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Titelthema

Das Win-win der Hanf-Legalisierung

Titelthema - Das Win-win der Hanf-Legalisierung
Die „Goldene Hanffaser“ aus der Türkei ist weltberühmt für ihre hohe Qualität, die reiner Handarbeit entstammt. © Maren Krings Photography

Es geht um nicht weniger als eine Agrarrevolution, eine Rohstoffwende, die Rückkehr des Biorohstoffs Nummer eins.

Mathias Bröckers01.01.2022

Als ich 1994 mit Jack Herer in Deutschland auf Tour war, um unser auf Hanfpapier gedrucktes Buch Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf vorzustellen, wurde oft gefragt: „Wann wird die Legalisierung in Deutschland kommen?“ Meine Antwort „Ich glaube, nicht mehr in diesem Jahrtausend“ stieß dann auf unverständiges Murren im Publikum: Wo jetzt die unglaublichen Fakten über den universellen Nutzen dieser Pflanze vorliegen und die haarsträubenden Lügen, die zu ihrem Verbot führten, schwarz auf weiß dokumentiert sind, muss doch die Prohibition sofort beendet werden. So dachten die Leute und selbstverständlich auch wir Autoren, die diese Informationen auf über 500 Seiten zusammengetragen hatten: Ein Ende des schädlichen und schändlichen Verbotsirrsinns war überfällig.

Mit der Antwort wollte ich keinen Pessimismus verbreiten, sondern ein realistisches Bild: über die Trägheit der politischen Mühlen und die Tiefe, mit der die Prohibitionspropaganda über das „Mörderkraut Marihuana“ nach wie vor im öffentlichen Bewusstsein verankert war. Ich war zum Beispiel damals mit einem der ersten Stapel Hanfpapier in die Greenpeace-Zentrale nach Hamburg gefahren, um ihnen für ihr Magazin einen Rohstoff zu empfehlen, der vier- bis fünfmal so viel Papier liefert wie ein gleich großer Wald. Die Öko-Aktivisten waren hellauf begeistert, sagten jedoch nach zwei Wochen wieder ab, sich an einer größeren Produktion zu beteiligen. Man befürchtete einen Spendenrückgang, wenn man sich für Cannabis einsetzt.

Rehabilitierung über Einsatz in der Medizin

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In einer Unterkunft aus „Hempcrete“ (Hanfschäbe gemischt mit Kalk) leben Bienen gut geschützt vor der Varroamilbe. © Maren Krings Photography

„Go medical“ hatte Jack Herer als Strategie geraten, als wir 1996 an seinem Infostand in Venice Flugblätter für die „Medical Marihuana“-Volksabstimmung in Kalifornien verteilten. In Deutschland war in diesem Jahr immerhin erreicht worden, dass Hanf (ohne rauschwirksames THC) wieder angebaut werden durfte und dass Tetrahydrocannabinol (THC) auch wieder in das offizielle Arzneibuch aufgenommen wurde. Mit dem Erfolg der kalifornischen „Medical Marihuana“-Abstimmung fiel dann im Mutterland der Cannabis-Prohibition der erste Dominostein auf dem Weg der Rehabilitierung, Entkriminalisierung und Legalisierung der Hanfpflanze. In Deutschland erhielt ich unterdessen Anrufe von Ärzten: „Bei mir sitzen Leute im Wartezimmer mit Ihrem Buch und wollen Cannabis verschrieben haben. Ich habe zufällig einen Doktor in Medizin und in Pharmazie, aber davon noch nie gehört. Haben Sie sich das alles ausgedacht?“

