Bildung Spezial
Digitalisierte Schule bringt nichts!
Vor dem Einsatz von Computern in Kindergärten und Grundschulen ist dringend zu warnen. Wir sollten uns stattdessen lieber auf die Lehrinhalte konzentrieren – deren Vermittlung ist schon jetzt schwierig genug.
Nach Jahren der Euphorie ob der angeblich grenzenlosen Chancen des Programmierten Lernens und des Sprachlabors scheint Schulpädagogik erneut in das Stadium der Nürnberger-Trichter-Visionen eingetreten zu sein.
Laptop statt Schulranzen, didaktische Hyperlinks, Just-in-time-Knowledge, Knowledge Machines, Instant Learning, Online-Learning, virtuelles Klassenzimmer und dergleichen sind angesagt. Man mag solche Worthülsen nicht mehr hören und lesen. Vor allem wenn einem als Urheber der Schlagzeilen Namen unterkommen wie die von Bertelsmann Stiftung, Vodafon-Stiftung, Telekom-Stiftung, Bitkom, Samsung, dann weiß man, dass es hier um ein Milliardengeschäft geht.
Nein, eine Komplettversorgung der Schulen, das heißt eines jeden einzelnen Schülers mit einem Computerarbeitsplatz, ist nicht notwendig und nicht erstrebenswert. In einer hochtechnisierten berufsbildenden Schule mag es sinnvoll sein, dass jeder Schüler „seinen“ Computer hat. An allgemeinbildenden Schulen ist das nicht nötig. Ein unkritischer, überdimensionierter Einsatz neuer Informationstechniken in der Schule provoziert Kollateralschäden, die bislang unterschätzt wurden und die umso gravierender ausfallen, je früher dieser Einsatz in der Entwicklung der Kinder beginnt. Der 2011 verstorbene Apple-Mitbegründer Steve Jobs und der Microsoft-Gründer Bill Gates wussten sehr wohl, warum sie ihren Kindern iPads und Smartphones vorenthielten. Vor einem Einsatz des Computers im Kindergarten und in der Grundschule ist jedenfalls dringend zu warnen. Gerade hier müssen die medienpädagogischen Grundsätze gelten: analog geht vor digital, produktiv geht vor rezeptiv. Zu befürchten ist, dass neue Medien einen Prozess in Gang setzen, bei dem die Flut an Information die Kommunikation zu töten droht. Eine Digitalisierung von Schulbildung könnte zudem die Haltung fördern, Verpackung und Präsentation seien wichtiger als Inhalte. Lehrer erleben hier ja zunehmend, dass Schüler für ein Referat zwar einen gigantischen Aufwand in dessen PowerPoint-Präsentation investieren, dass inhaltlich aber oft kein Satz logisch zum anderen steht.
Neue Medien, vor allem das Internet, fördern eine sprunghafte Wahrnehmung und die Haltung, Lernen könne ständig Spaß und Animation sein. Die Folgen sind Mängel im Konzentrationsvermögen und in der Ausdauerbereitschaft. Nicht zu Unrecht hat der große Joseph Weizenbaum gerade der Pädagogik ins Stammbuch geschrieben: Die Datenverarbeitung erleichtere das Durchwursteln, und sie verhindere wirkliche Innovationen. Weizenbaum nennt das „Stagnovation“.
Was bringt digitalisierte Schule? Nichts! Gerald Lemke und Ingo Leipner halten in ihrem Buch „Die Lüge der digitalen Bildung“ von 2015 fest: Bildschirmtexte werden nur auszugsweise gelesen: Deshalb sei vom Computereinsatz vor dem zwölften Lebensjahr abzuraten. Interessantes kam ebenfalls 2015 aus dem Ifo-Institut: Der Einsatz von Computern im Unterricht bringe im Durchschnitt keine besseren Ergebnisse in Mathematik und in den Naturwissenschaften, und er raube wichtige Unterrichtszeit. Wörtlich: „Ein positiver Effekt auf das Erlernen der Pisa-Basiskompetenzen ist nicht haltbar.“ Ja, sogar die OECD gab sich im Herbst 2015 nachdenklich: Länder, die viel in die Computerisierung des Unterrichts gesteckt haben, schneiden bei Vergleichstests nicht besser ab.
Es geht um Medienmündigkeit
Manfred Spitzer von der Universität Ulm hat bei einer Anhörung im Hessischen Landtag am 14. Oktober 2016 zum Thema „Digitalisierung und schulische Bildung“ 14 große empirische Studien aus allen Ländern der Welt zu den Auswirkungen digitaler Informationstechnik auf das Lernen von Schülern aufgelistet. Das Ergebnis: Es gibt keine Belege für ein besseres Lernen mittels Digitalisierung; tendenziell sind die Leistungen bei Nutzung von Computern eher signifikant schlechter.
Ralf Lankau von der Hochschule Offenburg hat bei gleicher Gelegenheit auf eine Studie von Hans Giessen von der Universität des Saarlandes hingewiesen. Danach werden Vokabeln mithilfe traditioneller Vokabellisten deutlich effektiver als mittels Computermonitor erlernt. Am schlechtesten waren die Ergebnisse, wenn die Studierenden die Vokabeln mit der aufwendigen Flash-Animation lernten. Ebenfalls anlässlich dieser Anhörung hat Matthias Burchardt von der Universität zu Köln deutlich gemacht: „Streng genommen enteignet Lernsoftware die pädagogische und fachliche Autorität der Lehrenden und entmündigt die Lernenden in ihren Lernprozessen.“
Die Fähigkeit zum Umgang mit neuen Informationstechniken gehört heute zu den Kulturtechniken. Ein zukunftstüchtiges Bildungssystem muss deshalb junge Menschen darauf vorbereiten. Dazu gehört natürlich die Schulung im Umgang mit dem Computer und dem Internet als Instrument und als Medium. Dazu gehören ferner eine Aufklärung über das Thema „Risk and Fun im Netz“ und Maßnahmen zur Prophylaxe von Mediensucht.
Es geht um Medienmündigkeit. Diese Mündigkeit kann in weitem Umfang ohne den Computer und ohne das Internet geschaffen werden. Es gehören zu ihr unter anderem die Fähigkeit, differenziert und sinnentnehmend zu lesen; die Fähigkeit, verständlich zu schreiben; die Fähigkeit, zielführend Strategien bei der Suche nach Informationen einzusetzen sowie die Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.
Online oder offline – welche Schulen brauchen wir? Die Antwort lautet: Wir brauchen weniger „online“ und mehr „offline“, damit die Digitalisierung nicht zur Lern- und Entwicklungsblockade für junge Menschen wird. So weit, wie Manfred Spitzer es in seinem Buch „Digitale Demenz“ von 2012 tut, muss man nicht gehen. Spitzer ist hier recht apokalyptisch. Denn die neuen Medien sind nun einmal Realität.
Mit ihnen ist es allerdings wie mit vielen Substanzen: Auf die Dosis kommt es an (wie schon Paracelsus wusste). Falls die Dosis stimmt, muss der Computer nicht zur Lernverhinderungsmaschine werden.
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