https://rotary.de/wissenschaft/technologien-zur-selbstoptimierung-a-8004.html
Wie man die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit verbessert

Technologien zur Selbstoptimierung

Der Drang zur stetigen Verbesserung des Menschen ist Jahrtausende alt. Die Digitalisierung unseres Alltags und die Ergebnisse der medizinischen Forschung – insbesondere auf dem Gebiet der Neurowissenschaften – haben die Möglichkeiten und Potentiale dafür dramatisch erweitert. Der folgende Beitrag dieses Titelthemas beschreibt die Chancen und Risiken einer Entwicklung, die das Mensch-Sein für immer verändern kann.

Marion A. Weissenberger-Eibl01.09.2015

In Alltags- und Arbeitssituationen fühlen Sie sich bisweilen unaufmerksam. Sie möchten ihr Leistungspotential optimieren. Gehirnschnittstellen – oder besser Brain Computer Interfaces (BCI) – bieten Potentiale zur passiven Umfeldoptimierung. Hiermit soll die Möglichkeit bestehen, in Zukunft Daten über die Konzentration, Wohlsein vs. Unbehagen und Ruhe vs. Aufgeregtheit gezielt zu analysieren und selbst zu optimieren. Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten konzentriert an einer bestimmten Aufgabe und ein intuitives Computersystem entscheidet auf Basis der Messung dieser Konzentration mittels BCI, keine Anrufe durchzustellen, um Sie nicht abzulenken oder die Beleuchtung im Raum zu verändern, um Sie zu unterstützen. Unternehmen bieten schon heute Brain Computer Interfaces, die die Fitness und Performance des Gehirns messen, monitoren und optimieren sollen.

Forschungsthemen

Diese ganz spezielle Form der Selbstoptimierung steht im weiteren Kontext von „Zeitmangel, Stress, Überarbeitung als einer Tendenz zur Rastlosigkeit und Beschleunigung des Lebenstempos.“ So charakterisiert sich „Sry bsy“, der absurd und schwarz-humorige Siegerfilm des diesjährigen Foresight Filmfestivals des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF in der Kategorie Selbstoptimierung. Der 2D-Animationsfilm zeigt die Auswirkungen einer ausschließlich leistungsbezogenen Arbeitswelt auf den Menschen. In dem Zwang, immer effizienter, produktiver und schneller zu arbeiten, entsagt sich die Hauptfigur – vielleicht in einer Dystrophie zur Aufrechterhaltung der Konzentration – jeder Pause, Essen oder Trinken bis hin zur kompletten Selbstaufgabe. Der Arbeitswahn führt schließlich zum Zusammenbruch.

Das Fraunhofer-Institut für System und Innovationsforschung ISI hat sich bei der Erarbeitung der „Gesellschaftlichen Herausforderungen 2030“ für den BMBF-Foresight intensiv mit den hochdynamischen, exponentiell beschleunigende Veränderungen auseinandergesetzt, die für das 21. Jahrhundert in der Lern- und Arbeitswelt absehbar sind. Die Zukunfts-Forscher haben dabei im Kontext der „Selbstoptimierung des Menschen“ identifiziert, dass die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit immer relevanter wird für soziale Anerkennung und beruflichen Erfolg. Belastbarkeit, Flexibilität und Leistungsbereitschaft sind ganz zentrale Anforderungen in heutigen Stellenausschreibungen. Neue Erkenntnisse der medizinischen Forschung, Fortschritte in den Neurowissenschaften sowie im Bereich der Informations- und Kommunikations- technologien erweitern das Spektrum möglicher Maßnahmen zur Verbesserung der körperlichen und mentalen Leistungsfähigkeit und bieten ganz neue Optionen zur Sammlung von Daten zum Selbst. Die Palette der Möglichkeiten zur temporären Steigerung der kognitiven Leistung und Konzentration wird dabei beständig erweitert. Diese Selbstoptimierung des Menschen steht dabei in engem Zusammenhang mit der Selbstvermessung des Menschen, dem „Quantified Self“. Vom genauen Tracken der Fitness über den Tag bis zum Monitoren von Konzentration scheint dabei rein technisch kein weiter Weg.

Das Fraunhofer ISI geht im Projekt „Wissenstransfer 2.0 – Quantified Self“ der Frage nach, inwieweit mit Hilfe von Sensoren permanent Daten über den eigenen Körper und die Lebensführung erhoben, gesammelt und analysiert werden, um daraus Erkenntnisse insbesondere für die eigene Gesundheit zu gewinnen. Ohne diese Selbstvermessung wäre eine Selbstoptimierung nur bedingt möglich. Zum Beispiel mit Hilfe von Brain Computer Interfaces eine passive Umfeldoptimierung zu erreichen bedeutet also, Daten über Konzentration gezielt zu sammeln und zu analysieren.

Im Zuge dieser Entwicklung werden auch neue Fragen des Datenschutzes und der Privatsphäre virulent. Solch neue technologische Entwicklungen wie „Wearables“ und insbesondere Brain Computer Interfaces (BCI) lassen dabei einen Zugriff auf sehr spezielle Daten zu. Ein Brain-Computer-Interface lässt sich grundsätzlich als ein Kommunikationssystem zwischen Mensch und Computer beschreiben, das ohne den Einsatz von peripheren Nerven und Muskeln auskommt. Anders als bei bisherigen Systemen wird auf künstliche Prothesen oder mechanische Verbindungen verzichtet; vielmehr werden die Absichten des Menschen direkt über Gehirnsignale an den Computer übermittelt.

