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Wie die USA mit ihrer aktuellen Nahost-Politik ihre Verbündeten in Nahost preisgeben

Gefährliches Spiel

Rafael Seligmann12.05.2015

Seit biblischen Zeiten ist der Nahe Osten einschließlich des mehr oder minder Heiligen Landes keine Region des Friedens und der Gewaltlosigkeit. Zuletzt verschärften sich die Kriege und Gewaltakte. Für das Geschehen sind äußere Mächte, auch der Westen unter Führung der Vereinigten Staaten, verantwortlich. Dies hat dem Ansehen der USA geschadet und damit den Handlungsspielraum Washingtons und seiner Verbündeten, also auch Deutschlands, begrenzt.

1979 marschierte die sowjetische Armee in Afghanistan ein. Um dem afghanischen Volk zu helfen, sich von der fremden Herrschaft zu befreien, und um der Sowjetunion zu schaden, unterstützten die USA die einheimischen Widerstandskräfte, zumeist bewaffnete islamistische Untergrundverbände. Die militärischen Verluste, die finanziellen Lasten und die politischen Prestige-Einbußen waren so groß, dass Moskau sich 1989 zum Rückzug aus dem Hindukusch gezwungen sah. Bald darauf zerbrach die Sowjetunion.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 entschloss sich ein Staatenbündnis auf Initiative der USA zum Einmarsch in Afghanistan, um das dortige Taliban-Regime, das die terroristische Al Kaida unterstützte, auszuschalten. Das Ergebnis war, ähnlich wie nach der sowjetischen Invasion, ein anhaltender Untergrundkrieg, bei dem die Streitkräfte des Westens, auch Deutschland, zunehmend hohe Verluste erlitten. Das hielt die Vereinigten Staaten nicht davon ab, 2003 gemeinsam mit ihren Verbündeten eine Invasion des Irak zu starten, da sie dessen Machthaber Saddam Hussein beschuldigten, die Taliban zu unterstützen. Hussein übte Terror gegen die Gegner seines Regimes aus – ein Verbündeter der Al Kaida war er nicht. Dies bewog damals die Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer, Deutschland nicht auf amerikanischer Seite an dem Krieg teilnehmen zu lassen. Zumal die Amerikaner sich nicht mit dem Sturz von Saddams Ba’ath-Regime begnügten, sondern eine gewaltsame Demokratisierung des Irak anstrebten – Gewalt und offensive Demokratisierung aber schließen einander aus. Als Ergebnis entwickelte sich auch im Irak ein Untergrundkrieg gegen die Besatzer.

Die Folgen der Irak-Invasion

Der junge demokratische Senator Barack Obama sprach sich von Anbeginn gegen die Besetzung Afghanistans und Iraks aus. Doch seit 2006 bewarb sich Obama um die demokratische Präsidentschaftskandidatur. Ab 2007 setzte er auf einen breiten Konsens in der Bevölkerung, um seine Chancen im  Wahlkampf zu optimieren. Das machte einen taktischen Schwenk seiner außenpolitischen Position notwendig. Obama kritisierte weiterhin die Invasion Iraks, nannte den Waffengang in Afghanistan fortan aber einen „Just war“, einen „Gerechten Krieg“, den er als Präsident fortsetzen würde.

Nach seinem Sieg 2008 hielt Obama sein Versprechen. Der Krieg in Afghanistan eskalierte. Zudem beendete Obama die Intervention in Irak nicht unmittelbar. Er ließ sich von seinen militärischen Beratern überzeugen, dass ein sofortiger Abzug der US-Army einen Bürgerkrieg in Irak zur Folge haben würde, bei dem Anhänger Saddam Husseins und bewaffnete Milizen die Oberhand gewinnen würden. Daher blieben auch nach dem offiziellen Abzug vor einem Jahr US-Kampfeinheiten als „Militärberater“ im Land.

Die amerikanische Invasion und der daraus erwachsene irakische Bürgerkrieg ermöglichten es der lange unterdrückten schiitischen Mehrheit im Land, ihre Ansprüche nunmehr gewaltsam durchzusetzen. Dabei wurden und werden die radikalen Schiiten massiv vom schiitischen Iran unterstützt. Seit Jahren kontrollieren diese Kräfte die Regierung in Bagdad. Vorwiegend als Reaktion auf die politische und militärische Machtübernahme der Schiiten entstanden die radikalen sunnitischen Untergrundverbände des „Islamischen Staates“ (IS). Der IS besteht nicht allein aus religiösen Fanatikern. Das militärische Rückgrat bilden vielmehr ehemalige Offiziere der Armee Saddam Husseins. Ein Überleben der schiitischen Regierung in Bagdad ist heute nur Dank eines Arrangements mit dem Iran sowie der militärischen Stabilisierung durch amerikanische Beratertruppen möglich.