Das hatten wir selbstverständlich nicht, sondern alle Quellen über das seit mehr als 10.000 Jahren verwendete Heilkraut dokumentiert, das mit der Prohibition aus den medizinischen Lehrbüchern verbannt und einer unwissenschaftlichen „Rauschgift“-Inquisition zum Opfer gefallen war. Bis mit der Entdeckung des körpereigenen Cannabinoid-Systems seit Mitte der 1990er Jahre klar wurde, warum Cannabis seit der Steinzeit überall auf der Welt als entkrampfende, entspannende Medizin genutzt wurde: Ein eigens auf die Hanfwirkstoffe zugeschnittenes Netz von Cannabinoid-Rezeptoren ist im gesamten Körper und allen Organen verteilt. „Don’t panic, it’s organic!“ ist nicht nur eine Parole gegen die Angstpropaganda des „Kriegs gegen Drogen“, sondern entspricht den biologischen Fakten. Dennoch beschäftigte die Jagd auf Hanf den Polizei- und Justizapparat mehr als alles andere: über 60 Prozent aller 2020 im Zusammenhang mit Drogen geahndeten Delikte betrafen Cannabis. Nicht nur aus diesem Grund ist es begrüßenswert, dass sich die Ampel-Koalition zu einer Reform der Cannabisgesetze entschließt, selbst wenn der vom Gegner zum Befürworter mutierte Gesundheitsminister Karl Lauterbach seinen Wandel mit Horror-Fake-News aus der Mottenkiste des Drogenkriegs begründet: „Immer häufiger wird dem illegal verkauften Straßencannabis neuartiges Heroin beigemischt, das sich rauchen lässt. Damit werden Cannabis-Konsumenten schnell in eine Heroin-Abhängigkeit getrieben.“

Genossenschaftliche Produktion von Nutzhanf?

Die Verunreinigungen von Schwarzmarktware stellt ein grundsätzliches Problem des illegalen Drogenmarkts insgesamt dar – und ein starkes Argument für eine regulierte Abgabe aller illegalisierten Substanzen. Weil Cannabis ein Naturprodukt ist und in Form von Blüten oder als Harz nicht so leicht zu „strecken“ ist, kommen Beimischungen hier deutlich seltener vor als bei Heroin oder Kokain. Neben Pestiziden und anderen Schadstoffen sind aber auch schon Beimischungen mit Blei (zur Gewichtserhöhung) und in den letzten Jahren mit synthetischen Cannabinoid-Derivaten aufgetaucht, mit denen verantwortungslose Dealer ihr schlechtes Gras „pimpen“. Halten wir Dr. Lauterbach also zugute, dass er hier nur mal wieder etwas verwechselt hat. Es könnte also etwas werden mit der Legalisierung von Hanf. Aber wie?

In der Schweiz starten verschiedene Kantone im kommenden Jahr Pilotprojekte, bei denen unter wissenschaftlicher Begleitung der Verkauf über Apotheken und Social Clubs legalisiert wird. Wer zum Beispiel in Zürich lebt, älter als 18 Jahre ist und schon einmal Cannabis konsumiert hat, kann sich bei „ZüriCan“ registrieren und dann im nächsten Sommer dort einkaufen. In Basel, Bern und anderen Städten werden ähnliche Projekte aufgelegt, wobei die zum Verkauf kommenden Produkte alle aus Bio-Anbau in der Schweiz stammen müssen.

Als unlängst bei einer Podiumsdiskussion zum Thema nach einem Ausblick auf die Zukunft gefragt wurde, verwies ich auf historische Vorbilder: So wie früher jede kleine Stadt ihre eigene Brauerei hatte und aus lokalen Rohstoffen Bier herstellte, so wie sich regionale Winzer zu einer Genossenschaft zusammentun, die ihre Produkte verarbeitet und vertreibt, so braucht es in jeder Region und jeder Stadt eine Hanfgenossenschaft, die den Rohstoff für den lokalen Konsum anbaut und verarbeitet. Wir sollten also in einer künftigen Cannabiswirtschaft nicht erst gigantische Großkonzerne entstehen lassen, bevor dann lokales „Craft“-Cannabis wiederentdeckt wird, sondern den gesetzlichen Rahmen gleich auf regionale Genossenschaften zuschneiden. Würden diese dann noch dazu verpflichtet, ihre Gewinne aus dem Geschäft mit Hanfdrogen in den Aufbau einer lokalen Nutzhanfindustrie zu investieren, die Fasern für Papier oder Textilien oder Dämmstoffe oder Öl oder Lebensmittel gewinnt, wäre das ein „Green New Deal“, der den Namen wirklich verdient. Falls sich der alte Genossenschaftsfan Olaf Scholz an seine Wurzeln noch irgendwie erinnert, wäre er genau der Richtige, als Chef der Ampel grünes Licht für eine solche „Hanf-Agenda 2030“ zu geben.

