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Die Folgen des 11. September 2011 und das Scheitern der amerikanischen Politik

Mission nicht erfüllt

Rafael Seligmann29.08.2011

Der 11. September 2001 war der erste Paukenschlag in der Geschichte des 21. Jahrhunderts. Er hat die globale Politik und unser Weltverständnis erheblich verändert. Das Empfinden der Geborgenheit, das für Menschen insbesondere nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 kennzeichnend war, ist einer permanenten Unsicherheit in den internationalen Beziehungen und des tagtäglichen Lebens gewichen. Bei jedem Flug, bei jeder Zugfahrt – als Ergebnis der Nachfolgeattentate in Madrid und London in den Jahren 2004 und 2005 – haben die Passagiere Furcht vor Anschlägen. Die verunreinigende Furcht hat sich im Alltag ausgebreitet wie ein Ölteppich im Meer. Von diesen subjektiven Angstgefühlen abgesehen, bestehen objektive Veränderungen als Ergebnis der Attentatsserie. Truppen der Vereinigten Staaten, der NATO, aber auch einer Reihe weiterer Staaten kämpfen in Afghanistan und in Irak, um die realen und angenommenen Terroristen des 11. September auszuschalten. Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt, verkündete vor Jahren der damalige Verteidigungsminister Peter Struck. Die strategische Logik dieses Denkens wird unterdessen in Zweifel gezogen. Soeben hat Verteidigungsminister Thomas de Maizière neben einer klaren Einsatzstrategie auch ausdrücklich einen festen Abzugstermin für das deutsche Kontingent gefordert. Doch vorerst verbleiben die deutschen Grenadiere in Afghanistan. Sie haben einen zunehmenden Blutzoll zu entrichten. Die Hauptlast des Krieges trägt als Folge des 11. September wie von Anbeginn die US-Army. In Opposition zu Präsident George W. Bush lehnte der demokratische Bewerber Barack Obama den Krieg in Irak als „ungerechtfertigt“ ab. Um dem Odium des Pazifismus – zumindest in den USA – zu entgehen, hob Obama dagegen den Waffengang in Afghanistan als „gerechten Krieg“ hervor. Diese erfolgreiche Wahlkampftaktik rächte sich nach der Amtsübernahme des demokratischen Präsidenten. Die Generäle vor Ort, speziell der Kommandeur der US-Truppen in Afghanistan, Stanley McChrystal, nötigten den Präsidenten, das Kontingent der GIs am Hindukusch erheblich auszuweiten. Der General wurde unterdessen von Obama aus seinem Amt entfernt. Nicht aufgrund von dessen kurzsichtiger Strategie, sondern wegen fehlendem Respekt. Selbst nach der Tötung des Architekten des 11. September, Osama Bin Ladin, erscheint die Politik Washingtons gegenüber den islamistischen Terrororganisationen und deren Unterstützern trotz markiger Worte vage und unbeständig.