Seit dem Ursprung der BCI-Forschung in den 1960er Jahren hat sich die Forschung um die BCI-Technologie stark weiterentwickelt. Eine der gängigsten Arten, BCIs zu unterscheiden, ist die Klassifikation nach invasiver und non-invasiver Technik. Bei ersterer werden die nötigen Sensoren direkt operativ in den Cortex eingesetzt. Im Fall der non-invasiven Technik werden Sensoren von außen auf die Kopfhaut gesetzt, um so die neuronalen Aktivitäten zu messen. Dies spricht vor allem auch Konsumenten an, es zeichnen sich erste thematische Verknüpfungen zum Führen von Fahrzeugen und zum autonomen Fahren ab, da BCI das Potential bieten, Ablenkung beim Fahren zu registrieren und einzugreifen, beispielsweise zum Abbremsen des Fahrzeugs.

Anwendungsszenarien

Für die Messung dieser neuronalen Aktivitäten können verschiedene Sensoren eingesetzt werden. Die Wahl der Sensorik erfolgt in der Regel über eine Abschätzung von technischen Faktoren, wie Signalqualität oder Portabilität und Auswirkungen für den Nutzer, wie Gesundheitsrisiken oder Nutz- und Bedienkomfort. Es ist zu erwarten, dass in Zukunft eine Vielzahl technischer Lösungen verfügbar sein wird. Nach Erfassung der Gehirnaktivität durch eine der oben genannten Methoden werden diese Signale übersetzt und erlauben es der Maschine dann, eine entsprechende Aktion auszuführen. Bei nachlassender Konzentration oder Abgelenktheit kann ein Fahrzeug dann beispielsweise automatisch abgebremst werden. Um im Arbeitsalltag die Konzentration zu steigern, kann in genau diesem Moment beispielsweise die Beleuchtung verändert werden.

Derzeit stehen verschiedene Anwendungsszenarien im Fokus der Forschung. Ein originärer Forschungsschwerpunkt sind medizinische Anwendungen. Mögliche Anwendungsszenarien umfassen BCIs als Ersatz für den Output des zentralen Nervensystems. Dazu gehören z.B. Patienten, denen die Kommunikation über ein Sprach- oder Buchstabiersystem wieder ermöglicht wird, oder gelähmte Patienten, die Prothesen steuern können. Weitere Einsatzszenarien sind Neuromarketing und Neurogaming. Im Neuromarketing wird untersucht, inwiefern BCIs eingesetzt werden können, um die Reaktion von Nutzern auf Werbung, Produkte oder Medieninhalte zu untersuchen. Im Neurogaming können Computerspiele oder auch Objekte per Gedanken gesteuert werden. Brain- Computer-Interfaces sollen zur Erkennung von Gemütslagen oder Anspannung nutzbar sein, um gezielt ganze Tätigkeiten im Alltag danach auszurichten. Es ist davon auszugehen, dass in der Zukunft mehr und mehr Neurodaten zu Abläufen im Gehirn gesammelt werden.

In allen Anwendungsfällen werden Brain Computer Interfaces dazu genutzt, Neurodaten zu erheben und zu analysieren, um daraus Erkenntnisse über die Nutzer abzuleiten. Forscher des Fraunhofer ISI haben sich daher intensiv mit dem Umgang mit Neurodaten und der Neuroprivatsphäre beschäftigt. Für Unternehmen, die solche Lösungen anbieten, bietet sich hierbei auch die Möglichkeit, personenbezogene Daten zu sammeln. Verständlicherweise liegt der Wert in den Einblicken, die diese Daten in die Verhaltensmuster und Vorlieben des Einzelnen gewähren: je mehr Daten, desto tiefer die Einblicke.

Neurodaten können Informationen über Gedanken und Emotionen sowie Veranlagungen für geistige und körperliche Krankheiten oder Prädispositionen für Verhaltensmuster und Persönlichkeitstypen anzeigen, selbst wenn sich diese nie manifestieren. Heute sind neurodatenverarbeitende Technologien kaum verbreitet. Allerdings zeichnen sich am Horizont Anwendungen ab, welche eine weite Verbreitung möglich erscheinen lassen. Dies kann in Zukunft zu einer neuen Qualität von Daten führen, etwa durch die schiere Quantität und die Verknüpfung von großen Datensätzen (Big Data) mit entsprechenden Auswertemechanismen. Auch die selbstentschiedene Erhebung und Sammlung von Neurodaten kann eine Neuroprivatsphäre berühren.

Die Selbstoptimierung des Menschen ist eine gesellschaftliche Herausforderung. Sie steht im Zusammenhang der Anforderung, immer effizienter, produktiver und schneller zu arbeiten und zu leben. Die Steigerung von körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit wird durch quantifizierbare Daten zur Selbstüberwachung des Erreichten unterstützt. Die Technologien zur Selbstvermessung bieten zahlreiche Potentiale. Allerdings sollten die Herausforderungen durch die permanente Erhebung, Sammlung und Analyse von Daten über den eigenen Körper und die eigene Lebensführung zu erheben nicht leichtfertig außer Acht gelassen werden. Das Beispiel Neurodaten und Neuroprivatsphäre zeigt die Relevanz und die zahlreichen ungeklärten Fragen.


Erfahren Sie mehr über die Autorin unter: www.weissenberger-eibl.de

Marion A. Weissenberger-Eibl
Prof. Dr. Marion A. Weissenberger-Eibl ist Inhaberin des Lehrstuhls für Innovations- und TechnologieManagement am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Leiterin des Fraunhofer-Instituts für System und Innovationsforschung ISI. Zu ihren Büchern gehören u.a. „Innovation – Technologie – Entrepreneurship. Gestaltungssystem der frühen Phase des Innovationsprozesses“ (2013) und „Wissensmanagement in Unternehmens­netzwerken“ (2006). www.isi.fraunhofer.de