Rotary Magazin Spezial Messe
Neue Konzepte gefragt
Eine Ära geht zu Ende: Die Cebit in Hannover, einstmals internationale Leitmesse der IT-Branche, wird es nicht mehr geben. Das wirft die Frage nach der Zukunft von Messen insgesamt auf
Das Aus für die Cebit sorgt für Entsetzen in der Branche. Jetzt wird neu gedacht: Die deutschen Messen suchen nach dem Fomo (Fear of missing out)-Faktor. Der MWC in Barcelona oder das SXSW in Austin/Texas sind die Vorbilder. Sie bieten Atmosphäre, Festivalfeeling, spannende Formate und lockeres Get-Together zum Netzwerken.
Das Mutterland der Messe ist in Unruhe, das Ende der einst weltgrößten IT-Messe Cebit in Hannover wirft ernste Fragen auf. Sind die deutschen Leistungsschauen dem Untergang geweiht? Oder reicht eine Renovierung der Messekonzepte?
Angesichts der seit Jahren sinkenden Besucherzahlen und diversen Nachjustierungen sollte die Cebit 2019 unter dem neuen Motto „stärkerer Fokus, mehr Emotionen“ als Business-Festival für Digitalisierung und Innovation ins Rennen gehen. Die Rettungsversuche erfolgten zu spät. Kamen zu Spitzenzeiten knapp 850.000 Gäste auf das Gelände, und war die Reise nach Hannover ein jährlicher Pflichttermin für Branchengrößen wie Bill Gates, so gab es diesen Sommer nach offiziellen Angaben lediglich rund 116.000 Besucher zu verzeichnen. Auch die Zahl der Aussteller stürzte von mehr als 7500 auf 3000 ab.
„Beutelratten“ vs. hochnäsige Profis
Als die Hannoveraner bemerkten, dass die Messe ein Problem hat, waren Schlüsselthemen wie die Telekommunikation, Consumer Electronics oder die Spieleszene schon abgewandert. Auch die misslungene Kombination von Fach- und Verbrauchermesse trug zum Besucher- und Ausstellerschwund bei. Die Businesskunden mokierten sich über die „Beutelratten“, die auf der Messe nach Informationen für das nächste Smartphone und Give-Aways suchten. Die Verbraucher ärgerten sich über die hochnäsigen Fachleute, die sich zu ihren Diskussionen in abgesperrte Messeareale verdrückten. Der Digitalexperte Sascha Lobo kritisiert, dass man bei der Cebit Erfolg immer nur in gebuchten Quadratmetern gemessen habe. Damit konnte man am Ende nichts erreichen: Aus Kostengründen schrumpften die Messestände auf finanzierbare Größe.
Aussteller und Besucher, denen es auf Image und Kommunikation ankam, blieben ganz weg und suchten nach neuen Destinationen – sie fanden zum Beispiel die SouthbySouthWest (SXSW). Dieses internationale digitale Zukunftsfestival ist weit über seinen Ursprung als Musikevent hinausgewachsen und macht inzwischen Furore als IT-Messe, Konferenz, Rockkonzert und Filmfestival. Themen wie Beauty, Food, Roboter, Ethik, Bloggen und Familie, ein knallbuntes Programm von Panels mit renommierten Gästen sowie eine coole Partymeile locken die Besucher trotz absurder Ticketpreise ab 445 Dollar. Mercedes hat hier mit der „meConvention“ sogar einen eigenen Subkongress am Start.
Neue Messe-Konzepte locken
Aber auch in Europa regt sich mit dem Mobile World Congress (MWC) in Barcelona eine neue Messe-Generation: Mehr als 2400 Unternehmen, über 3500 internationale Medienvertreter sowie Branchenanalysten und insgesamt 107.000 Besucher aus 205 Ländern besuchten das Highlight 2018. Es ist die neue Plattform für die Zukunft des Mobilfunks, künstliche Intelligenz und ein aufregender Wettstreit der Betriebssysteme. Gleichzeitig bietet der Kongress ein Forum für politischen Diskurs durch sein „Ministerial Programme“ und mit „Women4Tech“ ein Format für Genderthemen wie die Reduzierung der Geschlechterkluft und Förderung von Vielfalt.
