https://rotary.de/gesellschaft/keine-alternative-zur-einigung-a-18074.html
Forum

Keine Alternative zur Einigung

Forum - Keine Alternative zur Einigung
14. Mai 2021: Hunderte Menschen halten eine Mahnwache vor der Synagoge in Gelsenkirchen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland twitterte ein Video von Demonstranten, die palästinensische und türkische Flaggen schwenkten und antijüdische Parolen riefen. © AP Photo/Martin Meissner/DPA

Krieg im Heiligen Land, Antisemitismus hier wie dort, Israel will Sicherheit, Palästina einen eigenen Staat. Ein Blick zurück und nach vorn.

Rafael Seligmann01.06.2021

Vielen Deutschen erscheint der jüngste Ausbruch der Gewalt in Nahost unverständlich. Doch wenn man unvoreingenommen beobachtet, was sich hierzulande seit Jahren – und speziell in den letzten Wochen ereignet, begreift man den Konflikt besser. Spätestens 2014 beim letzten Gewaltausbruch in Israel-Palästina wurde der Kampf in deutsche Städte getragen. Zehntausende gewaltbereiter Islamisten und Chaoten, die sich als deren Sympathisanten verstehen, marschierten auf, brüllten Hassparolen wie „Juden ins Gas!“, „Jude, Jude, feiges Schwein! Komm heraus und kämpf allein!“, stießen Drohungen aus. Die Polizei blieb untätig. Es wurden keine Personalien der Volksverhetzer aufgenommen, es gab keine Festnahmen, keine Anzeigen, Urteile, Strafen. Begründung: Die Einsatzkräfte waren zu schwach. Polizei fehlt bei Überfällen auf Juden, wenn man sie misshandelt, wenn israelische Fahnen öffentlich verbrannt werden. Politik und Polizei gelobten Besserung. Juden sollten sich in Deutschland sicher fühlen. Antisemitismus sei unerträglich. „Worte, Worte, keine Taten“, wusste bereits Heinrich Heine.

Die Entstehung des Zionismus

Diese Indolenz überrascht. Jüngst versammelten sich in Gelsenkirchen 180 Araber vor der Synagoge zu einer nicht angemeldeten Demonstration, sie skandierten stundenlang „Judenschweine!“ und Ähnliches. Die Polizei schritt nicht ein. Die Einsatzkräfte hätten sich auf den Schutz der Synagoge konzentriert, erklärte Nordrhein-Westfalens Innenminister Reul. Es wären zu wenige gewesen, um auch die nicht erlaubte Kundgebung aufzulösen. Auf die Idee, mehr Polizisten zu mobilisieren, kam offenbar niemand.

Das Geschehen in Deutschland steht in Verbindung zu den Ereignissen in Nahost. Der Kern der Auseinandersetzung ist hier wie dort kein politischer Konflikt zwischen Staaten, sondern ein vehementer antisemitischer Angriff – der von einem realen Interessenkonflikt begleitet wird. Wer „Juden ins Gas!“ fordert und „Judenschweine“ tönt, dem ist es nicht um eine politische Debatte zu tun, der will vielmehr seinen Judenhass bis zur letzten Konsequenz ausfechten. In Deutschland, in Europa, in Israel. Da man hierzulande erlebt hat, wohin Antisemitismus führt, ist zumindest der Begriff tabu. Deshalb tarnen die Israelfeinde ihre Sprache. Die Islamisten und ihre Sympathisanten erklären, gegen Juden hätten sie nichts. Allein der Zionismus sei „imperialistisch“ und aggressiv, er besetze palästinensisches Land und müsse daher bekämpft werden. Es gehe lediglich darum, die von Israel besetzten Gebiete zu befreien. Diese Sprachregelung widerspricht der eindeutigen Zielsetzung der Hamas und des Islamischen Dschihad, die offen die Zerstörung Israels fordern und dafür kämpfen.

Um das Ausmaß des israelisch-palästinensischen Konfliktes zu verstehen, ist ein historischer Rückblick notwendig. Der europäische Antisemitismus, vor allem in Russland, Frankreich und Österreich, förderte Ende des 19. Jahrhunderts die Entstehung des Zionismus. Dessen Begründer, der Wiener Theodor Herzl, rief die Juden dazu auf, ihre europäischen Heimatländer zu verlassen und nach Palästina auszuwandern, das damals unter osmanischer Herrschaft stand. Er wurde von den meisten Juden nicht ernst genommen. Das änderte sich erst, als in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts nicht nur in Deutschland antisemitische Bewegungen an die Macht kamen. Dies trieb viele Juden zur Auswanderung – auch nach Palästina.

Kaum Interesse an Frieden

Durch die jüdische Zuwanderung im Land sahen sich nationalistische arabische Kreise bedroht. 1936 brach ein landesweiter arabischer Aufstand gegen die britische Mandatsmacht und Juden aus. Es kam zu blutigen Kämpfen. Die Engländer boykottierten fortan die jüdische Zuwanderung. Das war während der Schoah fatal. Die Zionisten kämpften für einen jüdischen Staat. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. Daraufhin beschlossen die Vereinten Nationen 1947 die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat sowie ein internationales Gebiet in und um Jerusalem. Die Zionisten akzeptierten den Teilungsplan, die Palästinenser und die arabischen Staaten lehnten ihn ab. Sobald Israel im Mai 1948 proklamiert wurde, griffen die arabischen Armeen und palästinensische Einheiten den jüdischen Staat an. Sie verloren den Krieg.

