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Wirtschaftspolitik

Das Märchen niedriger Strompreise mit fortschreitender Energiewende

Wirtschaftspolitik - Das Märchen niedriger Strompreise mit fortschreitender Energiewende
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Warum Strom aus Wind und Sonne durchaus etwas kostet und die Strombörse keine Entlastung bringt

Roland Farnung13.10.2023

Minister Robert Habeck, der Vollstrecker der von Gerhard Schröder und Angela Merkel begonnenen und von den "Grünen" perfektionierten Energiepolitik, fordert für die Industrie einen "Brückenstrompreis" von fünf bis sechs Cent pro Kilowattstunde (KWh) bis 2030. Der müsste von den Steuerzahlern subventioniert werden. Eine Verlagerung von Industrieproduktion und von Arbeitsplätzen ins Ausland soll damit vermieden werden. Mit dem Bild eines "Brückenstrompreises" bis 2030 erweckt Minister Habeck den Eindruck, dass danach diese Subventionen wegen niedrigerer Strompreise nicht mehr erforderlich sind.

Das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen in Zukunft mit viel höheren  Strompreisen rechnen.

Wie soll die neue Welt der Stromerzeugung nach der Energiewende im Jahr 2030 in Deutschland aussehen? Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke gibt es ebenso wenige wie Gaskraftwerke. Die Kernkraftwerke wurden schon vorher stillgelegt, obwohl sie im Jahr 2010 Emissionen von 160 Millionen Tonnen CO₂ vermieden haben. Die wichtigsten Stromerzeuger sind dann Wind- und Fotovoltaikanlagen, die allerdings keine gesicherte Leistung zur Verfügung stellen können. Deshalb soll in wind- und sonnenarmen Zeiten Strom mit ineffizienten offenen Gasturbinen produziert werden, die zunächst mit Erdgas, zunehmend aber mit grünem Wasserstoff, betrieben werden.

Der benötigte grüne Wasserstoff soll aus Überschussstrom von Fotovoltaikmodulen gewonnen werden. Wann und ob die dazu benötigten Elektrolyseure und die geeigneten Gasturbinen zur Verfügung stehen, ist heute offen. Die Lobbyorganisation Agora rechnet für diese Reserve-Stromerzeugung mit Kosten von 40 Cent pro KWh. Bei realistischeren Annahmen zu den Wirkungsgraden offener Gasturbinen kommt man eher auf 50 Cent pro KWh.

Die Erzeugung von Strom aus Wind und Sonne ist keineswegs kostenlos. Die Kapitalkosten spielen hier neben den Kosten für Planungsleistungen und Genehmigungen, für den laufenden Betrieb und für Versicherungsprämien eine entscheidende Rolle. Das wissen auch die Banken, die solche Projekte zum Teil oder komplett finanzieren sollen. Sie müssen prüfen, ob die Investoren die Kredite mit einer Laufzeit von 20 Jahren verzinsen und amortisieren können. Bei steigenden Stahlpreisen für den Bau von Windanlagen und steigenden Zinsen wird das in Zukunft nicht leichter. Es muss sehr zu denken geben, dass die letzten  Ausschreibungen der  Bundesnetzagentur für Windkraftanlagen nur zu etwa der Hälfte gezeichnet wurden. Deshalb hat das Wirtschaftsministerium die für zwanzig Jahre geltende Vergütung für Windanlagen an Land auf knapp 7,5 Cent pro KWh als Obergrenze für Ausschreibungen angehoben. Die Preise der meisten Zuschläge der Ausschreibungen liegen als sogenannter "anlegbarer Wert" in der Nähe dieser Obergrenze. Sollte der Preis an der Strombörse unter diesem Wert liegen, wird den Investoren diese  Differenz zu Lasten der Stromkunden erstattet. Ein für Investoren lukratives Geschäftsmodell und risikoarm für die Banken. Nach dem Energieeinspeisegesetz erhalten alle erfolgreichen Anbieter von Wind- und Fotovoltaikanlagen, auch die  früherer Jahre, zusätzlich noch die Differenz zu einem höheren Börsenstrompreis als sogenannte "Marktprämie" ohne jede Obergrenze erstattet – zu Lasten der Kunden. 

Derzeit liegt der die Kunden belastende Strompreis an der Börse bei etwa 10 Cent pro KWh.

Nach dem absurden "Merit Order Prinzip", das den Preis an der Strombörse nach dem unwirtschaftlichsten Stromeinspeiser bestimmt, stieg der Börsenpreis wegen der Preisentwicklung für Erdgas und damit der Kosten von Gaskraftwerken im Jahr 2022 auf über 50 bis 70 Cent pro KWh. Dem entsprechend explodierte die "Marktprämie" auch für alle regenerativen Erzeuger, die sich zu Lasten der Stromkunden eine goldene Nase verdienten. Die Lobbyverbände lehnten es ab, auf diese ungerechtfertigten Gewinne zu Lasten der Stromkunden zu verzichten.

Ob das heute schon untaugliche Preisbildungsmodell der Strombörse 2030 noch existiert und zu welchen Börsenpreisen es führen würde, wissen wir nicht. Klar ist aber, dass die Stromkunden auch in 2030 auf jeden Fall den bei den Ausschreibungen für 20 Jahre abgeschlossenen "anlegbaren Wert" für Strom aus Wind- und aus Fotovoltaikanlagen, die ebenfalls ausgeschrieben werden, einschließlich der Kosten für den Betrieb von Reservekapazitäten bezahlen müssen.