Die Digitalisierung ersetzt schließlich nicht das Bedürfnis nach persönlicher Begegnung, nach gemeinsamen Erlebnissen gleichinteressierter Menschen. Im Gegenteil: Den Besuchern reicht es nicht mehr, Produkte anzuschauen, zu bestellen und Kontakte zu knüpfen. Sie wollen feiern, teilen, diskutieren, essen, lernen und fühlen. Sind deutsche Messen mit ihren klassischen Konzepten also eher ein Auslaufmodell?
Noch ist Deutschland der bedeutendste Messeplatz der Welt, immer noch sind hier fast zwei Drittel der Weltleitmessen zuhause: „Dieses Jahr fanden hier 178 nationale und internationale Messen mit einem Ausstellerplus von durchschnittlich 1,5 bis 2 Prozent statt. Mit rund 180.000 Ausstellern und zehn Millionen Besuchern sind sie Foren für Kommunikation und Innovation, die den Weltmarkt abbilden.“, versichert Harald Kötter, Pressesprecher des Verbandes der deutschen Messewirtschaft AUMA.
Einen beachtlichen Erfolg lieferte dieses Jahr die weltgrößte Video- und Computerspielmesse Gamescom in Köln mit 370.000 Besuchern und Ausstellern aus 56 Ländern. Highlights wie die Illumination des Kölner Rheinufers mit rund 7000 Leuchtstoffröhren oder die Verleihung der Gamescom Awards zum Abschluss der Messe täuschten aber nicht darüber hinweg, dass auch diese erfolgreiche Schau konzeptionell weiterkommen muss. Eines ihrer Probleme: die Wartezeiten. An vielen Ständen mussten Gamer stundenlang Schlange stehen, um die Spiele für nur einige Minuten probieren zu können. Zum Teil stellte sich auch erst nach der Wartezeit heraus, dass es gar keine Testversion, sondern nur längst bekannte Videotrailer zu sehen gab. Und wer sich in den Warteschlangen auf den Boden setzen wollte, wurde von einigen Standbetreibern zurechtgewiesen. Das sorgte für Frust statt für begeisterte Emotionalität.
Je konkreter, desto erfolgreicher
Global ganz vorne stehen vor allem die klassischen deutschen Leitmessen wie die Agritechnica in Hannover, die Inno-trans in Berlin und vor allem die Bauma in München. Für das kommende Jahr wird das weltgrößte Treffen der Bau maschinenbranche um 9000 qm erweitert. Trotzdem stehen immer noch 800 Unternehmen auf der Warteliste, Platz ist nur für 3400 Aussteller. Auch die Messe Nürnberg beklagt Platzprobleme: Erfolgreiche Messen wie die Biofach und die Spielwarenmesse haben längst nicht mehr genügend Standfläche, um alle Aussteller unterzubringen. Vor allem die Fachmessen, die sich über Jahrzehnte auf dem Markt etabliert haben, und deren Branchen keiner hohen Dynamik unterliegen, spüren kaum Veränderungsdruck. Hier funkti onieren die alten Konzepte noch. Und: Je konkreter das Thema zugeschnitten ist, desto erfolgreicher die Messe.
Dennoch ist es höchste Zeit, angesichts des rasanten Marktwandels neue Wege zu finden. Die Schwäche der europäischen IT- und Medien-Industrie hätte ein Warnzeichen auch für die Messeveranstalter in Hannover sein müssen. Zu Beginn der Cebit hatte Europa mit Nixdorf, Nokia, Siemens, Bull und Olivetti ambitionierte Hersteller von Computer- und Kommunikationstechnik. Heute ist die Branche in Europa nur noch ein Schatten ihrer selbst, der Cebit ist die industrielle Basis weggebrochen. Statt sich als Festival der digitalen Dienst- leistung neu zu erfinden, wird die Messe aufgegeben.
