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"Die größte Herausforderung der jüngeren Geschichte"

Veröffentlichung - "Die größte Herausforderung der jüngeren Geschichte"
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Governor Henning von Vieregge suchte in seinem Amtsjahr Antworten auf die Frage nach den Herausforderungen im rotarischen Leben. Im von ihm herausgegebenen Buch fragt er Prof. Dr. Volker Mosbrugger danach.

01.06.2021

Wir haben Sie als Schirmherrn unserer Baumpflanzenaktion gewonnen. Sie haben sofort zugesagt, für einen viel beschäftigten Menschen keine Selbstverständlichkeit. Was hat Sie dazu bewogen?

Durch die laufende Zerstörung des Naturkapitals und damit unserer Lebensgrundlagen steht die Menschheit vor der größten Herausforderung ihrer jüngeren Geschichte: Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Verschmutzung von Luft, Wasser und Böden, Pandemien sind nur einige der damit verbundenen Problemfelder. Wir müssen eine grundlegend neue, nachhaltige, das heißt zukunftsfähige Nutzung der Natur entwickeln, wenn wir das Wohlergehen der Menschheit nicht gefährden wollen. Mit der Baumpflanzaktion gehen wir genau in die richtige Richtung: Naturkapital wird neu aufgebaut und damit sowohl der Klimawandel als auch der Biodiversitätsverlust bekämpft.

Fast jeder zweite Club im Distrikt beteiligte sich an der diesjährigen Baumpflanzaktion, zusammen mit Rotaract. Ein ungewöhnlich großer Erfolg. Haben Sie eine Erklärung?

Die negativen Folgen des Abbaus des Naturkapitals sind inzwischen so offensichtlich, davor kann niemand mehr die Augen verschließen. Die Dringlichkeit des Handelns wird daher inzwischen allgemein gesehen und anerkannt, und zwar sowohl in der breiten Bevölkerung als auch bei den Entscheidungsträgern. Rotary ist dem Wohl der Menschheit verpflichtet und wird hier seiner Verantwortung gerecht.


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Prof. Dr. Volker Mosbrugger (RC Frankfurt/M.-Friedensbrücke) war bis Ende 2020 Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, und ist unter anderem Präsident der Polytechnischen Gesellschaft Frankfurt und einer der Mitautoren des Sammelbandes „Clubleben im Stresstest, Rotary in der Pandemie-und danach“, das über den  Shop des Verlags bestellt werden kann. 


Oft hört man den Einwand, was können wir (Deutschland, Rotary) schon ausrichten? Was antworten Sie, wenn Sie dies hören?

Das ist das berühmte Argument der "Trittbrettfahrer": Sollen doch erst einmal die Anderen, die größten Umweltsünder mit gutem Beispiel vorangehen. Dieses Argument ist aus drei Gründen falsch:

  1. Eine Umkehr zu einem zukunftsfähigen Umgang mit dem Naturkapital erfordert ein grundlegendes Umdenken aller, eine Veränderung des Mindset. Durch ihre Verweigerungshaltung verhindern Trittbrettfahrer diesen Prozess.
  2. Die kleinen lokalen und regionalen Maßnahmen haben auch auf lokaler und regionaler Skala ihre positiven Effekte – dies macht gerade die Baumpflanzmaßnahme von Rotary deutlich. 
  3. Es geht ganz wesentlich um eine Generationengerechtigkeit, wie nicht zuletzt die Fridays for Future Bewegung deutlich gemacht hat (ich erinnere an Greta Thunbergs "how dare you..." vor der UN): Die heutige Generation darf nicht die Lebensgrundlagen der Folgegenerationen aufbrauchen. Diese Generationengerechtigkeit ist eine ethische Verpflichtung für jeden Einzelnen.

Ein anderer Einwand ist, ohne ein Abbremsen des Bevölkerungswachstums in den ärmsten Regionen sei ohnehin der Klimawandel nicht aufzuhalten. Ist der Einwand stichhaltig?