Der Preis für Windstrom aus Anlagen in der Nord- und Ostsee wird wegen der höheren Investitionskosten und der Kosten für die Einbindung in das Stromnetz höher sein als für Anlagen an Land. Nach letzten Erfahrungen dürften diese Stromerzeugungskosten nicht unter zehn Cent pro KWh liegen.

Nun zu den Kosten der Solarenergie. Voll einspeisende Dachanlagen werden nach den letzten Ausschreibungen mit bis zu 13 Cent pro KWh, im Durchschnitt mit knapp elf Cent pro KWh  für 20 Jahre vergütet, wobei die gleichen Spielregeln wie für Windanlagen gelten. Vergütungen für Freiflächen-Fotovoltaikanlagen liegen etwas niedriger. 

Nach den einschlägigen Studien von DIW, Agora und Fraunhofer soll das Verhältnis von Windkraft zu Fotovoltaik in Zukunft bei 60 zu 40 liegen. Danach kann man für die ungesicherte Erzeugung von Windkraft und Fotovoltaik im Durchschnitt von neun Cent pro KWh in 2030 ausgehen. Für die Herstellung des Reservestroms aus grünem Wasserstoff ist, wie bereits erläutert, mit 50 Cent pro KWh zu rechnen. Müssen nur zehn Prozent des Jahresstromverbrauchs auf diesem Weg produziert werden, erhöhen sich die Stromerzeugungskosten von neun auf etwa 13 Cent pro KWh. Hinzu kommen die enormen Kosten für Batteriespeicher zur Netzstabilisierung, wobei heute nicht klar ist, ob das technisch und wirtschaftlich machbar ist. Wir sind dann schnell bei 15 Cent pro KWh in 2030. Die Kosten der benötigten Gasnetzinfrastruktur für Wasserstoff sind dabei noch nicht berücksichtigt.

Die Kosten der Stromerzeugung sind nur ein Teil des Strompreises. Nach einer Veröffentlichung der Bundesnetzagentur betrug 2022 der Anteil der Stromerzeugungskosten 10,3 Cent pro KWh einschließlich der Kosten für Reservehaltung. Hinzu kommen die Kosten für den Stromtransport, für den Vertrieb und Gewinn, für Steuern und Umlagen sowie für die Konzessionsabgaben. Insgesamt führt das bei den Haushaltskunden derzeit zu einem Strompreis von ca. 36 bis 40 Cent pro KWh. 

Für den Industriestrompreis, wie auch für den Haushaltsstrompreis, spielen auch die Kosten für die Stromnetze eine entscheidende Rolle. Derzeit liegen sie bei acht bis neun Cent pro KWh.  Dieser Betrag wird 2030 wegen des massiven Netzausbaus, bedingt durch die neue Struktur der Erzeugung, erheblich höher sein.

Die Bundesnetzagentur rechnet für das Gelingen der Energiewende mit dem Bau von 14.000 km neuer Stromtrassen mit Investitionen von 128 Milliarden Euro. Das sei gerechtfertigt, weil regenerative Energieerzeugung angeblich konkurrenzlos günstig sei. 

Nach Darstellung der Fakten für die zukünftige Strompreisentwicklung ist ein Ende der von Minister Habeck geforderten Subventionierung eines Industriestrompreises von fünf bis sechs Cent pro KWh nicht abzusehen. Auch für Wärmepumpenbetreiber und Besitzer von Elektrofahrzeugen sind das keine guten Aussichten.

In der kürzlich ausgestrahlten Fernsehsendung "Plus-Minus" haben zwei namhafte Mittelständler berichtet, dass sie wegen des Strompreises bereits heute ihre Produktion in die Schweiz und nach Schweden verlagern. Der schwedische Bürgermeister wies in einem eingefügten Interview darauf hin, dass die Stromerzeugung in seinem Land zu 50 Prozent mit Wasserkraft und zu 50 Prozent mit Kernenergie erfolge. Andere Unternehmen aus Deutschland seien ebenfalls zu Investitionen in seinem Ort in Schweden eingeladen. 

In den USA liegen die Kosten der Stromerzeugung bei drei Cent, in China bei vier Cent pro Kwh und die stillgelegten deutschen Kernkraftwerke haben einschließlich aller Entsorgungskosten Strom für etwa zwei Cent produziert. 

Bei der von der Bundesregierung jetzt eingeschlagenen Energiepolitik handelt es sich praktisch um eine Operation am offenen Herzen der Gesellschaft mit erheblichen Risiken für deutsche Unternehmen und die hier befindlichen Arbeitsplätze.


Die daneben bestehenden großen technischen Risiken der Energiewende können dem folgenden Vortrag entnommen werden:Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.

 

Roland Farnung

 Roland Farnung, RC Murnau-Oberammergau, war über 26 Jahre Vorstand und Vorstandsvorsitzender, davon 13 Jahre in Aktiengesellschaften des Maschinenbaus und 13 Jahre in der Stromwirtschaft. Zuletzt war er bis 1998 Vorstandsvorsitzender der RWE Energie AG und Mitglied des Vorstands der RWE Holding.