Titelthema
Das Prinzip "Gewinn für alle" ist erfolgreicher denn je
In den letzten Jahren haben Genossenschaften gezeigt, dass sie Wirtschaftlichkeit und gesellschaftliche Verantwortung vereinen können
Man nennt die Vereine nach meinem Namen. Ich habe dieselben indes nicht erfunden. Der erste Verein war ein Kind unserer Zeit, aus der Not geboren. Ich habe nur die Patenstelle dabei übernommen“, hatte Friedrich Wilhlem Raiffeisen einst festgehalten, ganz in der pflichtbewussten Bescheidenheit eines preuß ischen Beamten und Christenmenschen. Doch seine Schrift „Die Darlehnskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung, sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter“, 1866 in Neuwied erschienen, war die Initialzündung für mittlerweile mehr als 330.000 Genossenschaftsbanken in aller Welt – und machte Friedrich Wilhelm Raiffeisen zum international bekanntesten Pionier des Genossenschaftswesens.
Dass er zu seinem 200. Geburtstag nicht nur in Deutschland gefeiert wird, hat einen guten Grund: Weltweit arbeiten in über 100 Ländern mehr als 900.000 Genossenschaften mit über 500 Millionen Mitgliedern nach Raiffeisen- Prinzipien. Auch wenn die strengen Regeln des „Erfinders“, der sehr viel ehrenamtliche Arbeit vorsah und Gewinne nicht als Dividende ausschütten, sondern in das Gesamtvermögen der Genossenschaft einfließen lassen wollte, nicht mehr überall eingehalten werden. Gehalten aber hat sich der Grundsatz, dass jedes Mitglied unabhängig von seinen Genossenschaftsanteilen nur eine Stimme hat, die Generalversammlung also nicht im Interesse des Kapitalstärksten, sondern der Mehrheit der Mitglieder entscheidet.
Dieser Unterschied zu einer Aktiengesellschaft ist dann auch einer der Gründe, warum bei der Genossenschaft von allen Geschäftsformen am seltensten Konkurse zu verzeichnen sind. Auch Raiffeisens Plan – „Eine eigene Bank ins Leben zu rufen, … um die aus dem Bankverkehr entspringenden Vorteile den Vereinen selbst zuzuwenden und für diese die ganze Einrichtung so zu treffen, dass sie den Bedürfnissen derselben entspricht“ – ging durchaus segensreich auf, wie noch 150 Jahre später während der letzten Banken- und Finanzkrise zu sehen war, während der Genossenschafts- und Raiffeisenbanken vor Spekulationsverlusten weitgehend verschont blieben. Sie betreiben ihr Geschäft eben nach den „Bedürfnissen“ ihrer Mitglieder und nicht nach den Interessen des großen Kapitals. Neue Erkenntnisse der Wissenschaft belegen das Erfolgsmodell Genossenschaft, denn von der Spieltheorie bis zur Mikrobiologie sind die Daten ganz eindeutig: Nicht maximaler Eigennutz, sondern gegenseitige Hilfe und die Fähigkeit zur Kooperation führen zum Erfolg.
Das gilt nicht nur im Reich der Bakterien und der natürlichen Evolution, sondern auch für die nachhaltige Entwicklung sozialer und wirtschaftlicher Systeme. Die Prinzipien der Genossenschaft bieten dafür den idealen Rahmen. Noch in den 1980er Jahren galten Genossenschaften in Deutschland als verstaubtes Relikt vergangener Zeiten und ihre Prinzipien allenfalls als Gegenstand historischer Seminare zum Thema frühsozialistische Utopien. Im Westen stand en sie im Zuge des Kalten Kriegs zudem tendenziell unter dem ideologischen Verdacht kommunistischer Misswirtschaft, so dass in der Bundesrepublik – außer einigen Wohnungsbaugenossenschaften in den 1950er Jahren – kaum noch neue Genossenschaften gegründet wurden. Dies hat sich jedoch in jüngerer Zeit drastisch geändert: „Das Modell Genossenschaft ist erfolgreicher denn je und erobert immer neue Bereiche“, beschrieb die Financial Times im Oktober 2011 den neuen Boom an Genossenschaften, nachdem sich die Zahl der Neugründungen in den Jahren zuvor vervielfacht hatte.
Renaissance alter Werte
Die Gründe dafür liegen neben praktischen Erwägungen über die Vorteile einer kooperativen Unternehmensform vor allem auch darin, dass die von ungezügeltem Neoliberalismus und deregulierten Finanzmärkten heraufbeschworenen Krisen zu einer Renaissance von Werten wie gesellschaftlicher Verantwortung, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl geführt haben. Und zu einer Wiederentdeckung jener klassischen Form der Gemeinschaftsunternehmung, der Genossenschaft, die beides unter einen Hut bringt: Wirtschaftlichkeit und gesellschaftliche Verantwortung. Genossenschaften haben ihren schlechten Ruf in Sachen Ökonomie abgeschüttelt, der ihnen vor allem aus der Unwirtschaftlichkeit der staatlichen Zwangskollektivierungen in den ehemaligen sozialistischen Ländern zugewachsen war.
Diese Zwangsgenossenschaften konnten nur in einem System überleben, das sie vor der Konkurrenz mit effizienteren Wettbewerbern schützte – die heutigen Genossenschaften indessen werden gegründet, weil sie im marktwirtschaftlichen Wettbewerb eine bessere, nachhaltigere Position eröffnen. Dass viele schaffen können, was der einzelne nie erreichen kann – dieses uralte Prinzip hat schon in der Antike zu Kooperativen und Gemeinschaftsbildungen geführt, später zu den Zünften und Gilden des Mittelalters und heute zu der Wied erentdeckung von Genossenschaften in einem hochindustrialisierten und auf den Weltmärkten konkurrierenden Land wie Deutschland.
Vorbild in der Medienkrise?
Dass Raiffeisens Prinzipien keine antiquierten Ideen, sondern für das 21. Jahrhundert von großer Bedeutung sind, zeigt nicht zuletzt eine Zeitung wie die taz, die seit 25 Jahren im Besitz einer Genossenschaft ist. Deren mittlerweile über 17.000 Mitglieder sehen die Rendite ihrer Einl age nicht in jährlichen Dividendenüberweisungen, sondern in einer unbahängigen kritischen Tageszeitung auf ihrem Frühstückstisch. So war die taz schon immer deutlich weniger auf Werbeanzeigen angew iesen als der Rest der Medien und k onnte ohne Verluste und Entlassungen die Zeitungskrise des vergangenen Jahrzehnts überleben, in der die Auflagen und Gewinne aller Tageszeitungen sehr stark zurückgegangen sind.
Und so wird die taz-Genossenschaft auch weiterhin die journalistische Unabhängigkeit ihrer Zeitung sichern, die im Zeitalter der Konzentration der Med ien in immer weniger Konzernen immer wichtiger wird. Wer sich vor „Fake News“ schützen will, muss Medienunternehmen fördern, deren Ziel nicht in Rendite besteht, sondern in unabhängigem, vertrauenswürdigem Journalismus. Das Prinzip Genossenschaft macht’s möglich.