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Bildung Spezial

„Aus Fehlern eine Lernkultur machen“

Die dringend nötige digitale Transformation der Wirtschaft geht einher mit der Digitalisierung der Wissensberufe, sagt Birte Gall, die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt. Spezialisten werden nicht mehr gebraucht, der Bachelorabschluss sei unnütz.

01.05.2017

Sowohl mit der Berlin School of ­Digital Business, die Dr. Birte Gall 2014 als Weiterbildungsakademie und Tochter der Unternehmensberatung etventure gründete und bis Ende vergangenen Jahres als Geschäftsführerin fungierte, als auch mit ihrem neuen, eigenen Projekt, „New Work Berlin“, unterstützt sie Unternehmen bei der digitalen Transformation.

Frau Gall, warum ist bei der Digitalisierung noch so viel Nachhilfe nötig?
Es ist wichtig, das gesamte Unternehmen bei der dringend notwendigen digitalen Transformation mitzunehmen. Alle Mit­arbeiter müssen mit den Methoden, den Begrifflichkeiten und Konzepten, die ­dahinter stehen, vertraut gemacht werden. Nur dann ist die Basis gegeben, diese digitale Transformation im Unternehmen mitzugestalten und voranzutreiben.

In welchem Bereich hapert es denn am stärksten, wo benötigen die Leute am meisten Input?
Auf der einen Seite stehen die Führungskräfte. Die fragen sich: Wie kann ich diese Veränderungen führen und gestalten? Da ist es wichtig, von den veralteten Verhaltensweisen à la command and control wegzukommen und netzwerkbasierte Strukturen aufzubauen, die polyzentrisch sind. Entscheidungen sollten nicht allein bei den Führungskräften liegen, sondern möglichst weit nach unten delegiert und in Teams mit viel Know-how erarbeitet werden, damit die Führungsebene Zeit für strategische Überlegungen hat. Ein weiteres Thema sind Entwicklungsansätze für neue Produkte und Dienstleistungen, die zum Teil sehr analog sind, wie das übliche Design Thinking. Zusammenarbeit muss innerhalb der digitalen Transformation neu organisiert werden, dafür sind digitale Tools nötig, aber auch eine andere und sehr viel offenere Kommunikation, Informationsoffenlegung, Transparenz, Mitbestimmung. Unternehmen müssen jetzt in der Entwicklung nachziehen, die unsere Gesellschaft in den vergangenen 30 oder 40 Jahren durchlebt hat. Um es zugespitzt zu sagen: Unternehmen sind jetzt aufgefordert, sich von der Maschine zum Netzwerk zu verändern – entsprechend müssen sie ihre Mitarbeiter als eigenständige Personen anstatt als Maschinenteilchen betrachten.

Sind Berufseinsteiger für diesen grundlegenden Kulturwechsel im Arbeits­leben ausgebildet?
Veränderungen im Bildungssystem sind dringend nötig. Denn es sind heute Themen wichtig, die bislang nicht vermittelt werden. Zum Beispiel Interdisziplinarität, Fachbereiche müssen stärker vernetzt werden. In den Schulen gibt es dafür schon Konzepte, die weiter verstärkt und ausgebaut werden sollten. An den Hochschulen wurde in den vergangenen Jahren mit dem Bachelor aber das Gegenteil beschworen: kleinteiliges, spezifisches Knowhow. Doch das ist in Unternehmen mittlerweile völlig irrelevant.

Warum, werden keine Spezialisten mehr gebraucht?
In manchen Bereichen der Produktion vielleicht noch. Aber bei den Wissensarbeitern nicht mehr. Wir alle haben durch unsere Smartphones ständigen Zugang zu Wissen und werden zu Cyborgs – wir lagern seit Jahren unser Gedächtnis aus. Kein Mensch muss mehr wissen, wann Friedrich der Große geboren wurde, denn das kann man in einer Sekunde nachgucken. Was der Mensch aber braucht, ist ein Gerüst, in dem er Informationen verifizieren und einordnen kann. In gewissem Sinne wäre ein Schritt zurück zu dem Bildungssystem vom Anfang des letzten Jahrhunderts wünschenswert: Eine solide Grundbildung ohne allzu ausgeprägtes Spezialwissen, eine Art Rasterwissen.

Was ist mit der Ausstattung der Schulen und Hochschulen mit digitaler Technik?
Richtig, digitale Werkzeuge müssen im Unterricht viel mehr benutzt werden. Wer das fordert, hört sofort den Aufschrei der Schulen: „Das können wir nicht finanzieren!“ Ich sage: Heutzutage hat doch fast jedes Kind ein Tablet oder ein Smartphone. Schulen müssen sich keine Gedanken über die Ausstattung mit solchen Geräten machen, die wäre ja ohnehin nach drei Jahren veraltet. Man sollte digitale Werkzeuge betrachten wie einen Füller oder ein Lineal: als Mittel zum Zweck des Lernens, das jedes Kind von Zuhause mitbringt. Familien, die sich das nicht leisten können, werden unterstützt.

Sie sind regelmäßig im Silicon Valley oder der Start-up-Stadt Tel Aviv. Haben andere Länder im Umgang mit digitaler Bildung Deutschland etwas voraus?
Es gibt eine Behäbigkeit in Deutschland, man sieht die Notwendigkeit zu Veränderungen nicht, da die Wirtschaft boomt und es den Unternehmen gut geht. Daneben gibt es keine Fehlerkultur. Unternehmen wie Microsoft gehen damit ganz ­bewusst um, sie berichten über gemachte Fehler, damit alle daraus lernen können. Sie machen aus Fehlern eine Lernkultur. In Deutschland müssten sich dafür die Belohnungsstrukturen radikal ändern.


Digitalexpertin
Dr. Birte Gall (RC Berlin-Branden­burger Tor) hat die Berlin School of Digital Business gegründet und war zuvor an der Bucerius Law School in Hamburg. Nun berät die Wirtschaftswissenschaftlerin mit „New Work Partners Berlin“ Unternehmen zum Thema digitale Transformation.
newworkberlin.com