Schluss mit der Jagd nach Hanfkonsumenten

Aber auch wenn das nicht gleich geschieht, bleibt genug zu tun – mit den Aufräumarbeiten nach 50 Jahren Drogenkrieg gegen eine Pflanze. Als erster Schritt ist neben der Einstellung sämtlicher Strafverfahren auch die (Un-)Rechtspraxis zu beenden, mithilfe des Fahrerlaubnis- und Verwaltungsrechts Hanfkonsumenten zu jagen. Ebenfalls realistische und bundesweit geltende Grenzwerte braucht es sodann für den Besitz und Anbau der Pflanze zum privaten Gebrauch, was nicht nur Polizei und Justiz von der Fahndung nach Grünzeug auf Fensterbänken entlastet, sondern auch schon einen Großteil der Fragen um die Organisation eines regulierten Anbaus und Verkaufs erledigt. Denn es braucht nicht mehr als Erde, Wasser und Sonne, um in 100 Tagen aus einem Samen 100 oder 200 Gramm Blüten zu gewinnen. Jack Herers These aus unserem Buch, dessen mittlerweile 44. Auflage gerade vorbereitet wird, ist heute aktueller denn je:

„Wenn wir, um unseren Planeten zu retten und den Treibhauseffekt umzukehren, künftig auf alle fossilen Brennstoffe und petrochemischen Produkte ebenso verzichten wollen wie auf die Abholzung unserer Wälder zur Gewinnung von Papier und landwirtschaftlichen Nutzflächen, dann gibt es nur eine Pflanze, die als nachwachsender Rohstoff in der Lage ist, den größten Teil an Papier, Textilien und Nahrungsmitteln sowie des privaten und industriellen Energieverbrauchs zu liefern, und die zugleich die Umweltverschmutzung eindämmt, die Böden verbessert und unsere Luft reinigt: Es ist ein alter Gefährte, der dies schon immer für uns getan hat: Cannabis – Hanf – Marihuana!“

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Eine Armada umgebauter John-Deere-Erntemaschinen mäht ein riesiges Hanffeld in China. Das Land gehört zu den größten Hanfproduzenten weltweit © Maren Krings Photography

Mit dem oben skizzierten Modell von Hanfgenossenschaften in jeder Region, deren Lizenz zum Anbau und Verkauf daran gebunden wird, die Gewinne aus dem Marihuana-Geschäft in den Aufbau einer Hanfverarbeitung zur Gewinnung von Fasern, Dämmstoffen, Lebensmitteln et cetera zu reinvestieren, ist eine solche Revolution leicht finanzierbar und machbar. Es ist das Win-win der Hanf-Legalisierung: eine vernünftige, schadensmindernde Drogenpolitik fördert eine uralte zukunftsträchtige Agrarinnovation, die an Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit schlicht unüberbietbar ist.

Wenn „Klimapolitik“ nicht nur eine wohlfeile Parole der neuen Regierung bleiben soll, muss ihr ins Pflichtenheft geschrieben werden, dass es mit einem Cannabis-Reförmchen zur Entkriminalisierung des Kiffens nicht getan ist. Es geht um nicht weniger als eine Agrarrevolution, eine Rohstoffwende, die Rückkehr des Biorohstoffs Nummer eins. In den USA stellt dank Marihuana die Hanfbranche mit 170.000 Jobs schon mehr Arbeitsplätze als der Kohlebergbau, und das Comeback der Nutzpflanze hat gerade erst begonnen: Cannabis ist die (CO2-negative) Kohle des 21. Jahrhunderts. Wer ein Herz für Bergbau-Kumpel hat, durch den Kohleabbau aber nicht weiter die Luft verpesten will, muss sie jetzt zu Hanfbau-Kumpeln machen. Es gibt viel zu tun, Olaf, pflanzen wir’s an!


Fotografin

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© PR

Maren Krings dokumentierte während der letzten vier Jahre die Wiederentdeckung des Industriehanfs. Sie fotografierte über 200 Projekte, interviewte über 80 Experten und bereiste 26 Länder.

Im März erscheint ihr Buch H is for Hemp, das die Nutzpflanze Hanf als wichtige Ressource im Kampf gegen den Klimawandel präsentiert.

 

 marenkrings.com


Buchtipp

 

Jack Herer, Mathias Bröckers

Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf

Nachtschatten-Verlag, Solothurn, 43. Auflage 2016,

526 Seiten, 35 Euro

 

Mathias Bröckers

Mathias Bröckers ist Journalist, Publizist, Polit- Blogger, Autor und Herausgeber politischer Sachbücher und Romane und war Mitbegründer sowie Kultur- und Wissenschaftsredakteur der taz.

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