Der Einwand ist falsch und irreführend. Denn der anthropogene Klimawandel wurde nicht von den ärmeren und am stärksten wachsenden Nationen, etwa in Afrika, verursacht, sondern von den reichen High-Tech-Ländern in Europa und Nordamerika – sie haben unverändert die höchsten pro-Kopf-Emissionen an CO2 und die ärmeren Länder ziehen nun langsam nach. Selbst Chinas Pro-Kopf-CO2-Emission beträgt nur etwa 80 Prozent der Emission eines Durchschnitt-Deutschen. Auch hier geht es also um Gerechtigkeit und Verantwortung, und zwar auf globaler und historischer Skala – die reichen Industrieländer stehen daher in besonderem Maße in der Pflicht, das Klimawandelproblem zu lösen. Zudem sind Wohlstand und Bildung (insbesondere von Frauen) die bei weitem besten Maßnahmen, das Bevölkerungswachstum zu stoppen.

Wer ist nun vor allem am Zuge: die Politik, die Wirtschaft, die Zivilgesellschaft?

Tatsächlich sind hier alle Akteure gleichermaßen gefragt. In einer funktionierenden Demokratie ist die Politik ein Spiegelbild der Zivilgesellschaft: Diese muss also eine grundlegend neue, durchgängig an den Nachhaltigkeitsprinzipien orientierte Politik einfordern, und hier ist wieder jeder Einzelne gefordert. Inzwischen ist auch die Wirtschaft ein wichtiger Motor des Umdenkens geworden, weil mehr und mehr kluge und verantwortungsbewusste Unternehmenslenker und Investoren sich dem Ziel der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlen – nicht zuletzt weil sie wissen, dass ein nicht nachhaltiges Geschäftsmodell eben keine Zukunft hat.

Ihnen ist es wichtig, auf die drei Aspekte der Nachhaltigkeit (ökologisch, ökonomisch, sozial) hinzuweisen. Könnte hier ein besonderer Ansatz von Rotary liegen?

Ohne Zweifel ja! Der Begriff Nachhaltigkeit wird leider oft zu sehr auf das Thema Umwelt verkürzt. Nachhaltigkeit kann aber nur erreicht werden, wenn sowohl die Gesellschafts- und Wirtschaftsform als auch der Umgang mit dem Naturkapital zukunftsfähig aufgestellt sind: Ökologie allein reicht nicht! Formelhaft verkürzt heißt das: Wir müssen von einer sozialen Marktwirtschaft zu einer öko-sozialen Marktwirtschaft übergehen. Diesen Übergang intelligent und verantwortungsbewusst voranzutreiben ist eine vornehme Aufgabe für Rotary und seine Führungspersönlichkeiten.

Wenn ein Club zu Ihnen kommt und sagt, wir wollen Geld einsetzen, Hand anlegen und unseren Kopf benutzen, was raten Sie uns?

Fördern und fordern Sie nicht nur den schonenderen Umgang mit Naturkapital, sondern gerade auch kluge Vorhaben, die den Weg einer öko-sozialen Marktwirtschaft und damit einer ganzheitlichen Nachhaltigkeit beschreiten oder wenigstens ebnen.

Interview: Henning von Vieregge

Prof. Dr. Volker Mosbrugger ist Hauptredner bei der Distriktkonferenz in D1820 am 12. Juni 2021. Auch im "1820 Supertalk" am 11. Juni ab 18.20 Uhr geht es mit Achim Steiner, stellvertretender UN-Generalsekretär , verantwortlich für Entwicklung und Nachhaltigkeit, und Tanja Gönner (RC Frankfurt/M.), Vorstandsvorsitzende der GIZ, um den neuen Schwerpunkt von Rotary International. Dieser Talk ist für Gäste zugänglich. Einwahl bitte bei distriktassistenz@rotary1820.de anfordern.

Das Interview ergänzt das Buch von Henning von Vieregge, Reinhard Fröhlich, Hans-Werner Klein (Hrsg.): Clubleben im Stresstest, Rotary in der Pandemie — und danach?, bestellbar im Shop des Rotary Verlages und über die Homepage des Rotary-Distrikts 1820. Mehr Infos bei rotary-buch.neueufer.de