Titelthema
Volle Breitseite – deutsche Museen unter Beschuss ...
... allen voran die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Das Buch der Historikerin Bénédicte Savoy ist eine Kampfansage
Bénédicte Savoy stellt in ihrem Buch die Geschichte einer Verhinderung von Rückgaben der im Zusammenhang mit einer britischen sogenannten Strafexpedition1897 dem Königreich Benin geraubten Bronzen ausführlich dar. Es handelt sich um die Elitekunst eines Sklavenhändlerregimes, deren Kunden bereits damals Europäer, vor allem Portugiesen, gewesen sind. Der britische Angriff auf Benin war Teil einer Auseinandersetzung unter den Kolonialmächten Großbritannien und Portugal. Aus dieser sogenannten Strafexpedition, zu deren Rechtfertigung die britische Anschuldigung, das Regime würde fortgesetzt Sklaven opfern, moralisch herhalten musste, folgte zur angeblichen Finanzierung der Kosten für diesen Überfall der Verkauf von mehr als 2000 Bronzen an große Museen der Welt, vor allem an deutsche. Die im wahrsten Sinne mit Blut befleckten Bronzen, über denen das Benin-Regime das Blut seiner Sklaven opferte, entsprachen in ihrer realistischen Darstellung dem europäischen Kunstgeschmack und gelten bis heute als wertvollste Kunstwerke Afrikas; sieht man von den auch jetzt noch illegal aus dem Land geschafften, in Museen hoch wertgeschätzten Nok-Figuren einmal ab.
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Der berechtigten Kritik an den Praktiken des Kolonialismus geht Savoy allerdings mit einem Tunnelblick ohne abwägende historische Analysen nach. In ihrem Buch ist nicht ein einziges Mal von den Zusammenhängen des Benin-Kunstraubes die Rede, um die man wissen muss. Nicht um den Raub zu rechtfertigen, sondern um die historischen Verwicklungen verstehen zu können.
Museumspolitik: Früher muffig ...
Schließlich bilden diese Verwicklungen auch den Hintergrund späterer Interessenkonflikte und Hinauszögerungen von Rückgaben. Einer genauen historischen Analyse aller Umstände steht die Auswahl der Autorin von Archivmaterial großer Museen in Deutschland und Frankreich gegenüber, die den Hauptteil dieses Buches ausmachen. Präsentiert wird hier akribisch der Muff vor allem deutscher offizieller Museumspolitik in den sechziger und siebziger Jahren, dirigiert von Museumsdirektoren, die oftmals noch nie in Afrika gewesen waren und auch bescheidene Anfragen auf Rückgabe oder wenigstens einer Ausleihe in einem fort abwehrten. Diese langweilige und vom Tabakqualm alter Zeit umwehte Geschichte geschah allerdings in einem politischen Umfeld, das keine anderen Entscheidungen ermöglichte.
Als Held in der Geschichte macht Savoy den ehemaligen Direktor des Bremer Überseemuseums, Herbert Ganslmayr, aus, der sich bereits 1984 in dem zusammen mit dem Journalisten Gert von Paczensky verfassten Buch Nofretete will nach Hause. Europa – Schatzhaus der „Dritten Welt“ für Rückgaben stark gemacht hatte. Aufgrund auch in diesem Buch nicht offengelegter politischer Direktiven in Bremen konnte Ganslmayr aus dem Bestand des Überseemuseums nicht ein einziges Stück an die sogenannte Dritte Welt zurückgeben und konzentrierte sich desillusioniert bis zu seinem Tod auf Gremienarbeit in einer Museumsorganisation.
... heute inkompetent?
Zum Stil dieses allerdings an Pauschalurteilen vor allem in seinem Epilog reichen Buches passt, dass die Diskussionen innerhalb der Ethnologie über Rückgaben darin nicht vorkommen, zumal die Kunsthistorikerin auch in ihren Aussagen über afrikanische Kulturen keinerlei ethnologische Expertise walten lässt. Der hier kredenzte eurozentrische Blick trifft sich auf seltsame Weise mit dem eigentlichen Gegenpart der Autorin: der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, deren Politik gegenüber Nigeria Savoy großflächig angreift. Dieser auch private Kampf der Autorin, wenn man um ihre Konflikte mit der Stiftung im Zusammenhang mit dem Humboldt-Forum weiß, verleitet sie zu der Behauptung, die „vermeintliche Legalität der Ankäufe (Anm.: der Benin-Bronzen aus dem britischen Kunstraub) wurde zum autosuggestiven Mantra und ist es bis heute geblieben“ (S. 198). Hier sind es dann auf einmal alle deutschen Museen, die lügen würden, die nichts gelernt hätten und deren Vorgesetzte unbequeme Findungen ihrer Mitarbeiter noch heute „nicht selten unter den Tisch“ kehren (S. 199). Solche Behauptungen zu belegen, hält die Wissenschaftlerin nicht für nötig. Aber es ist hierüber bestimmt noch nicht das letzte Wort gesprochen. Sie schlägt zudem vor, den Museen die Direktiven über ihr Archivmaterial zu nehmen, und spricht ihnen somit die wissenschaftliche Kompetenz ab.
Bedauerlicherweise entwertet die Autorin mit solchen absurden Behauptungen ihre eigene Archivarbeit. Man darf auf die Reaktionen der Museen auf einen solchen Frontalangriff gespannt sein. Interessant für den Moment ist, wie Savoy es schafft (und mit ihr eine Presse, die aus ihrem langweilig zu lesenden Buch einen Medien-Hype macht), die Stiftung Preußischer Kulturbesitz regelmäßig „durchs Dorf“ zu jagen, und wie ängstlich und rückgratlos diese gerade im Zusammenhang mit der Eröffnung des Humboldt-Forums in Berlin auf die Angriffe Savoys reagiert. Beide sind wohl allzu sehr mit sich selbst beschäftigt in ihrem Kampf um ihr Überleben. Was aber haben afrikanische Völker davon, wenn ihre historischen Zeugnisse für die Aufrechterhaltung eines europäisch moralisierenden Blicks wieder einmal benutzt werden?
Buchtipp
Bénédicte Savoy,
Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage
C. H. Beck, München 2021, 256 S., 24 Euro
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Claus Deimel ist Ethnologe und ehemaliger Direktor des Grassi-Museums für Völkerkunde zu Leipzig.