Der US-Politiker und Historiker Newt Gingrich
Comeback eines Konservativen
Amerikas Republikaner haben die Qual der Wahl: Sie suchen einen Präsidentschaftskandidaten, der Barack Obama im November schlagen kann. Dieser Politiker soll konservative Werte vertreten, rhetorisch glänzen, Erfahrung und Bürgernähe mitbringen und möglichst ebenso begabt und integer sein wie der amtierende Präsident. Doch nicht alle Kandidaten erfüllen diese Erwartungen.
„Amerika muss wieder groß werden“, fordert der Kandidat Mitt Romney – „mit Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätzen und Steuerdisziplin“. Romney gilt zwar als aussichtsreichster Bewerber, aber die Partei steht noch nicht geschlossen hinter ihm. Auch Rick Santorum hat gute Chancen, doch seine extrem konservativen Positionen sind kaum mehrheitsfähig. Bleibt Newt Gingrich, der ehemalige Sprecher des Repräsentantenhauses. Ihn halten viele Republikaner für fähig, Obama im November schlagen zu können. Die Eloquenz, politische Erfahrung und Schlagfertigkeit des Veteranen aus Georgia könnten ausreichen, den Republikanern wieder zur Macht zu verhelfen.
Gingrich will Amerika auf konservativen Kurs zurückführen. Da die Wirtschaft weiterhin lahmt, hätte er gute Chancen: Arbeitslosigkeit, schwache Konjunktur und Staatsschulden belasten Obamas Bilanz. Auch 2012 entscheidet die Wirtschaft die Wahl. Sollten die Republikaner eine konstruktive Alternative zu Obamas Programm bieten, könnten sie das Weiße Haus zurückerobern. Die Frage ist: mit wem?
Star der 90er
Newt Gingrich bringt Erfahrung und Professionalität in den Wahlkampf. Viele Amerikaner kennen ihn: Als er 1995 die „republikanische Revolution“ im Kongress anführte, wählte ihn das Magazin Time zur Person des Jahres. 1994 hatten die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus zum ersten Mal seit 40 Jahren zurückerobert und Gingrich zum Sprecher des US-Unterhauses gewählt. Es war seine große Zeit im Kongress: Er attackierte die linksliberalen Demokraten als „krank, korrupt und linke Fanatiker“, blockierte Clintons Gesundheitsreform und nutzte die Lewinsky-Affäre für das Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten. Time nannte ihn damals eine „außergewöhnliche Führungspersönlichkeit – brillant, kaltschnäuzig und bärbeißig“.
Doch von dieser Aura ist heute wenig geblieben. Seit Gingrich 1997 den Ruf der Republikaner beschädigte, ist seine schillernde Persönlichkeit zur Bürde geworden. Damals wurden ihm 84 unmoralische Handlungen vorgeworfen, die mit hohen Geldstrafen geahndet wurden. Inzwischen gilt Gingrich als opportunistisch, doppelzüngig, großsprecherisch und anrüchig. Zwei hässliche Scheidungen belasten seinen Lebenslauf, häufige Richtungswechsel schaden seiner politischen Karriere, und die Tatsache, dass er 1,8 Millionen Dollar Honorar als „Historiker“ der Pleitebank Freddie Mac erhalten hat, könnte ihm zum Verhängnis werden: Freddie Mac gilt als Sündenbock für die Finanzkrise. Wer sich hier bereichert hat, macht sich hochgradig verdächtig.
Doch trotz dieser Altlasten gibt Gingrich nicht auf. Er ist fest überzeugt, Obama rhetorisch übertreffen zu können und der einzig „wahre“ Konservative zu sein. Besonders die Tea-Party-Konservativen rühmen seine Tiraden gegen „elitäre Medien“, das Washington-Establishment und die linksliberalen Demokraten. Als Politiker präsentiert er sich gern als erfahren und intellektuell anspruchsvoll. Mit ihm, so Gingrich, würde zum ersten Mal seit Präsident Woodrow Wilson ein Historiker ins Weiße Haus kommen. Ist das wahr?
Freier Historiker
Gingrich wurde 1971 an der Tulane University von New Orleans in Geschichte promoviert. Seine Dissertation über die belgische Bildungspolitik im Kongo wurde als „kolonialistisch“ und latent „rassistisch“ kritisiert. Von 1970 bis 1978 lehrte er als Assistenzprofessor an der zweitrangigen University of West Georgia. Ihm wurde jedoch keine Dauerprofessur angeboten, sodass er bis heute als „freier“ Historiker gilt. Damals sagte er der Uni-Zeitung, er würde lieber für den Kongress kandidieren „als akademische Artikel zu schreiben, die zur Berufung von Professoren erforderlich sind“. Später hat er im Kongress verkündet, er sei kein „akademischer Bürokrat“ und schreibe keine „bedeutungslosen Bücher.“ Gingrich wird seitdem von den meisten Geschichtswissenschaftlern als Pseudo-Historiker geächtet.