Nun soll die Cebit wieder in die Hannover Messe Industrie eingegliedert werden, aus der sie sich vor 33 Jahren fulminant gelöst hatte. Dieser Plan offenbart gleich das nächste Risiko: Die Industriemesse steht glänzend da, weil die deutschen Maschinenbauer und Industriekonzerne im Augenblick international noch als das Maß der Dinge gelten. Doch die Digitalisierung wird auch hier zu einer neuen Sortierung der Marktverhältnisse führen. Wird es den deutschen und europäischen Industrieunternehmen gelingen, die digitalen Plattformen im Geschäft zwischen den Unternehmen zu beherrschen? Wird die Industriemesse flexibel genug reagieren? Nur dann wird die Ausstellung in Hannover der globale Pflichttermin für die internationale Industrie bleiben.
IAA verlor 100.000 Besucher
Auch die anderen deutschen Messegesellschaften müssen sich dieser Herausforderung stellen. Selbst die IAA – Internationale Automobilausstellung in Frankfurt – ist nicht mehr heilig: Der Publikumsliebling verlor zuletzt mehr als 100.000 Besucher. Die Hersteller sehen ihre Autos längst nicht mehr als Maschinen, die dem Transport von Personen dienen. Sie sehen sie als digital vernetzte Garanten von Komfort und Mobilität, als Lieferanten von Daten und bewegter Heimat, als fahrende Smartphones. Deshalb präsentiert man sich heute lieber auf Shows in Las Vegas oder Shanghai, als unter dem Frankfurter Messeturm. Von der klassischen Automesse in Detroit haben sich Mercedes-Benz, Audi und BMW bereits abgemeldet, BMW hat auch seine Präsenz auf der IAA deutlich reduziert. Stattdessen ist Mercedes zum ersten Mal ausgerechnet als Hauptsponsor bei der SouthbySouthwest in Texas eingestiegen.
Interessant ist aber, dass den deutschen Messegesellschaften ausgerechnet im Ausland gelingt, woran sie im Inland oft scheitern. Die noch junge Biofach aus Nürnberg hat beispielsweise den großen Sprung geschafft und legte gerade einen glanzvollen Auftakt in Thailand hin. Die Messebesucher zeigten sich begeistert von der idealen Mischung aus Geschäftskunden- (Business to Business) und Verbraucher- (Business to Consumer) Kontakten sowie dem Themenspektrum der Konferenz mit dem Who-is-Who der Biobranche. Die dreitägige Schau wurde im gesamten südostasiatischen Raum als neuartige Informations- und Kommunikationsplattform wahrgenommen.
Mit 300 Auslandsmessen, 110 deutschen Ausstellern und acht Millionen Besuchern jährlich können deutsche Messen eine starke Präsenz vorweisen. Die Automechanika gibt es inzwischen schon in 16 Ländern. Ohne Internationalisierung geht in der Branche nichts mehr, denn sie hilft auch dem Geschäft auf dem Heimatmarkt.
Der Fomo-Faktor muss stimmen
Dennoch müssen im Inland neue Strategien entwickelt werden, um den dynamischen Veränderungen und Innovationen am Markt gerecht zu werden. Statt wunder Füße, teuren WLans und schlechtem Essen erwarten Aussteller und Besucher auch von den deutschen Messegesellschaften fröhliche, innovative und informative Veranstaltungen.
Da lässt sich in Austin oder Barcelona einiges abschauen: Auffallend sind das lockere Flair und die emotionale Bindung, die den Besucher mit auf die große Reise durch die Schau der Superlative nehmen. Auch gilt es für viele deutsche Messen den Markenkern in die neue Zeit zu transformieren, wie es der ehemalige Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart formuliert. Mehr konzeptioneller Spirit und eine engere Verzahnung von ausgewählten Konferenzen, Kongressen und spannenden Formaten mit szenerelevanten Speakern ist die Devise. Dann stimmt auch der Fomo-Faktor (Fear of missing out) – die Angst, etwas zu verpassen, wenn man nicht kommt.
Dr. Stephanie Hochberg ist promovierte Historikerin. Die Themen Bildung, Geschichte und Wirtschaft sind Schwerpunkt ihrer zahlreichen Veröffentlichungen.
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