten Fahrerin, bleibe dran, fahre – soweit das geht – deren Tempo, werde Letzter aber nicht hoffnungslos abgehängt.

Gedacht, getan: Startnummer 15 war die erste Fahrerin, die ich erreichte. Ich nahm den Kopf runter und folgte stumpf ihrem Hinterrad. Eine gute Wahl, denn Nummer 15 fuhr gleichmäßig wie ein Motorrad in einem Steherrennen ihr Tempo. Und es war mein Traumtempo: knapp über 30 km/h.

So verging Runde um Runde. Nummer 15 grüßte entspannt Zuschauer, während ich mich möglichst klein machte, um nicht wahrgenommen zu werden als "Hinterradlutscher", denn genau das war ich, das war mir klar. Wie ein "Senior-Hundewelpe" trottete ich hinter ihr her und überlegte, ob wohl meine Dackelohren den Asphalt kraulen, so tief hielt ich meinen Kopf – zumindest gefühlt.

Nummer 15 fuhr in der Ebene und bergab schneller als ich, während mir der Anstieg leichter fiel, wo ich das immer wieder entstehende Loch zufahren konnte. So überstand ich die ersten 30 Minuten. Mein Schnitt lag bei 30,6 km/h, den Beinen ging es prächtig und mein Herz hatte sich an die ungewohnt hohe Belastung gewöhnt und versprach, keinen Ärger zu machen.

Leider wurde Nummer 15 etwas langsamer und der Schnitt sank stetig auf mein Zieltempo. Ich überlegte, was zu tun sei und fasste folgenden Plan: Nach 45 Minuten würde ich im Anstieg überholen, mich dann mit Windschatten revanchieren und natürlich im Zielanstieg Nummer 15 wieder den Vortritt lassen, alles andere wäre ja nun wirklich undankbar gewesen. Hinterradlutscher, die auf der Zielgeraden überholen, nennen sich auch Sprinter bei der Tour de France, damit konnte ich mich nun wirklich nicht vergleichen.

Wie geplant fuhr ich nach 45 Minuten neben Nummer 15 und bot den Windschatten an. Dieses Angebot wurde mit dem Hinweis "Ich mache mein eigenes Ding" deutlich abgelehnt. Auch das hatte ich also falsch eingeschätzt. Nun war guter Rat teuer: wieder zurückfallen lassen, wäre nicht gut gekommen, vor Nummer 15 fahren war offensichtlich unerwünscht, blieb nur die Flucht nach vorne: Ich gab Gas und fuhr die nächsten Runden Vollgas. Ich vermute, dass dies meine schnellsten Runden überhaupt waren, jedenfalls stieg der Durchschnitt wieder deutlich an.

Wenn man nichts verstanden hat, ist es nie zu spät, blöde Fehler zu machen. Ich hatte noch nicht einmal verstanden, wie lange das Rennen dauert. Mein Verständnis war, es zählt die letzte Runde, die man vor 60 Minuten beendet hat. So war ich unheimlich happy, meine vermeintlich letzte Runde nach 59:48 Minuten zu beenden und ließ nach dem Ziel ganz gemütlich ausrollen, bis mir die Hinweise der Zuschauer "letzte Runde, letzte Runde" klar machten, dass diese Runde auch noch zählt. Mein Schnitt war hin, ich gab noch einmal Gas und fuhr die Runde zu Ende.

Im Ziel angekommen, wollte ich mich bei Nummer 15 bedanken, die mir doch so viel Orientierung gegeben hatte, als ich sie dringend benötigte. Aber sie war immer noch "not amused" ob meines Verhaltens. Umso erfreuter war ich bei der Siegerehrung: Sie hatte in ihrer Altersklasse "Frauen unter 50" gewonnen. Beim Applaus habe ich alles gegeben, auch wenn sie dies sicherlich nicht bemerkt hat. Danach trat ich den Heimweg an.

Im Rückblick war es ein im wörtlichen Sinne einmaliges Event - mein erstes und einziges Rennen, letztlich eine für mich gute Leistung, ein schönes Trikot mit Medaille obendrein und eine Erkenntnis: Auch wenn Radrennen nichts für mich sind, ist die Cycling-Fellowship eine tolle Sache. Und Spenden für "End Polio Now" sind alle Anstrengungen wert.

Michael Feldhoff