Während der Kampfhandlungen flüchteten mehr als eine halbe Million Araber aus Israel oder wurden vertrieben. Andere blieben in ihrer Heimat, etwa in Yafo, Haifa, Nazareth, Lod. Sie wurden israelische Staatsbürger. Im Frühjahr 1949 wurde ein arabisch-israelischer Waffenstillstand geschlossen. Jordanien annektierte die Westbank, Ägypten okkupierte den Gaza-Streifen, Jerusalem wurde zwischen Israel und Jordanien geteilt. Die Palästinenser gingen leer aus. In den folgenden Jahren wurden etwa 600.000 bis 700.000 Juden aus ihren arabischen Heimatländern vertrieben. Sie flüchteten zumeist nach Israel oder nach Frankreich.

Ein arabisch-israelischer Frieden wäre für alle vernünftig gewesen. Doch dazu war kein arabischer Staat bereit, ebenso wenig die Palästinenser. Der jordanische König Abdallah, der einen Ausgleich mit Israel erwog, wurde ermordet. Ziel der arabischen Länder blieb die Zerstörung Israels. Dies führte 1967 zum dritten arabisch-israelischen Krieg, den wiederum Israel gewann. Nunmehr besetzte Israel das Westjordanland, ganz Jerusalem, die Golan-Höhen, den Sinai. Israels Angebot eines Friedens wurde von Arabern und Palästinensern zurückgewiesen.

Hamas-Terror seit 2005

Da die Palästinenser sich von den arabischen Ländern im Stich gelassen wähnten, intensivierten sie unter Führung von Yasser Arafats Guerilla-Organisation Fatah den Terror gegen Israel. Als die Fatah in Jordanien die Macht an sich reißen wollte, brach die Beduinen-Armee König Husseins im „Schwarzen September“ 1970 mit roher Gewalt die Macht der Guerilleros. Dabei kamen zehntausend Palästinenser um. Arafat ließ den Kampf gegen Israel aus dem Libanon fortsetzen. Auch hier kam es zum Bürgerkrieg mit christlichen und konservativen Verbänden. Als sich Arafat 1990 nach der Invasion Kuwaits auf die Seite des irakischen Diktators Saddam Hussein stellte, waren er und seine Organisation in der arabischen Welt weitgehend isoliert. Ägypten hatte bereits Frieden mit Israel geschlossen. Dies war die Gelegenheit zur Vermittlung des Friedensabkommens von Oslo 1993. Dabei verpflichtete sich die PLO zur Anerkennung Israels, Zion gewährte umgekehrt den Palästinensern Autonomie. Doch bald verlangte Arafat einen Staat und drohte Israel mit neuer Gewalt. Obgleich sich Israels Premier Barak 2000 zum Rückzug aus allen besetzten Gebieten und Ostjerusalem bereitfand, setzten die Palästinenser mit der Intifada wiederum auf Gewalt. Arafats Stern war im Sinken. Die neue dynamische Kraft war die islamistische Hamas, die unverhüllt die Vernichtung Israels predigte. Sie übernahm nach dem Rückzug Israels aus Gaza 2005 die Macht im Streifen. Mithilfe des Iran führt die Hamas seither mit Raketen und Terroranschlägen einen Krieg gegen Israel. Zion schlägt mit militärischer Wucht zurück. Die palästinensische Autonomie-Behörde beschränkt sich auf undemokratischen Machterhalt und anti-israelische Propaganda. Anlass für den jüngsten Konflikt waren Räumungsklagen jüdischer Organisationen im arabischen Ostjerusalem.

Das jahrzehntelange Trauma

Das Gros der Palästinenser ist frustriert, will ein Ende der Besatzung und der israelischen Siedlungen, vor allem einen eigenen Staat. Die meisten Israelis wiederum gieren nach Sicherheit. Dennoch ist man weit von einer Einigung entfernt.

Denn im Gaza-Streifen werden die Palästinenser von der Hamas beherrscht, die der eigenen Bevölkerung außer einem bedingungslosen Krieg gegen Israel nichts zu bieten hat. In der Westbank hat die politische Führung der PLO unter Präsident Abbas eine De-facto-Diktatur errichtet. Man weigert sich, mit Israel zu verhandeln, einen Krieg gegen den überlegenen Gegner wagt man auch nicht. Das ist der Kern des Konflikts. Selbst nach mehr als 70 Jahren kann sich die politische Führung der Palästinenser nicht für eine friedliche Lösung der Auseinandersetzung mit Israel entscheiden. Wenn Deutschland heute gewaltsam versuchte, Oberschlesien von Polen zurückzuerobern, wären wir weltweit als Kriegstreiber verschrien. Entsprechendes tun die Palästinenser.

Der Jahrzehnte währende Konflikt hat auch die israelische Gesellschaft traumatisiert. Jüdische Kriegstreiber, ein gewaltbereiter Mob wären noch vor Jahren undenkbar gewesen. Es ist höchste Zeit, dass beide Seiten die Realitäten anerkennen und aufeinander zugehen. Es gibt zu einer friedlichen Einigung keine Alternative.

Rafael Seligmann
Rafael Seligmann, RC Berlin-Gendarmenmarkt, ist Historiker, Politologe, Schriftsteller. In Kürze erscheint sein Buch „Brandstifter und ihre Mitläufer: Hitler, Putin, Trump“ bei Herder (176 Seiten, 18 Euro)