Reaktion auf ein Jahrhundert-Verbrechen

Um das Ausmaß der Folgen des 11. Septembers auf die Vereinigten Staaten, den Westen und die islamische Welt zu begreifen, ist es unumgänglich, sich die unmittelbare Reaktion auf die Anschläge in Erinnerung zu rufen. Zunächst herrschte blankes Entsetzen. Die Menschen in aller Welt wurden dank der globalen Vernetzung der Medien via Fernsehen Zeugen des zusammenstürzenden World Trade Centers in Manhattan. Mit ihnen wurde das Herz der Zivilisation getroffen und zerstört. In Washington, wo ein Passagierflugzeug in das Pentagon gesteuert worden war, herrschten zunächst Panik und Kopflosigkeit. Der amerikanische Präsident wurde in die Lüfte geschickt. Sein Stellvertreter in einem Bunker in Sicherheit gebracht. Bald wusste man, dass das Terrornetzwerk Al Kaida hinter den Anschlägen stand. Präsident Bush besuchte eine Moschee, um einer pauschalen Verdächtigung oder gar Verurteilung des Islam vorzubeugen. Dann setzte sich der amerikanische Vergeltungszug in Fahrt, die meisten Staaten des Westens sprangen auf. Bald war die Militärmaschine nicht mehr aufzuhalten. Die in Washington bestimmenden Neo-Konservativen, allen voran Verteidigungsminister Rumsfeld und Vize-Präsident Cheney, vermeinten die richtige Antwort in dem Buch „Kampf der Kulturen“ gefunden zu haben. Der Autor Samuel Huntington postuliert die unvermeidliche Auseinandersetzung zwischen dem Islam und der Kultur des Westens. Die Regierung Bush reagierte wie zuletzt nach der Attacke Japans auf den US-Marinestützpunkt Pearl Harbour im Dezember 1941, mit Krieg. Angriffsziel war Afghanistan. Die dort herrschenden islamistischen Taliban gewährten dem ihnen nahe stehenden Terrornetzwerk Al Kaida Asyl und Unterstützung. Auf amerikanische Initiative mit UNO-Hilfe wurde eine multi-nationale Einsatztruppe, die KFOR, installiert, an der sich 43 Länder beteiligten, und nach Afghanistan in Marsch gesetzt. Die Taliban wurden aus Kabul und den Bevölkerungszentren des Landes vertrieben, ein Amerikaner als Gouverneur eingesetzt und mit dem Aufbau einer Demokratie nach westlichem Muster begonnen. Als weiteren Helfer des weltweiten Terrors identifizierten die Amerikaner den irakischen Diktator Saddam Hussein. Dieser war einer der übelsten Gewaltherrscher Arabiens. Mit konventionellen Waffen und mit chemischen Massenvernichtungsmitteln hatte er Hunderttausende umbringen lassen. Irak hatte Iran überfallen, später das Scheichtum Kuwait annektiert, das Bagdad 1991 von den Amerikanern und ihren Verbündeten wieder entrissen worden war. Seither beschränkte sich Saddam auf kriegerische Propaganda und Hassparolen gegen die USA, die ihn zwischendurch unterstützt hatten. Doch nach dem Sturz der Taliban galt Saddam in Washington als Pate des Terrors, obgleich das in Bagdad herrschende Baath-Regime mit dem islamischen Fundamentalismus nichts am Hut hatte. Die kriegerische Stimmung bewog die US-Regierung, auch mit diesem Feind aufzuräumen. Saddams Regime wurde gestürzt, er selbst geriet in amerikanische Hände. US-Präsident George Bush verkündete in Fliegermontur: „Mission accomplished!“ Nun konnte Washington auch in Irak beginnen, eine Mehrparteiendemokratie unter amerikanischem Schutz zu installieren.

Clausewitz statt Huntington

Der Versuch der USA, ihr demokratisches System der arabischen Welt zu oktroyieren, ist gescheitert. In Afghanistan herrscht ein korruptes Regime. Die von den USA und ihren Verbündeten finanzierte und bewaffnete Armee des Landes ist unfähig, den wiedererstarkten Taliban zu widerstehen. Sie wird zerbrechen, sobald die US-Army abziehen wird. Auch das irakische Regime ist trotz Wahlen labil. Mit der erwachenden Demokratiebewegung in Ägypten und Tunesien haben die Regierenden in Bagdad nichts zu tun.

Die militärische Antwort der USA auf den 11. September war ein fataler Misserfolg. Obgleich es gelang, nach knapp einem Jahrzehnt Osama bin Ladin zu töten, sind dessen Terrornetzwerk Al Kaida und verwandte Organisationen erneut auf dem Vormarsch. Die Billionen Kosten der Feldzüge haben mit zur Überschuldung und damit zu einer tiefen Depression in den USA beigetragen. Mitverantwortlich für die Misere ist auch Präsident Obama. Er war unfähig, seine Verheißung eines Wechsels wahr zu machen. Washington bleibt ein Gefangener seiner falschen Politik und militärischen Interventionen. Auf den 11. September mussten die USA auch militärisch reagieren. Doch nicht durch langwierige Landkriege in Asien oder Versuche, in Ländern ohne demokratische Infrastruktur westliche Politiksysteme zu errichten. In Washington hätte man statt Huntington Clausewitz‘ „Vom Kriege“ lesen sollen. Der Preuße lehrte die unbedingte Priorität des Politischen über das Militärische: „Krieg ist die Fortsetzung des politischen Verkehrs mit anderen Mitteln.“ Die USA müssen sich wieder auf das gesamte Handlungsspektrum besinnen: Diplomatie, Wirtschaft, Kultur, auch begrenzte militärische Schläge. Und Europa, zumal Deutschland? Deutschland als stabilste wirtschaftliche, aber auch politische Macht der EU sollte auf eine globale Verständigung mit der islamischen Welt hinarbeiten. Dies bedeutet keineswegs eine Kapitulation vor dem islamistischen Terror. Im Gegenteil. Die westliche Welt sollte freiheitliche Kräfte fördern, sich jedoch vor weiteren militärischen Interventionen hüten. Die demokratischen Staaten Europas haben trotz der gegenwärtigen Krise ein Modell der Freiheit, des Wohlstandes und der Kooperation entwickelt. Darauf soll offensiv hingewiesen werden. Vorwiegend mit Diplomatie und wirtschaftlicher Kooperation. Vor allem aber sollten wir selbst unsere Freiheit genießen und verteidigen.n