Der Einfluss des Iran

In Afghanistan geht der von Präsident Bush gestartete und von Obama  fortgesetzte Krieg unterdessen ins 14. Jahr. Die Amerikaner und ihre Verbündeten, darunter Deutschland, haben nur die Aussicht, ohne Gesichtsverlust das Land am Hindukusch zu verlassen, wenn sie zu einer Übereinkunft mit der größten politischen und militärischen Regionalmacht in der Region gelangen, also dem Iran.

1979, im Jahr der sowjetischen Afghanistan-Invasion, kam es in Iran zur islamischen Revolution. Das religiöse Regime von Ajatollah Khomeini übernahm die Macht. Alle realen und vermeintlichen Gegner wurden ausgeschaltet und hingerichtet. Außenpolitisch verschrieb sich Iran dem Kampf gegen den „großen Satan“ USA und den „kleinen Satan“ Israel. Der große Satan unterstützte zunächst den Angriffskrieg Saddam Husseins gegen Iran. Nur unter enormen Verlusten von knapp einer Million Menschen gelang es Teheran, die irakische Invasion abzuwehren. Khomeini sah sich gezwungen, einen Waffenstillstand zu schließen. Der Ajatollah und sein Nachfolger Khamenei mussten einsehen, dass ein Kampf gegen den großen Satan auf absehbare Zeit zwecklos war. Daher konzentrierte man sich fortan auf den kleinen Teufel – Israel. Iran intensivierte ein bereits vom Schah gestartetes Nuklearprogramm.

Aggressive Außenpolitik

Teheran richtete seine geballte Aggression gegen den jüdischen Staat. In aller Welt wurden israelische Botschaften und jüdische Einrichtungen Ziel von durch Teheran gesteuerten Terrorakten. Am verheerendsten waren die Angriffe gegen die israelische Botschaft in Buenos Aires sowie auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA 1992 und 1994, wo mehr als 100 Menschen zum Opfer fielen.

Unterdessen betrieb Iran mit Hochdruck ein atomares Aufrüstungsprogramm. Zwar leugnete Teheran trotz vielfacher Beweise, etwa der internationalen Atomenergiebehörde, den Bau von Kernwaffen. Zugleich verkündete der gewählte Präsident Ahmadinedschad (2005–2013) offen die Vernichtung Israel als Ziel iranischer Politik. Der seit 2013 amtierende Präsident Rohani gilt als „gemäßigt“. Er ist zu einem Arrangement mit den Vereinigten Staaten bereit, nicht jedoch mit dem kleinen Satan Israel. Diese taktische Flexibilität ermöglichte es Teheran, mit den fünf ständigen Sicherheitsratsmitgliedern plus Deutschland zu einem Übereinkommen zu gelangen. Es sieht die technische Begrenzung des iranischen Atomprogramms und entsprechende Kontrollen vor.

Annäherung mit Tücken

Der Kompromiss hat eine machpolitische Grundlage. Teheran wird es den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten ermöglichen, sich ohne Gesichtsverlust aus Irak und Afghanistan zurückzuziehen. Die entscheidende Macht wird dort Iran sein. Im Gegenzug werden die Sanktionen gegen Teheran aufgehoben. Das Regime wird sich stabilisieren. Washington bezahlt dies mit der Preisgabe der Interessen seiner Verbündeten in der Region. Dies sind vor allem Israel, Saudi-Arabien und Ägypten.

Eine rein technische Übereinkunft ist politisch ungenügend. Denn auf diese Weise ermöglicht man Teheran, weiterhin die Zerstörung Israels nicht nur zu fordern, sondern durch Unterstützung von Terrorverbänden wie der Hisbollah im Libanon und der Hamas in Gaza aktiv einen Terrorkrieg gegen den jüdischen Staat zu betreiben. Dies sowie die aktive militärische Unterstützung Irans für das Regime des syrischen Diktators Assad wird die Spannungen in der gesamten Region erhöhen. Daneben nimmt Iran die wahabitische Monarchie Saudi-Arabien über die schiitischen Huthis in Jemen in die Zange.

Eine Übereinkunft der USA und ihrer Verbündeten mit Teheran zur Begrenzung der nuklearen Aufrüstung Irans und zur Stabilisierung des Landes ist richtig. Sie macht jedoch nur Sinn, wenn Teheran im Gegenzug bereit ist, die Integrität seiner arabischen Nachbarn und Israels anzuerkennen. Geschieht dies nicht, dann wird Iran seine expansionistische Politik fortsetzen. Im Gegenzug werden Saudi-Arabien, Ägypten und möglicherweise auch die Türkei eine eigene atomare Aufrüstung betreiben. Statt die Region zu pazifizieren, nimmt Washington eine Verschärfung der Konflikte in Nahost in Kauf. Davon sind auch die europäischen Verbündeten der USA betroffen, darunter Deutschland.