Der Präsidentschaftskandidat Gingrich gründet sein Ansehen als Historiker auf etwa 20 Bücher, die er als Politiker geschrieben hat. Viele dieser Werke wurden mit journalistischer Hilfe verfasst und erheben keinen wissenschaftlichen Anspruch. Sie gehören zur Gattung Populärgeschichtsschreibung, was Gingrich immerhin als Journalisten, aber nicht als Historiker ausweist. Dennoch stößt sein Interesse an amerikanischer Geschichte gelegentlich auf Beifall. Historisch interessierte Politiker sind im amerikanischen öffentlichen Leben eine Ausnahme.
Die Bücher von und mit Newt Gingrich thematisieren patriotische Ereignisse und rühmen Amerikas Geschichte von den Gründungsvätern bis George W. Bush. In den historischen Romanen glorifiziert Gingrich General Washington, idealisiert die Verfassungsväter, lobt General Ulysses Grants Strategie im Bürgerkrieg und verherrlicht Amerikas Kampf gegen Japan im Zweiten Weltkrieg. Wenn er keine Romane (mit journalistischer Hilfe) erstellt, schreibt er über den amerikanischen Patriotismus oder die „Wiederentdeckung Gottes in Amerika“. Selbstredend verfasst er auch polemische politische Sachbücher, um die Obama-Regierung zu diskreditieren. Sein neuestes Traktat: „Die Rettung Amerikas: Wie wir Obamas weltlich-sozialistische Maschine stoppen können“.
Die New York Times hat gefragt, ob der Historiker Gingrich US-Präsident Woodrow Wilson das Wasser reichen dürfe. Wilson lehrte Geschichte an der renommierten Wesleyan University und war acht Jahre Präsident der exzellenten Princeton University. Im Vergleich zu Wilson, so die Zeitung, sei jedoch der Pseudo-Historiker Gingrich eine Nummer zu klein. „Jeder Politiker möchte gern Präsident werden“, meint der Historiker Richard Brookhiser: „Da sich Gingrich für Geschichte interessiert, sieht er sich bereits als Nachfolger historischer Giganten.“Gingrich bastelt bewusst am Image des Politikers als Geschichtswissenschaftler und würzt seine Reden gern mit historischen Zitaten. „Abraham Lincoln hat von der Regierung für das Volk, durch das Volk und von dem Volk gesprochen“, dozierte er nach dem Verlust der Vorwahl in Florida. „Ich werde verhindern, dass Mitt Romney für das Geld und durch das Geld regiert.“ Gingrich vergleicht die heutige Krise mit Amerikas Schicksalsjahr 1860, als das Land wegen der Sklavenfrage in den Bürgerkrieg zog. Auch das Jahr 1788 muss herhalten, in dem die US-Verfassung ratifiziert wurde. Seriöse Historiker halten diese Vergleiche für überzogen und unhaltbar. Gingrich solle aufhören zu übertreiben.
Der Anti-Obama
Doch der politische Haudegen aus Georgia nutzt sein populärwissenschaftliches Image geschickt für den Wahlkampf. Er betont sogar sein bescheidenes akademisches Renommee, um sich vom „elitären“ Barack Obama abzugrenzen, der in Columbia und Harvard studiert hat. Die Republikaner suchen einen intellektuell starken Führer, der Obama auf Augenhöhe begegnen kann; zugleich darf dieser Gegenkandidat aber nicht akademisch „verbrämt“ erscheinen. Hier spielt Gingrich die Karte des populistischen Politikers mit historischem Tiefgang. Das kommt an und vermeidet intellektuelle Distanz zum Volk. Gingrich kann sich somit als konservativer Experte und echter Patriot ausweisen und Präsident Obama intellektuell entsprechend anspruchsvoll herausfordern.
Dennoch bleibt offen, ob er sich letztendlich in der Partei durchsetzen kann. Denn sein Image als unzuverlässiger Opportunist und fragwürdiger Charakter bleibt haften – trotz des vermeintlichen Glanzes, den er als Historiker ausstrahlt. Inzwischen steht zwar Ehefrau Callista treu und geduldig neben ihm, doch viele Amerikaner erinnern sich an die Affären und Skandale der Gingrich-Ära. Und so denken nicht wenige, was Professor Lawrence Squeri aus Pennsylvania ausspricht: „Newt Gingrich hätte an der Universität bleiben und seine Studenten zum Protest anstiften sollen. Das hätte dem Lande mehr genützt als seine politische Karriere.“
„I love America. Warum wir Amerika wirklich gern haben können“ (Herbig 2007).
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